News zum Russland-Ukraine-Krieg: Das geschah in der Nacht zu Freitag (30. Dezember)
Laut ukrainischem Präsidenten gibt es in weiten Teilen des Landes keinen Strom. Belarus will eine Erklärung für Raketenfragmente auf seinem Territorium. Und: Großbritannien schickt Metalldetektoren. Die wichtigsten Entwicklungen.
Was in den vergangenen Stunden geschah
Die massiven russischen Raketenangriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine haben nach Angaben Kiews zu Stromausfällen in weiten Teilen des Landes geführt. »Heute Abend kommt es in den meisten Regionen der Ukraine zu Stromausfällen«, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Donnerstagabend in einer Videoansprache. »Besonders schwierig« sei die Lage unter anderem in der Region Kiew und in der Hauptstadt selbst, in der westlichen Region Lwiw sowie in den Regionen Odessa und Cherson im Süden des Landes.
Von insgesamt 69 abgefeuerten Geschossen habe die ukrainische Luftabwehr aber 54 abgefangen, erklärte der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Walery Saluschny. In der ostukrainischen Großstadt Charkiw starb nach Angaben des Regionalgouverneurs mindestens ein Mensch bei dem Beschuss.
Die ukrainische Luftwaffe teilte mit: »Der Feind greift die Ukraine an mehreren Fronten an, mit Marschflugkörpern, die von Flugzeugen und Schiffen aus abgefeuert werden«. Oberbefehlshaber Saluschny sprach im Onlinedienst Telegram von »Raketenterror gegen die friedliche Bevölkerung«.
Neben dem Toten in Charkiw wurden mehrere Menschen bei den jüngsten russischen Luftangriffen verletzt, wie ukrainische Vertreter mitteilten. In der Hauptstadt Kiew wurden drei Menschen durch den Beschuss verletzt, wie Bürgermeister Vitali Klitschko auf Telegram berichtete. Unter anderem wurden demnach im Osten Kiews zwei Häuser von Fragmenten abgeschossener Raketen getroffen. 40 Prozent der Einwohner der Hauptstadt seien von Stromausfällen betroffen.
In der südukrainischen Stadt Cherson wurden nach Angaben des Präsidialbüros zwei Menschen beim Angriff auf eine medizinische Einrichtung verletzt. Über der südlichen Region Odessa wurden nach offiziellen Angaben 21 Raketen abgefangen, in der Hafenstadt selbst wurden demnach die Energieinfrastruktur beschädigt und der Strom vorsorglich abgeschaltet.
Der russische Beschuss reichte diesmal bis weit in den Westen der Ukraine. Raketen schlugen in der ländlichen Karpaten-Region Iwano-Frankiwsk ein, die fast 1000 Kilometer von Russland entfernt ist und nahe der Grenze zu Rumänien und der Slowakei liegt. In der westlichen Stadt Lwiw waren nach mehreren Explosionen nach Angaben des dortigen Bürgermeisters sogar 90 Prozent der Haushalte ohne Strom. Es drohte dort ein Ausfall der Wasserversorgung.
Die ukrainischen Streitkräfte haben nach eigener Darstellung russische Stützpunkte in der Umgebung der Industrie- und Hafenstadt Berdjansk im Südosten des Landes angegriffen. Dabei seien rund 50 russische Soldaten »liquidiert« worden, teilte der Generalstab in Kiew mit. Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.
Die Militärs in Kiew machten keine Angaben dazu, mit welchen Waffensystemen Berdjansk angegriffen wurde. Die Stadt am Asowschen Meer liegt knapp 100 Kilometer hinter den aktuellen Frontlinien.
Das sagt Kiew
Russland rückt mit jedem weiteren Raketenangriff gegen die Ukraine nach Ansicht von Präsident Selenskyj näher an ein Internationales Tribunal heran. »Mit jedem solchen Raketenangriff treibt sich Russland nur noch tiefer in eine Sackgasse«, sagte Selenskyj am Donnerstagabend in seiner täglichen Videoansprache.
Der »Status des größten Terroristen der Welt« werde sich noch lange auf Russland und seine Bürger auswirken. »Und jede Rakete bestätigt nur, dass das alles mit einem Tribunal enden muss, genau so wird es sein«, sagte Selenskyj. In seinen Unterredungen mit ausländischen Staats- und Regierungschefs versucht der ukrainische Staatschef, deren Unterstützung für einen Internationalen Strafgerichtshof nach dem Vorbild des Nürnberger Tribunals zu gewinnen, vor dem sich Politiker und Militärs aus Moskau für den Angriffskrieg gegen die Ukraine verantworten sollen.
Nach dem Fund einer Rakete auf dem Staatsgebiet von Belarus hat das ukrainische Verteidigungsministerium seine Mitarbeit an den Untersuchungen des Vorfalls angeboten. In einer am Donnerstagabend veröffentlichten Erklärung des Ministeriums in Kiew heißt es, dass die Behörde zu einer »objektiven Untersuchung des Vorfalls« bereit sei. Staatsmedien in der belarussischen Hauptstadt Minsk hatten berichtet, dass eine vom Flugabwehrsystem S-300 abgeschossene Rakete am Donnerstagvormittag auf belarussisches Staatsgebiet gefallen sei.
Das Verteidigungsministerium in Kiew wies darauf hin, dass die Ukraine am Donnerstag von einer Welle russischer Marschflugkörper angegriffen worden sei. »Daher ist auch eine Provokation von Seiten des Terroristen-Staats Russland nicht auszuschließen, der eine Flugroute seiner Marschflugkörper so ausgewählt hat, um ihren Abschuss im Luftraum über Belarus zu provozieren«, hieß es. Das wäre ein ähnlicher Vorfall wie im November, als polnisches Gebiet getroffen wurde.
Der belarussische Langzeit-Machthaber Alexander Lukaschenko war über den Vorfall informiert worden. Das belarussische Außenministerium berief den ukrainischen Botschafter ein und äußerte »scharfen Protest«. Der Vorfall müsse umgehend untersucht werden, da derartige Vorkommnisse »katastrophale Folgen« haben könnten und sich nicht wiederholen dürften, erklärte das Ministerium.
Belarus ist nicht direkt an Kampfhandlungen in der Ukraine beteiligt. Allerdings hat Lukaschenko russischen Truppen die Militärbasen in dem Land für Angriffe auf die Ukraine überlassen.
In der Ukraine sind die Sorgen groß, dass Russland von Belarus aus einen neuen Angriff starten könnte. Ein solcher Fund einer Rakete könnte von Belarus und Russland als Vorwand genutzt werden, um von dort aus wieder aktiv zu werden.
Das sagt Moskau
In Moskau weihte am Donnerstag Präsident Wladimir Putin in einer Zeremonie per Videobotschaft mehrere neue Kriegsschiffe ein, darunter ein U-Boot, das Atomraketen abfeuern kann. Putin kündigte die Produktion weiterer Schiffe an und rühmte die Fähigkeiten der russischen Marine.
Die russische Armee gilt trotz der Modernisierung, die sich Putin als Priorität gesetzt hat, noch immer als teils unzureichend ausgerüstet und schlecht organisiert. Bei ihrer Invasion der Ukraine hat sie eine Reihe von Rückschlägen hinnehmen müssen.
Humanitäre Lage
Seit Kriegsbeginn in der Ukraine werden nach Angaben der ukrainischen Präsidentenberaterin Alona Verbytska Tausende Soldaten und Zivilisten vermisst. »Russland hat aktuell 3392 ukrainische Kriegsgefangene bestätigt, aber in der Ukraine gelten derzeit 15.000 Menschen als vermisst, darunter viele Zivilisten«, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Freitag). Das Schicksal dieser Menschen sei völlig ungewiss, sagte Verbytska, die sich als Ombudsfrau für die Rechte ukrainischer Soldaten engagiert.
»Wir wissen nicht, was mit ihnen geschehen ist«, sagte sie. »Befinden sie sich auch in russischer Kriegsgefangenschaft, sind sie aus russisch besetzten Gebieten verschleppt oder womöglich längst umgebracht worden?« Diese Ungewissheit sei vor allem für die Angehörigen schrecklich.
Ukrainische Behörden haben wiederholt darauf hingewiesen, dass ganze Familien und auch Kinder aus den besetzten Gebieten nach Russland verschleppt würden.
Internationale Reaktionen
Großbritannien stellt der Ukraine mehr als 1000 Metalldetektoren und 100 Sets zur Entschärfung von Bomben zur Verfügung. »Russlands Einsatz von Landminen und der Angriff auf die zivile Infrastruktur unterstreichen die schockierende Grausamkeit von Putins Invasion«, sagt der britische Verteidigungsminister Ben Wallace einer Erklärung zufolge. Die von der deutschen Firma Vallon hergestellten Metalldetektoren und Sets helfen der Ukraine, »Land und Gebäude sicher zu räumen, während sie ihr rechtmäßiges Territorium zurückerobern«. Außerdem kündigte Wallace an, dass Großbritannien der Ukraine auch im Jahr 2023 2,3 Milliarden Pfund an Militärhilfe zur Verfügung stellen werde.
US-Präsident Joe Biden hat das neue Haushaltsgesetz seiner Regierung unterzeichnet, das unter anderem milliardenschwere Hilfen für die Ukraine vorsieht. Mit seiner Unterschrift setzte Biden am Donnerstagabend (Ortszeit) den von beiden Kongresskammern gebilligten Etat mit einem Volumen von 1,7 Billionen US-Dollar in Kraft. Für die Unterstützung der Ukraine sind rund 45 Milliarden US-Dollar vorgesehen.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat Deutschland und die anderen Bündnisstaaten zu weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine aufgerufen. »Es mag paradox klingen, aber militärische Unterstützung für die Ukraine ist der schnellste Weg zum Frieden«, sagte der Norweger der Nachrichtenagentur dpa. Hintergrund sei, dass Russlands Präsident Wladimir Putin davon überzeugt werden müsse, dass er sein Ziel, die Kontrolle über die Ukraine zu übernehmen, nicht erreichen werde. Dann könne es eine friedliche Verhandlungslösung geben, die ein Überleben der Ukraine als unabhängiger demokratischer Staat gewährleiste.
Was heute passiert
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Der russische Präsident Putin und Chinas Staatschef Xi Jinping wollen am Freitag ein Gespräch per Videoleitung führen. Nach Angaben des Kremls wird sich der Meinungsaustausch um »die wichtigsten regionalen Probleme« drehen – sowohl solche, »die Russland näher liegen«, als auch solche, »die China näher liegen«. Angesichts der internationalen Verurteilung der russischen Offensive in der Ukraine und der westlichen Sanktionen will Putin seine Beziehungen zu Peking verstärken und die wirtschaftliche Zusammenarbeit ankurbeln. Die beiden Länder verstehen sich als geopolitisches Gegengewicht zu den USA und ihren Verbündeten.

