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OAN: Donald Trump hat einen neuen TV-Kanal, den er liebt

June 20
00:09 2020
Trumps höfliche Stichwortgeberin: OAN-Korrespondentin Chanel Rion im Weißen Haus Icon: vergrößern

Trumps höfliche Stichwortgeberin: OAN-Korrespondentin Chanel Rion im Weißen Haus

Alex Wong/ Getty Images

Martin Gugino ist ein Rentner, der sich als Friedensaktivist engagiert. Der 75-Jährige kämpft für progressive Anliegen, gehört zum Catholic Worker Movement, einer christlichen Sozialbewegung. Er twittert gern gegen US-Präsident Donald Trump.

Vorletzte Woche besuchte Gugino eine Anti-Rassismus-Demo in Buffalo, einer Stadt im US-Bundesstaat New York. Ein Polizist stieß den alten Mann so hart zu Boden, dass er mit dem Kopf auf dem Boden aufprallte und sich verletzte. Doch erst nach der Veröffentlichung eines Videos, das den Vorfall dokumentiert, wurden der Polizist und ein weiterer, der tatenlos zugesehen hatte, wegen Körperverletzung angeklagt.

Der kleine US-Kabelsender OAN sieht die Sache anders. "Neue Details in Martin Guginos Story", verhieß er seinen Zuschauern. "Sie legen nahe, dass er ein Anarchist war und möglicherweise Mitglied radikaler, linksextremer Gruppen wie der Antifa."

Es ist die gleiche Rhetorik, die auch US-Präsident Donald Trump gegen die meist friedlichen Demonstranten verwendet. Gugino sei kein "netter alter Mann", sagte ein OAN-Reporter, sondern "ein Provokateur der radikalen Linken" mit "Verbindungen zur gewalttätigen Terrorgruppe Antifa".

Als "Beweise" für diese Behauptungen führte der Reporter vor allem aus dem Zusammenhang gerissene Internet-Schnipsel an – und zitierte anonyme "Notärzte", die Guginos Kopfverletzung infrage gestellt hätten. Guginos Ziel, sagte er in einem weiteren Bericht, sei nichts Geringeres als "die Zerstörung Amerikas".

Wilde Verschwörungstheorien bei OAN

OAN (One America News) ist ein kleiner Sender. Er erreichte letztes Jahr theoretisch gerade mal 35 Millionen der 120 Millionen TV-Haushalte Amerikas. Vermutlich wäre der Bericht schnell verpufft, als ein Beitrag von vielen, mit dem Trumps Anhänger die US-Protestbewegung seit dem Tod von George Floyd diskreditieren wollen. Allein: Der US-Präsident hat seinen vielen Millionen Twitter-Followern den Beitrag persönlich empfohlen. Gugino "könnte ein Antifa-Provokateur sein", schrieb er unter Verweis auf OAN. "Ich sah es, er fiel härter, als er gestoßen wurde." Und fügte hinzu: "War es eine Falle?"

OAN ist Trumps neuer Lieblingssender. Der Rechtsaußenkanal und der Präsident flirten nicht mehr nur miteinander – die jüngste Episode ist ein Musterbeispiel für ihre immer engere Symbiose, die beiden nutzt. Mit seinen wilden Verschwörungstheorien und seiner schamlosen Umarmung Trumps übertrifft OAN sogar Fox News.

Trump nörgelt schon länger über Fox News

Bisher war der konservative Kanal Fox News Trumps Stichwortgeber. Doch seit Monaten nörgelt Trump, dass der quotenstärkste Sender die einstige Loyalität vermissen lasse. "Fox arbeitet nicht mehr für uns!", beschwerte er sich bereits im vergangenen Jahr, als sei es ein Staatssender.

OAN findet Trump hingegen mittlerweile ausgezeichnet. "Glückwunsch an OAN für die tolle Arbeit, die Ihr leistet, und für den großen Quotenanstieg ('danke, Präsident Trump')!", twitterte er im Mai. Eine bessere Produktplatzierung lässt sich nicht kaufen.

OAN kann die Unterstützung aus dem Weißen Haus gut gebrauchen. Nach eigenen Angaben ist OAN zwar der viertgrößte US-Nachrichtensender hinter Fox News, CNN und MSNBC. Doch der Marktforschungskonzern Nielsen wies OAN laut CNN bei einer Stichprobe nur zwei Prozent der Fox-News-Quote zu. Fragen des SPIEGEL zu seiner Reichweite, seiner Tendenz und zum Fall Gugino ließ OAN unbeantwortet.

Gegründet wurde OAN 2013 vom Tech-Milliardär Robert Herring. Der gibt sich nach außen konservativ, hat aber auch an Demokraten gespendet. "Hauptsache Geschäft", sagt ein früherer OAN-Produzent dem SPIEGEL.

Auf Twitter präsentiert sich Herring heutzutage als großer Trump-Fan. Neulich erst propagierte er, im Gleichschritt mit Trump, das kontroverse Malaria-Medikament Hydroxychloroquine als Corona-Heilmittel.

Tech-Milliardär Herring entdeckt eine Marktlücke – ganz rechts

OAN sendet aus einem Industriepark in San Diego und nennt sich eine "zuverlässige Nachrichtenquelle". Früher sei es tatsächlich ein "strikter Newssender" gewesen, sagt der Ex-Produzent, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will. Doch schon damals seien Mitarbeiter intern ermutigt worden, politisch Flagge zu zeigen: Herring habe eine Marktlücke gewittert, "weil Fox News nicht rechtslastig genug war".

Heute steht OAN unverblümt zu Trump – und je weiter der nach rechts driftet, desto abenteuerlicher scheint auch das OAN-Programm zu werden. Ein Beispiel: Der Sender flankierte Trumps Impeachment mit einem "Exposé", das von dessen Anwalt Rudy Giuliani mitgestaltet wurde ("atemberaubende Propaganda", fand die "Washington Post"). TV-Satiriker John Oliver beschreibt OAN als "Fox News mit weniger Schamgefühl und noch weniger Skrupel".

OAN-Chefkommentator Graham Ledger wirkt wie Fox-Star Sean Hannity auf Speed:

  • Er bezeichnet Sexualkunde als "faschistisch-linksradikale Ideologie",

  • verhöhnt George Floyd als "Profi-Kriminellen",

  • die Bewegung "Black Lives Matter" als "bullshit",

  • New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo als Marxisten,

  • und würde lieber "als freie Person am Coronavirus sterben" als "ein Sklave der Regierung" zu sein. Sich wegen der Corona-Pandemie nicht die Haare schneiden lassen zu können, sei "wie unter Hitler zu leben", donnerte er – auf dem Weg zum Friseur.

Aber auch die Nachrichtenabteilung macht längst keinen Hehl mehr aus ihrer Trump-Affinität. Allen voran Chanel Rion, die OAN-Korrespondentin im Weißen Haus. Für die 30-Jährige ist dies der erste Journalistenjob. In ihrem Lebenslauf preist sie sich als "Trumps standhafteste Kriegerin gegen den Linksradikalismus". Auf ihren Social-Media-Kanälen postet sie gern glamouröse Fotos von ihren Treffen mit der Trump-Familie.

Bei seinen Pressekonferenzen gibt Trump stets Rion das Wort. Manchmal murmelt er schon vorher "very nice". Denn ihre Fragen sind stets höfliche Stichworte – etwa, ob Trump erwäge, seinen Vorgänger Barack Obama zu "begnadigen".

Welchen Einfluss nimmt Russland auf die OAN-Berichterstattung?

Die Berichterstattung im Fall von Martin Gugino ist jedoch ein neuerlicher Tiefpunkt in der Berichterstattung von OAN. Einer der zahlreichen Berichte über den Fall des betagten Trump-Gegners stammte von OAN-Mitarbeiter Kristian Rouz.

Laut eidesstattlicher Erklärung, die dem SPIEGEL vorliegt, arbeitete Rouz lange parallel als Freelancer für die staatliche russische Agentur Sputnik. Er dementiert jedoch energisch, vom Kreml als Propagandist bezahlt worden zu sein, wie die Website "Daily Beast" schrieb.

Auch OAN-Eigner Herring verwehrt sich dagegen, etwas mit Russland zu tun zu haben. So verklagte er MSNBC-Star Rachel Maddow, die OAN als "bezahlte russische Propaganda" bezeichnet hatte, wegen Verleumdung. Die Klage wurde Ende Mai abgewiesen, Herring hat Berufung eingelegt.

Zu der Gugino-Berichterstattung von OAN steht Herring felsenfest. Die Mainstream-Medien, twitterte er dieser Tage, hätten diese kritisiert, aber bisher nicht widerlegt.

Icon: Der Spiegel

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