Pädagogin erklärt: “Frei begleiten”: Wie man Mädchen zu starken Frauen und Jungen zu modernen Männern erzieht
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Kinder sollten unabhängig ihres Geschlechts entscheiden können, wofür sie sich interessieren.
Geschlechterrollen beeinflussen die Erziehung und können die Entwicklung von Kindern nachhaltig formen. Damit Mädchen und Jungen von heute zu starken Persönlichkeiten von Morgen werden, braucht es Vorbilder – vor allem moderne Väter.
Schon im Kleinkindalter werden Mädchen und Jungen oftmals unterschiedlich behandelt. Mädchen gelten als lieb, süß, empathisch und hilfsbereit, während Jungs stark, mutig und gefasst sein sollen. "Mädchen werden von Anfang an eher für den Haushalt herangezogen oder spielen mit haushaltsähnlichen Dingen, bekommen Puppen, eine Spielküche oder einen Feger", erklärt Susanne Mierau, Kleinkindpädagogin und Bestseller-Autorin, im Gespräch mit ntv.de. Damit wachsen sie schon früh in Rollenbilder hinein, teilweise von Eltern unbeabsichtigt.
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Auch ein Blick in die Kleidungsabteilungen der Modeketten bestätige dieses Bild, sagt Mierau. "Mädchen bekommen schon im Kleinkindalter ganz enge Anziehsachen, die ihre Bewegungsfreiheit einschränken. Die kleinen Hosen haben oftmals keine Taschen, wo sie Dinge mitschleppen können, mit denen sie die Welt erforschen könnten", erklärt die Pädagogin. In der Jungenabteilung finden sich hingegen Hosen mit seitlichen Taschen, für Lupen oder Taschenlampen, die Kleidung ist locker und weit geschnitten und hat Prints wie "strong" oder "brave". Statt stark und mutig, sind Mädchen laut der angebotenen Shirts eher lieb, süß oder hübsch. Diese Aussagen prägen, denn sie beeinflussen die Erwachsenen im Umfeld der Kinder und deren Verhalten.
Die 80er waren bunt, seit den 2000ern ist es rosa und hellblau
Pädagogen wie Mierau wollen genau das ändern. In ihrem Spiegel-Bestseller "New moms for rebel girls" beschreibt sie, wie sich die Erziehung von Mädchen verändern muss, um die alten Stereotype zu durchbrechen, damit Mädchen zu starken und selbstbewussten Frauen werden können. In ihrer eigenen Kindheit in den 1980er Jahren sei es für Kinder sehr bunt gewesen, Jungen und Mädchen seien in Bezug auf ihre Kleidung und Spielzeuge oftmals gleich gehalten worden. "Die rosa-hellblau-Falle kam erst etwas später. Seitdem erleben wir wieder eine kleine Rückwärtsentwicklung", sagt Mierau.

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Dass die Schere zwischen Mann und Frau wieder weiter aufgeht, zeigen auch jüngere Studien aus der Coronapandemie. Frauen waren durch Homeoffice und die gleichzeitige Betreuung von Kindern und Haushalt stärker belastet als Männer. Das belegt unter anderem die Studie "(Digital) arbeiten 2020: Chancengerecht für alle?" des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die FH Bielefeld berichtet in einer Studie, dass Frauen ihre Arbeitszeit häufiger zugunsten von Sorgearbeit reduziert haben, während Männer eher dazu neigten, Überstunden im Beruf zu machen.
Kinder sehen also eher ihre Mütter bei der Hausarbeit und erkennen, dass diese gestresst sind, erklärt Mierau. Für das Selbstbild von Kindern wäre es aber wichtig, Gleichberechtigung zu sehen. "Darf meine Tochter sehen, dass sich auch Mama auf dem Sofa mit einem Buch ausruht? Oder ist Mama die ganze Zeit in Bewegung und tut irgendwas und nur Papa ruht aus?", erklärt Mierau.
Moderne Frauen haben moderne Väter
Denn für die Entwicklung zu selbstbewussten Menschen sei die Partnerschaft der Eltern oder das direkte Umfeld der Alleinerziehenden entscheidend. "Wenn es eine Paarbeziehung der Eltern gibt, haben die Väter tatsächlich einen sehr großen Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder", sagt Mierau. Das zeige sich in vielen alltäglichen Situationen. "Wie geht der Vater mit der Mutter um? Wie kommentiert er das, was sie macht? Wie handeln sie Kompromisse aus?", führt Mierau aus.

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Neben dieser sichtbaren Sorgearbeit sei auch die emotionale Erreichbarkeit der Väter ein wichtiger Punkt. "Im Hinblick auf die Vorbildfunktion der Väter ist es wichtig für Kinder zu sehen, wie sie mit emotionaler Fürsorge umgehen. Begleitet er auch bei Traurigkeit und Wut?", sagt Mierau. Insbesondere Jungen sollten sich das bei ihren Vätern abschauen können, denn bei ihnen komme die emotionale Erziehung traditionell zu kurz.
Jungen und Mädchen sollten frei begleitet werden
Für die aktuelle Erziehung hin zur Gleichberechtigung bedeute das, dass Jungen und Mädchen quasi umgekehrt erzogen werden müssen, sagt Mierau. Während Mädchen ermutigt werden sollten, eigene Grenzen zu setzen und stark zu sein, brauchen Jungen eine andere Art der Zuwendung. "Jungs lernen oftmals keine Social Skills", sagt die Pädagogin. Dabei sollten sie vor allem darin gefördert werden, ihre Gefühle zu regulieren und mit Wut, Neid und Eifersucht umzugehen, ohne körperlich zu werden. "Und dass Erwachsene dieses körperliche Verhalten eben nicht entschuldigen mit: Das sind halt Jungs", sagt Mierau.

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Ziel sollte es laut der Expertin sein, Kinder frei in ihrem Wesen zu begleiten. "Insgesamt ist es so, dass mehr von dem, was wir Jungs viel freier zugestehen, auch bei Mädchen integriert werden sollte und andersrum", empfiehlt Mierau. Eltern sollten ihren Kindern also die Wahl lassen und flexibel auf die Interessen reagieren. Auch Mädchen können und sollen mit Baggern spielen dürfen und Jungen mit Puppen. Wichtig sei, sie in ihrer Persönlichkeit zu unterstützen, egal ob die klassisch einem Geschlecht zugeschrieben werden kann.
Quelle: ntv.de