“Offenes Geheimnis in Industrie”: Ein Speiseöl-Skandal erschüttert China
Wirtschaft

Die chemischen Rückstände in Speiseöl sind extrem gesundheitsschädlich.
In China gibt es einen neuen Lebensmittel-Skandal. Vergiftetes Speiseöl ist im Umlauf. Es war in Chemie-Tankern transportiert worden. Die Regierung bekommt die Lebensmittelsicherheit nicht in den Griff.
Ende Mai, in der Stadt Yanjiao in der chinesischen Provinz Hebei bei Peking. Ein Tanklaster fährt eine Getreide- und Ölfirma an. Nur wenige Tage vorher hatte derselbe Tankwagen Kohleöl transportiert – eine chemische Flüssigkeit, die aus Kohle hergestellt worden ist. Nur eine Stunde später fährt er ab – beladen mit über 30 Tonnen Speiseöl aus Soja.
Das ist ganz normal in China: Dort dürfen Tanklaster alles Mögliche transportieren, sowohl Chemie als auch Lebensmittel, sie sind nicht auf eine bestimmte Ladung spezialisiert.
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Das Problem ist jedoch, dass der Tank bei vielen Tankfahrzeugen nach dem Entladen nicht sauber gemacht und desinfiziert wird. Speiseöl oder andere Lebensmittel werden einfach in den verdreckten Tank gepumpt. Es kommt zu Verunreinigungen und chemischen Rückständen. Diesen Skandal haben Reporter der staatlichen Zeitung Beijing News Anfang Juli aufgedeckt.
Tanklaster werden kaum kontrolliert
Anschließend habe auch der staatliche Fernsehsender China Central Television (CCTV) darüber berichtet, sagt BBC-Korrespondent Stephen MacDonell. Für ihn erstaunlich, weil Medien der Kommunistischen Partei bisher vorgeworfen wurde, derartige Skandale zu vertuschen. "Laut einem dieser Berichte in den staatlichen Medien war das so weitverbreitet, dass es ein offenes Geheimnis in der Industrie war."
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Der Grund, warum so viele Unternehmen ihre Tanks nicht reinigen, ist simpel: Die Betreiber wollen Geld sparen. Speiseölproduzenten wie das staatliche Transport- und Lagerunternehmen Sinograin überprüfen wohl auch nicht richtig, ob die Tanks sauber sind. Die Behörden haben auch den doppelten Verwendungszweck der Tanker sowohl für Lebensmittel als auch für Kraftstoffe nicht im Blick.
Als Beweis, dass ihr Tank sauber ist, müssen die Tankwagenfahrer zwar Fotos vorzeigen. Häufig nutzen sie aber Bilder aus der Vergangenheit. Ob die Aufnahmen aktuell sind, überprüft niemand, heißt es in der Recherche von Beijing News. Wenn die Ladung gewechselt wird, kleben die Unternehmen einfach einen anderen Zettel auf ihren Tanklaster.
Fahrer wollen Leerfahrten vermeiden
Viele Chinesen kritisieren die Tankerfahrer für ihr gesundheitsschädliches Handeln. Der Wettbewerb in der Branche ist aber hart. Die Transportpreise sinken, die Fahrer kämpfen um jede Fracht und haben oft monatelang keine Arbeit. Gleichzeitig müssen sie Kredite für ihre teuren Trucks zurückzahlen, dazu kommen Benzin- und Reparaturkosten sowie Autobahngebühren.
In einem Video in den sozialen Netzwerken hat ein Tankerfahrer vorgerechnet, was er verdient. Umgerechnet gerade mal rund sieben Euro bleiben ihm von drei Tagen Arbeit. Die Reinigungskosten für den Tank sind nicht einmal eingerechnet.
Kohleöl-Transporter müssen ihre Ladung oft zur chinesischen Küste bringen. Dort haben viele Speiseölhersteller ihren Sitz. Deswegen liegt es auf der Hand, dass sie ihren Tank für die Rückfahrt damit vollmachen, um nicht leer zurückzufahren.
Chemie-Reste bleiben unbemerkt
Wenn die Tanker ihr Kohleöl abgeliefert haben, bleiben im Tank mehrere Kilos Flüssigkeit übrig, hat ein Fahrer den Beijing-News-Reportern erzählt. Wenn dieser nicht sauber gemacht wird, mischen sich die Reste mit dem Speiseöl. Weil das Kohleöl transparent ist, fällt das aber auch nicht auf.

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Für den Menschen können diese chemischen Rückstände giftig sein. Öle mit Chemie-Resten können laut der Medienberichte zu Vergiftungen führen, mit Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Langfristig können sie die Atemwege und das Verdauungssystem schädigen.
Der Skandal beunruhigt die Menschen in China, sie haben Angst, sich zu vergiften: In Videos ist zu sehen, wie sie literweise Öl in den Ausguss kippen. Neben Mülltonen stehen etliche weggeworfene, noch volle Ölflaschen.
Einige produzieren sicherheitshalber ihr eigenes Öl. "Es gibt einen kleinen Boom bei den Verkäufen von Ölpressen für zu Hause, mit denen man sein eigenes Öl herstellen kann", berichtet China-Experte Bill Bishop im Podcast "Sharp China".
"Werden bald Ermittlungsbericht bekommen"
Doch was machen die chinesischen Behörden? Das, was sie am besten können: zensieren. Obwohl es sich um den größten Lebensmittelskandal in China seit dem Melamin-Skandal 2008 handelt. Dabei war die giftige Substanz Melamin in Babymilchpulver und anderen Milchprodukten gefunden worden. 300.000 Kinder erkrankten damals, sechs Babys sind gestorben. Als Konsequenz wurden zwei Mitarbeiter von darin verwickelten Unternehmen hingerichtet.
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Über den Öltanker-Skandal sind in China inzwischen kaum noch kritische Artikel zu finden. Einige Meldungen wurden zensiert oder gelöscht, berichtet die China Digital Times. Auf dem chinesischen Twitter-Pendant Weibo seien entsprechende Suchbegriffe gesperrt. Es gibt auch eine App, mit der sich Laster und auch Tankwagen in China orten lassen – die ist plötzlich nicht mehr verfügbar.
Als Konsequenz sind mehrere offizielle Untersuchungen im Gange: Der Staatsrat hat eine Ermittlungsgruppe eingerichtet, die die Standards beim Lebensmitteltransport untersuchen soll. "Sie werden versuchen, die Diskussion zu beruhigen, und dann werden wir ziemlich bald einen Ermittlungsbericht bekommen", erwartet Bishop. "Einige Leute werden verhaftet werden, vielleicht werden einige Beamte auf nicht besonders hoher Ebene ihren Job verlieren. Die Botschaft wird sein: Es wird nicht mehr passieren. Und dann geht es weiter."
Eigentlich ist die Lebensmittelsicherheit ein wichtiges Ziel der chinesischen Regierung. Doch immer wieder gibt es Lebensmittelskandale, mit Babymilch, Fleisch und auch Speiseöl. Obwohl China eins der weltweit strengsten Lebensmittelsicherheitsgesetze hat – das Hauptproblem aber ist die Durchsetzung. Ein Experte formuliert es treffend: Es gibt zu viele Verantwortliche mit zu wenig Verantwortungsgefühl.
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Quelle: ntv.de