Regierungsstreit in Österreich: EU-Staaten stimmen für umstrittenes Naturschutzgesetz
Politik

80 Prozent der Lebensräume in der Europäischen Union sind in einem schlechten Zustand.
Das Renaturierungsgesetz sorgt in der EU seit Monaten für Streit. Trotz Kritik von Konservativen und Landwirten findet das Vorhaben unter den Ländern eine knappe Mehrheit. Zünglein an der Waage ist Österreich, dessen Umweltministerin gegen den Willen von Kanzler Nehammer abstimmt.
Die Umweltministerinnen und -minister der Europäischen Union haben das seit Monaten umkämpfte Renaturierungsgesetz nach Angaben der belgischen Ratspräsidentschaft verabschiedet. Ausschlaggebend für die Abstimmung in Luxemburg war, dass Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler gegen den Willen des konservativen Bundeskanzlers Karl Nehammer für das Gesetz stimmte.

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Mit dem Gesetz will die EU die Umweltzerstörung in den Mitgliedstaaten zurückdrehen. Das Gesetz verpflichtet die EU-Länder, bis 2030 mindestens je 20 Prozent der geschädigten Flächen und Meeresgebiete wiederherzustellen und bis 2050 alle bedrohten Ökosysteme.
Kritiker befürchten Einschnitte für Landwirte
Die EU-Kommission hatte das sogenannte Renaturierungsgesetz vor fast genau zwei Jahren vorgeschlagen. Nach offiziellen Angaben sind rund 80 Prozent der Lebensräume in der Europäischen Union in einem schlechten Zustand. Zudem sind demnach 10 Prozent der Bienen- und Schmetterlingsarten vom Aussterben bedroht und 70 Prozent der Böden in einer schlechten Verfassung.
Während Umweltschützer, zahlreiche Wissenschaftler und Unternehmen das Gesetz befürworteten, gab es großen Widerstand vor allem von Christdemokraten und Bauernverbänden. Die Kritiker befürchten zu große Einschnitte für Landwirte und damit Auswirkungen auf die Lebensmittelproduktion in der EU. Um auf diese Bedenken einzugehen, war das Gesetz im Verhandlungsprozess deutlich abgeschwächt worden.

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Eigentlich hatten sich die EU-Länder und das EU-Parlament schon im November auf einen Kompromiss verständigt. Diesem zufolge sollen Landwirte künftig etwa nicht verpflichtet sein, einen bestimmten Prozentsatz ihres Landes für umweltfreundliche Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, was Bauern befürchtet hatten.
Knappe Verhältnisse im Rat
Die endgültige Zustimmung der 27 EU-Länder zu dieser Einigung galt eigentlich als Formalie. Die Verhältnisse im Rat der Mitgliedstaaten waren jedoch bis zuletzt knapp: Italien, Finnland, die Niederlande, Polen, Schweden und Ungarn sprachen sich nach Diplomatenangaben gegen das Gesetz aus. Belgien enthielt sich. Die nötige qualifizierte Mehrheit von mindestens 15 Mitgliedstaaten und mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung kam damit erst mit der Zustimmung Österreichs zustande.
Das von der konservativen ÖVP geführte Bundeskanzleramt in Wien hatte am Sonntag mit einer Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof gedroht, die das Gesetz kippen könnte. "Ich weiß, dass ich in Österreich auf Widerstand stoßen werde", sagte Klimaschutzministerin Gewessler in Brüssel. Einer Klage sehe sie aber gelassen entgegen. "Ich bin davon überzeugt, dass es jetzt an der Zeit ist, dieses Gesetz zu verabschieden."
Elf EU-Länder, darunter Deutschland, hatten noch im Mai in einem Schreiben an den belgischen Ratsvorsitz einen Beschluss des Renaturierungsgesetzes im Juni gefordert. Die Hängepartie um einen zuvor vereinbarten Kompromiss "gefährdet unsere demokratischen Institutionen", hieß es in dem Brief auf Initiative Irlands. Im Juli übernimmt Ungarn mit seiner rechtsnationalistischen Regierung turnusmäßig die EU-Ratspräsidentschaft.
Quelle: ntv.de, mdi/dpa/AFP