News: Frank-Walter Steinmeier, Bundeswehr, Letzte Generation, Klimawandel, Tour de France
Die tragische Figur Steinmeier
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besucht heute die Gebirgsjägerbrigade 23 des Heeres im bayerischen Bad Reichenhall. Vermutlich hätte der Präsident auch ohne den Krieg in der Ukraine Gebirgsjägern und anderen Soldaten mal einen Besuch abgestattet. Im Zuge der von Bundeskanzler Olaf Scholz kurz nach Kriegsbeginn ausgerufenen »Zeitenwende« wirkt ein solcher Besuch gleich anders: als Teil eines neuen politischen Kurses.
Hinter der »Zeitenwende« steckt ja nicht nur die Rechtfertigung für das hundert Milliarden schwere »Sondervermögen« für die Bundeswehr. Ihre Ausrufung sollte zugleich für einen geänderten, vermutlich wertschätzenderen Blick auf die Armee und das Militärische an sich stehen. In der Bundesrepublik hatte man ja aus gutem Grunde lange Zeit ein, sagen wir, etwas distanzierteres Verhältnis zu Waffen und Soldaten als in anderen Ländern.
Nun besucht der Bundespräsident also die Gebirgsjäger. Er wird das sicher souverän machen, wird die richtigen, wohltemperierten Worte finden. Und trotzdem ist es seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine kompliziert für Steinmeier. Wenn er sich zu diesem Krieg verhält, kann er es eigentlich nur falsch machen. Weil er wie kein zweiter Politiker, der heute noch in Amt oder Würden ist, für den Schmusekurs mit Russland stand. Auch deshalb hatte die ukrainische Führung anfangs kein Interesse an einem Besuch Steinmeiers in Kiew.
Würde Steinmeier in dieser Situation beispielsweise die Lieferung weiterer Waffen an die Ukraine hinterfragen, würde er gleich wieder als Kremlfreund kritisiert. Andererseits wirkt es auch seltsam, wenn der Bundespräsident als einer von wenigen deutschen Politikern die amerikanische Lieferung von zu Recht geächteter Streumunition an die Ukraine rechtfertigte. Man dürfe den Vereinigten Staaten da »nicht in den Arm fallen«. Da denkt man dann: Hier muss jemand wohl überkompensieren, um ja nicht noch mal als Kremlfreund verdächtigt zu werden. Steinmeier ist in gewisser Weise zur tragischen Figur geworden.
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Krieg in der Ukraine: Nein zu Streubomben 
Letzte Generation und letzte Instanz
Die Letzte Generation beschäftigt das Land, auch heute wieder. Hoffentlich nicht bei der Fahrt zur Arbeit oder in den Urlaub. In jedem Fall aber vor Gericht und auf dem Podium. In Berlin beginnt heute ein sogenanntes beschleunigtes Verfahren gegen einen Aktivisten, der im April die Fassade der FDP-Parteizentrale in Berlin-Mitte mit einer Öl ähnlichen Flüssigkeit beschmiert haben soll. Zudem wurden mehrere Plakate mit originellen Inhalten wie diesem an die Fassade geklebt: »FDP: Profis im Blockieren, Kleben am Verbrenner« stand unter anderem darauf.
In Hannover wiederum findet heute eine Podiumsdiskussion zum Thema »Klimaproteste aus der Perspektive des Rechts. Hannovers Verständigung mit der ›Letzten Generation‹« statt. Diskutiert werden soll die Frage, ob das »Recht dem Unrecht weicht«, wenn auf Gespräche mit der Letzten Generation eingegangen wird.
Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay von den Grünen hatte der Letzten Generation zugesichert, dass er ihre zentralen Forderungen teilen und sich für sie einsetzen werde. Im Gegenzug hatten die Aktivisten zugesichert, Hannover künftig mit Protestaktionen zu verschonen.
Ich finde es falsch, sich von den Aktivisten erpressen zu lassen (Onay bekundet, er sei nicht erpresst worden, sondern teile die Forderungen ohnehin aus Überzeugung). Und es ist richtig, gegen Straftaten wie Sachbeschädigung juristisch vorzugehen. Aber wo wir schon mal bei Recht und Gesetz sind: Dass die Bundesregierung vom Grundgesetz dazu verpflichtet ist, konkretere und verbindlichere Schritte für den Klimaschutz zu unternehmen, weil sonst die Freiheitsrechte künftiger Generationen massiv eingeschränkt werden, sollte bei aller Empörung über die Aktivisten auch nicht ganz vergessen werden.
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Schnellverfahren gegen Klimaaktivisten: Kurzer Prozess? Denkste! 
Tour-ismus der Superlative
Am heutigen Nachmittag, auch schon mal als Hinweis an die lieben Kollegen, werde ich wahrscheinlich nicht ansprechbar sein. Bei der Tour de France steht heute das Bergzeitfahren auf dem Programm, 22 Kilometer gegen die Uhr, jeder für sich. Es ist gut möglich, dass der Kampf ums Gelbe Trikot heute entschieden wird.
Die Tour ist nach Jahren im Dopingsumpf und Jahren der Langeweile wieder zu einem absolut faszinierenden Ereignis geworden (ohne Langeweile ist garantiert, ohne Doping leider nicht). Einen großen Anteil daran haben die beiden führenden Athleten, der Däne Jonas Vingegaard und der Slowene Tadej Pogačar. Nach 60 Stunden im Sattel und zigtausend gefahrenen Kilometern trennen die beiden genau zehn Sekunden. So spannend war die Tour seit Ewigkeiten nicht mehr. Fast täglich nimmt der eine dem anderen ein paar Sekunden ab. Ich persönlich bin Team Pogačar, weil ich ihn, zumindest aus der Ferne des Fernsehzuschauers, sympathischer finde und seinen Fahrstil aufregender. Aber das kann man natürlich auch anders sehen.
Am Ende dieser Schwärmerei habe ich noch zwei Tipps für sie:
Für alle, die bereits der Tour verfallen sind, genau wie für jene, denen sich die Faszination dieses Rennen bislang noch nicht erschlossen hat, empfehle ich die neue Netflix-Serie »Im Hauptfeld«. Deren Macher begleiteten im vergangenen Jahr zahlreiche Teams durch die dreiwöchige Rundfahrt. Hier wird zum Beispiel deutlich, wie viel Teamtaktik und Teamwork zu diesem Rennen gehört, das im Fernsehen oft wie das große Duell der Egomanen wirkt.
Und wenn es um die laufende Tour geht, empfehle ich die Berichte meines Kollegen Peter Ahrens hier auf SPIEGEL.de. Der liefert nämlich feinste Doku-Qualität im Tagesrhythmus.
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Tour de France: Nach 60 Stunden auf dem Rad zehn Sekunden Vorsprung 
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Wie hoch lag der Frauenanteil im Deutschen Bundestag, als dieser 1949 erstmals zusammentrat?
Verlierer des Tages…
…sind alle Menschen in Deutschland, die sich nicht mal eine Woche Urlaub im Jahr leisten können. Das sind 21,9 Prozent der Bevölkerung, wie aus einer Anfrage der Linken im Deutschen Bundestag hervorgeht, unter Alleinerziehenden sogar 42 Prozent. Mich haben diese Zahlen zutiefst deprimiert. Als privilegierter Mensch mit Job und gutem Einkommen kann ich trotzdem nur erahnen, wie sich ein Alltag ohne Aussicht auf Urlaub anfühlt.
In einem insgesamt so wohlhabenden und vermögenden Land wie Deutschland sollte es für alle ein Recht auf Urlaub geben. Am besten, indem die Entlohnung im Lande so menschenwürdig wird, dass sich alle Arbeitenden mindestens eine Woche Urlaub leisten können. Und andernfalls mit einem staatlichen Urlaubsgeld.
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Einen heiteren Dienstag wünscht Ihnen
Ihr Markus Feldenkirchen, Autor im SPIEGEL-Hauptstadtbüro

