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Polen vor der Präsidentenwahl: Krieg der Stämme

July 11
21:35 2020
Wahlkampfveranstaltung für Duda am 9. Juli in Olkusz: Seine Anhänger wohnen eher auf dem Land, in Kleinstädten, gehen in die Kirche, sind gegen die Aufnahme von Migranten und die Ehe für alle Icon: vergrößern

Wahlkampfveranstaltung für Duda am 9. Juli in Olkusz: Seine Anhänger wohnen eher auf dem Land, in Kleinstädten, gehen in die Kirche, sind gegen die Aufnahme von Migranten und die Ehe für alle

Foto: NurPhoto/ Getty Images

Die letzte "Debatte" der beiden Spitzenkandidaten vor dem Urnengang war gar keine: Präsident Andrzej Duda trat hinter ein Rednerpult im ostpolnischen Konskie, sein Herausforderer Rafal Trzaskowski in Leszno, 370 Kilometer entfernt. Links von beiden hatten die Wahlhelfer ein weiteres Pult aufgestellt – für den jeweiligen Gegner, der aber ja gar nicht da war.

Duda ließ sich von ausgewählten Bürgern befragen. Trzaskowski hatte Journalisten eingeladen. Was als "Debatte" versprochen war, geriet bei beiden zu einer liebedienerischen Fragestunde.

Der gespenstischen Szene war kleinliches Gezanke vorausgegangen:

  • Trzaskowski hatte es abgelehnt, im staatlichen Fernsehen TVP aufzutreten, weil das seinem Gegner Duda ergeben ist

  • TVP und Duda hatten abgelehnt, auch Moderatoren anderer Sender hinzuzuziehen

Also blieben die Kandidaten mit ihren Claqueuren unter sich – die Veranstaltung war einer Demokratie unwürdig, kommentierten rechte wie linke Warschauer Zeitungen.

Doch sagt die Szene viel über den Zustand der politischen Landschaft in Polen aus. Noch im ersten Wahlgang vor zwei Wochen hatten sich die beiden aussichtsreichsten Kandidaten, Duda und Trzaskowski, auch darum bemüht, unentschiedene Wähler auf ihre Seite zu ziehen, hatten ihre Rhetorik gemäßigt, um auch Bürger jenseits ihrer Stammwählerschaft anzusprechen. Doch in der zweiten Runde haben sich die Fronten verhärtet: Duda wie Trzaskowski sprechen nur noch zu ihren Getreuen.

Wahlkampf ohne Inhalte

Der Ton hat sich verschärft. Das Duda-Lager greift deutsche Medien an: Sie würden sich zu sehr auf Seiten Trzaskowskis schlagen. Ein Trzaskowski-nahes Boulevardblatt suggerierte, der Präsident sei nachgiebig gegenüber Pädophilen. Es sei der "schlechteste" Wahlkampf seit dem Ende des Kommunismus, schreibt ein Kommentator in dem äußerst rechten Magazin "Do Rzeczy".

Polen, so scheint es, zerfällt in zwei Stämme, Völkerschaften, die sich zwar sehr ähnlich sind, aber trotzdem bis aufs Messer bekämpfen. Zwar sagen Soziologen, dass Polens Gesellschaft in Wirklichkeit viel differenzierter ist, dass es sozialpolitisch viel mehr Lager gibt als nur das des nationalkonservativen Duda und jenes liberale seines Gegners Trzaskowski. Doch die Polarisierung nützt – so scheint es derzeit – beiden Kandidaten. Es gehe in diesem Wahlkampf nur noch um die Frage: "Welche Hälfte ist die größere", witzelt der Soziologe Jaroslaw Flis.

Die Hälfte von Duda wohnt eher auf dem Land, in Kleinstädten und im Osten des Landes. Es ist die rechts-nationale Wählerschaft der Regierungspartei PiS. Sie geht in die Kirche, ist gegen die Aufnahme von Migranten und die Ehe für alle. Umweltschutz hält sie weitgehend für überflüssig. Duda lobt die Menschen für diese Haltung. Sie seien "patriotisch" und "traditionsbewusst". Sein Versprechen: Ihr müsst euch nicht ändern. Glaubwürdigkeit verleiht ihm seine Herkunft aus dem konservativen Umfeld der Krakauer Universität.

Wenn auch Trzaskowski sich rhetorisch zurückhält, aus seinem Lager, von den ihm getreuen Medien, wird die Duda-Wählerschaft oft als bigott, intolerant und rückständig dargestellt.

Er, Sohn eines Warschauer Jazzmusikers, Stipendiat in Oxford, will Polen wieder geschmeidiger in die EU eingliedern. Er spricht sich für Schwulenrechte aus, wenn auch nicht für ein Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare. Trzaskowski wird – sollte er Präsident werden – seine Kompetenzen ausschöpfen, um die Justizreform der PiS-Regierung auszubremsen.

PiS hatte sich das Verfassungstribunal unterworfen und Gremien geschaffen, die geeignet sind, die Richterschaft politisch zu kontrollieren. Diese "Reformen" haben Polen etliche Rügen aus Brüssel und ein Prüfverfahren zur Rechtsstaatlichkeit eingebracht – eine radikale Maßnahme, an deren Ende Polen theoretisch sogar sein Stimmrecht in EU-Gremien verlieren könnte.

Für die Duda-Fraktion ist Trzaskowski das verwöhnte Kind einer großstädtischen Bohème, die sich, so ihr Vorwurf, unkritisch der EU und den Deutschen an die Brust wirft, Prototyp einer Elite, die nach Macht strebt, aber das Volk verachtet.

Am Donnerstag sammelte der Nachrichtenservice TVN24 in einem Beitrag sämtlich jüngere Umfragen zum Wahlausgang. Es kamen Dutzende zusammen – nur kein klares Ergebnis. Das heißt: Der Sieger wird am Sonntag nur einen Hauch vor seinem Widersacher liegen. Der Unterlegene wird das Ergebnis also als eigentlich ungerechte Niederlage empfinden, es juristisch womöglich anfechten. Der Zerfall in zwei Lager werde sich noch verstärken, fürchtet etwa der Historiker Andrzej Friszke: "Ein Teil der Nation betrachtet den anderen als Feind, verweigert das Gespräch und fordert Unterordnung und Schweigen. Das kann sogar zu physischer Aggression führen."

Icon: Der Spiegel

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