Schon wieder ein Todeskult?: In Kenia ist die Angst vor Freikirchen zurück
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Schreckliche Erinnerungen an 2023 werden wach.
Erneut wurden in Kenia in einer Freikirche Leichen geborgen – und erneut geht die Angst um vor weiteren Massengräbern. Nach dem Massenselbstmord mit über 400 Toten, die sich 2023 zu Tode gehungert haben, wurden die angekündigten Regulierungen von Glaubensgemeinschaften nie umgesetzt.
"Willkommen in Neu-Jerusalem" steht in großen Lettern über dem Eingangsportal des Gebäudes, das der Sankt-Josephs-Mission in einem abgelegenen Dorf in Kenia als Gebetstempel dient. Diese Gegend nahe der Kleinstadt Migori im Südwesten Kenias, unweit des Naturschutzgebiets Masai Mara, ist eigentlich weltweit bekannt für seine Wildtiere und Safari-Tourismus.
Doch dieser Tage erlangt die Region traurige Berühmtheit aufgrund der grausamen Nachrichten, die nun erneut das ganze Land in Atem halten. Denn wieder wurden auf dem Grundstück einer Religionsgemeinschaft Leichen entdeckt. Erneut gibt es Gerüchte und Indizien über radikale Sekten und Prediger, die ihre Mitglieder einem mutmaßlich heiligen Zweck opfern.

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Vergangenen Montag stürmte Kenias Polizei das Gebetshaus der Sankt-Josephs-Mission. Zuvor hat es in den umliegenden Gemeinden Gerüchte gegeben, dass dort Leute sterben. Tatsächlich fand die Kriminalpolizei zwei Leichen: eine davon, ein Mann, lag in einem der Gebetsräume auf dem Boden – mit Verletzungen im Gesicht, Schaum vor dem Mund. Sein Körper lag eingewickelt in weiße Tücher wie aufgebahrt da.
Die Szene ruft in Kenia grausame Erinnerungen wach. Es ist genau zwei Jahre her, als die Polizei im rund 800 Kilometer entfernten Bezirk Kilifi an der Küste des Indischen Ozeans ein Kirchengelände stürmte. Es lag versteckt inmitten des Shakahola-Waldes, ein Naturreservat. Auch dort hatte es zuvor Gerüchte gegeben, dass Menschen in der Glaubensgemeinschaft sterben und dort beerdigt werden.

Freikirchen und Glaubensgemeisnchaften schießen in Afrika wie Pilze aus dem Boden.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Was die Polizei damals fand, geht wohl in die Geschichte ein als eine der grausamsten Massaker-Szenen des Landes. Über 400 Leichen wurden nach und nach exhumiert, darunter Kinder und Jugendliche. Die Hälfte, so ergab es sich später aus dem Autopsiebericht, hatten sich wohl zu Tode gehungert. Angeklagt wurde im Januar 2024 letztlich der Prediger und Kirchengründer Paul Mackenzie, gemeinsam mit über 30 Mittätern, darunter seine Frau. Sie wurden des Mordes an 191 Kindern in ihrer Obhut für schuldig gesprochen. Laut Aussagen zahlreicher Sektenmitglieder vor Gericht, hatte Mackenzie gepredigt, dass das Ende der Welt nahestehe und nur diejenigen zu Jesus in den Himmel gelangen, die sich selbst zu Tode fasten.
Angehörige alarmieren Behörden
Seitdem herrscht in Kenias Gesellschaft mehr Wachsamkeit gegenüber den zahlreichen Freikirchen, die überall in Afrika wie Pilze aus dem Boden sprießen und in den vergangenen Jahren enorm an Zulauf erhielten.
So kam es, dass die Polizei vergangene Woche über die seltsamen Vorkommnisse in der Sankt-Josephs-Mission in Morigi informiert wurde. Aussteiger, die die Glaubensgemeinschaft verlassen haben, berichten, dass sich die Gemeinde angeblich "radikalisiert" habe und die Gläubigen sich fast vollständig von den Familien lossagten.

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Durch den Polizeieinsatz am vergangenen Montag seien 57 Menschen aus der Freikirche "befreit" und zur medizinischen Versorgung in ein Krankenhaus gebracht worden, so der Vize-Bezirksvorsteher George Matundura gegenüber der kenianischen Tageszeitung The Daily Nation. "Wir werden alle notwendigen Maßnahmen ergreifen", führt Matundura aus: "Wir haben nun eine Polizeieinheit abgesandt, um das Kirchengelände zu sichern."
Diese werden jetzt wohl das Gelände umgraben. Denn in der Gemeinde halten sich nach wie vor Gerüchte, dass dort Glaubensanhänger bestattet wurden. Aus Angst um ihre Angehörigen hatte vergangene Woche eine Gruppe Anwohner aus den umliegenden Dörfern das Gebetshaus mit Gewalt gestürmt. Es soll zu Handgreiflichkeiten gekommen sein, bei denen auch Gläubige verletzt wurden. Ein Kirchenmitglied, das sich gegenüber lokalen Journalisten mit dem Namen "Halleluja" vorstellte, betonte ausdrücklich: "Wir beerdigen niemanden hier, ohne die Familien zu informieren. Wir benachrichtigen auch die Behörden."
Mehr staatliche Kontrolle über Freikirchen
Vor dem Hintergrund des Shakahola-Massakers 2023 hatten Kenias Politiker bereits eine strengere Regulierung von Glaubensgemeinschaften angekündigt. Der kenianische Präsident William Ruto berief 2023 eine Untersuchungskommission zu den Todesfällen im Shakahola-Wald ein und gründete eine Arbeitsgruppe zur Überprüfung der Vorschriften für religiöse Organisationen.

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Innenminister Kithure Kindiki mahnte damals an: "Dieser schreckliche Makel auf unserem Gewissen muss nicht nur zu einer strengen Bestrafung des oder der Täter dieser Gräueltaten an so vielen unschuldigen Seelen führen, sondern auch zu einer strengeren Regulierung (einschließlich Selbstregulierung) aller Kirchen, Moscheen, Tempel und Synagogen in der Zukunft."
Im Sommer 2024 stellte die Arbeitsgruppe die Idee vor, ein neues Gesetz zur Regulierung und Registrierung von Kirchen zu verabschieden und eine dafür zuständige Kommission einzuberufen, die die Aktivitäten von Glaubensgemeinschaften überwacht.
Dies hatte in der kenianischen Gesellschaft einen Aufschrei zufolge. Befürchtungen wurden laut, dass eine solche Regulierung gegen die in der Verfassung festgeschriebene Religionsfreiheit verstoße. Letztlich wurde die Idee von Kenias Präsident Ruto wieder fallen gelassen.

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Im benachbarten Uganda, wo evangelikale Freikirchen Lobbyismus für die Anti-LGBTQIA+-Gesetzgebung betrieben, wurde 2024 eine ähnliche Regulierung vorgeschlagen und ebenso wieder gekippt. In Ruanda wurden in den vergangenen Jahren mehr Regulierungen für Glaubensgemeinschaften eingeführt, unter anderem auch hinsichtlich Lärmbelästigung und ausreichenden Sanitäreinrichtungen wie Toiletten oder Brandschutz. Über 8000 Gebetseinrichtungen wurden daraufhin vergangenes Jahr landesweit geschlossen.
Quelle: ntv.de