Nachrichten in der Welt


Nachrichten der Welt

Rassismus in den USA: Amerikas uneingelöstes Versprechen

June 08
07:43 2020
Demonstration in New York City: "Solange es nicht gleiche Jobchancen gibt, hat Amerika sein Versprechen nicht eingelöst" Icon: vergrößern

Demonstration in New York City: "Solange es nicht gleiche Jobchancen gibt, hat Amerika sein Versprechen nicht eingelöst"

EDUARDO MUNOZ/ REUTERS

Die Machtzentrale der Welt wirkt in diesen Tagen wie eine Geisterstadt.

Der Präsident hat sich, geschützt von einem fast drei Kilometer langen Metallzaun, im Weißen Haus verschanzt. Die meisten Geschäfte sind wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Die Sternehotels und Restaurants im Zentrum Washingtons haben ihre Glasfassaden aus Angst vor Plünderungen mit Holzplatten vernagelt. Doch ein paar hundert Meter nördlich der Regierungszentrale, dort wo am Wochenende Tausende gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstrierten, wirbt ein einzelner Laden um Kundschaft. "Wir sind offen", steht auf einem Schild vor der mit Spanplatten verrammelten Starbucks-Filiale an der 16th Street.

Amerikas Wirtschaft zeigt zaghafte Lebenszeichen. Im Mai ist die Arbeitslosenrate zum ersten Mal seit Beginn des Lockdowns gesunken, von 14,7 auf 13,3 Prozent. Für die Zunft der Ökonomen, die einen Anstieg der Quote auf bis zu 20 Prozent prognostiziert hatten, kam das kleine Jobwunder völlig überraschend. Nobelpreisträger Paul Krugman raunte gar von einer möglichen Manipulation der Behördenzahlen durch die Trump-Regierung. Er entschuldigte sich später.

So wie die meisten Konjunkturexperten die Folgen von Covid-19 für die Wirtschaft anfangs unterschätzt hatten, haben sie nun Mühe, die Dynamik des Neustarts zu quantifizieren. Alle 50 US-Bundesstaaten haben ihre Pandemie-Regeln gelockert. Aber viele Unternehmer sind vom business as usual weit entfernt. Und die landesweiten Unruhen seit dem Tod von George Floyd durch Polizeigewalt haben neue Unsicherheit geschaffen.

Das Plus von 2,5 Millionen Jobs im Mai sei ein gutes Zeichen, sagte Glenn Hubbard, Professor an der Columbia University und früherer Regierungsberater: "Aber die Frage ist, wie viel danach kommt." So stellten die Restaurants und Bars zwar fast 1,4 Million Menschen ein – doch im April hatten sie 5,5 Millionen entlassen.

Auch die Zahnärzte, die nun wieder bohren dürfen, haben erst rund die Hälfte ihres entlassenen Personals zurückgeholt. Zudem fördert die Regierung Einstellungen, indem sie für acht Wochen faktisch das Gehalt der Mitarbeiter übernimmt. Dieses 500 Milliarden Dollar schwere Hilfsprogramm läuft Ende Juni aus.

Dennoch deuteten die Arbeitsmarktdaten darauf hin, dass sich "die wirtschaftliche Aktivität schneller und kraftvoller erholt als wir es erwartet haben", urteilt Michael Pearce von der Wirtschaftsberatung Capital Economics. Auch andere Indikatoren seien ermutigend, so vermeldeten Auto- und Immobilienhändler steigende Umsätze.

Mancher Amerikaner ziehe den eigentlich erst für das nächste Jahr geplanten Kauf eines neuen Eigenheims sogar vor, berichtete der Immobilienberater John Burns im "Wall Street Journal": "Die Leute wollen nicht noch einmal Quarantäne in einem Haus verbringen, das sie nicht mögen."

Ein neues Auto oder Haus, räumt Pearce ein, könne sich derzeit aber im Wesentlichen nur die älteren und wohlhabenderen Amerikaner leisten – diejenigen, die die Krise im Home-Office aussaßen, während die erzwungene Konsumpause ihr Konto schonte.

Amerikaner haben mehr gespart – doch die Politik darf jetzt keinen Fehler machen

Die Sparrate der Amerikaner ist im April auf ein Rekordniveau von 33 Prozent geklettert, verglichen mit nur rund acht Prozent vor dem Ausbruch der Pandemie. Der Wirtschaftsaufschwung wird in den kommenden Monaten nur dann an Tempo gewinnen, wenn die US-Konsumenten ihren notorischen Zukunftsoptimismus und ihre Shoppinglust zurückgewinnen.

Manche Experten fürchten, dass die Trendwende am Arbeitsmarkt den Widerstand der Republikaner gegen weitere konjunkturstimulierende Ausgabenpakete anheizen könnte.

"Der Arbeitsmarkt erholt sich, aber wir könnten es vermasseln", warnt der Fondsmanager und Bloomberg-Kolumnist Conor Sen. Die Politik dürfe nicht den Fehler nach der Finanzkrise wiederholen, die Stützen zu schnell wegzuziehen. Sie müsse die Konsumentennachfrage so weit stimulieren, "dass die Unternehmen glauben, dass es Sinn macht, in zukünftige Kapazitäten für eine Nachfrage zu investieren, die sich bislang noch nicht materialisiert hat".

Für den Präsidenten geht es ab jetzt nur noch bergauf

Tatsächlich glaubt nur einer, dass Amerika die Krise bereits hinter sich hat – oder will es die Wähler glauben machen: Donald Trump. Kaum lagen die neuen Jobzahlen vor, feierte sich ein sichtlich beschwingter Präsident im hochgesicherten Rosengarten des Weißen Hauses als Retter einer Wirtschaft, die nun abgehe "wie eine Rakete". Er hoffe, dass George Floyd vom Himmel herabschaue und sage, "dass das eine großartige Sache ist, die in unserem Land geschieht", sagte Trump. "Das ist ein großartiger Tag für ihn. Das ist ein großartiger Tag für alle."

Das bizarre Eigenlob ist nicht nur pietät- und würdelos, sondern auch falsch: Die Arbeitslosenquote bei Schwarzen ist im Mai nicht gesunken, sondern sogar leicht gestiegen.

Die Coronakrise hat den während eines ganzen Aufschwungjahrzehnts mühevoll erreichten Wohlstandsgewinn der afroamerikanischen Bevölkerung zunichte gemacht. Mit unter sechs Prozent war ihre Arbeitslosigkeit vor dem Absturz zwar immer noch weit höher als unter weißen Amerikanern, aber niedriger als in den vergangenen 50 Jahren.

Nutzen die USA diese Chance für einen Neustart?

Nun aber wiederholt sich ein Muster: Die Rezession trifft Schwarze und Latinos überproportional, die Konjunkturerholung kommt bei den Minderheiten nur mit Verzögerung an. 2018 lag das Medianeinkommen schwarzer Haushalte immer noch fünf Prozent unter dem Wert von 2000, während es in den weißen Haushalten um sechs Prozent gestiegen war.

Auf der 16. Straße, die von der Starbucks-Filiale schnurgerade zum Weißen Haus führt, steht seit ein paar Tagen ein Schriftzug in riesigen gelben Lettern: "Black Lives Matter". Den Demonstranten, die am Wochenende hier entlang zogen, fordern nicht nur, Polizeigewalt zu stoppen, sondern die Diskriminierung von Schwarzen zu beenden.

Auch wenn der freie Fall der amerikanischen Wirtschaft gestoppt sei, sollte man die Chance für einen Neuanfang nutzen, appelliert Joe Brusuelas, Chefökonom der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft RSM. "Wir sollten die Gelegenheit ergreifen, seit langem bestehende systemische Ungleichheiten in der Gesellschaft und im Arbeitsmarkt anzugehen. Solange es nicht gleiche Jobchancen gibt, hat Amerika sein Versprechen nicht eingelöst."

Icon: Der Spiegel

Neueste Beiträge

11:56 “Beschissener” Bob-Eklat in USA: WM-Wut: Beton-Fahrt lässt Lochner fassungslos zurück

0 comment Read Full Article