News des Tages: Inflation, Polizistenmörder, Kusel, Fußball-WM in Katar
1. Inflation: Das Schlimmste ist vorbei
Nichts elektrisiert uns Journalisten mehr als die Aussicht auf eine finstere Zukunft, schrieb ich nur leicht ironisch vor einigen Tagen, nachdem hier auf SPIEGEL.de mal wieder fast nur schlechte Nachrichten zu lesen waren. Umso bemerkenswerter finde ich die hoffnungsvolle Analyse, in der sich mein Kollege Tim Bartz heute mit dem deutschen Sorgenthema Nummer eins beschäftigt, der Inflation. »Ökonomen blicken verhalten optimistisch auf die Teuerung«, schreibt Tim: »Das Schlimmste ist wohl vorbei.«
Das ist nun wirklich eine gute Nachricht.
Tim stützt sich auf eine Reihe positiver Indikatoren. Im Oktober sind die Erzeuger- und die Energiepreise im Vergleich zum Vormonat gefallen, zum ersten Mal seit zweieinhalb Jahren. Die jüngsten Tarifabschlüsse in der wichtigen Metallindustrie fielen eher moderat aus; die IG Metall hat mit ihrem klugen Verhalten nicht weiter an einer Lohn-Preis-Spirale gedreht. Und weil der Dollar gegenüber dem Euro wieder etwas schwächelt, müssen die Europäer weniger für US-Waren zahlen; dadurch nimmt die sogenannte importierte Inflation ab.
Für eine weitere gute Wirtschaftsnachricht auf spiegel.de sorgte heute das Berliner Forschungsinstitut DIW. Laut dem heute veröffentlichten Konjunkturbarometer zeigt sich die deutsche Wirtschaft »widerstandsfähiger als gedacht«. Die Wahrscheinlichkeit einer Gasmangellage habe sich verringert. Die Entlastungspakete der Bundesregierung trügen dazu bei, die Folgen der Krise abzufedern.
Wird nun also alles gut? So weit würden wir nicht gehen, wir sind ja immer noch der SPIEGEL. Aber am Horizont leuchtet heute immerhin ein Silberstreif.
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Das Schlimmste ist wohl vorbei
2. Kusel: Lebenslang für den Polizistenmörder
Wegen des Mordes an zwei Polizisten Ende Januar bei Kusel in Rheinland-Pfalz ist der Angeklagte Andreas S. zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Landgericht Kaiserslautern stellte heute zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Damit gilt es als nahezu ausgeschlossen, dass der heute 39-Jährige schon nach 15 Jahren aus dem Gefängnis entlassen werden könnte.
Andreas S. hatte bei einer Kontrolle eine 24 Jahre alte Polizeianwärterin und einen fünf Jahre älteren Polizeikommissar mit Kopfschüssen getötet. Seine Tat habe »Hinrichtungscharakter« gehabt, so die Staatsanwaltschaft. Offenbar wollte S. seine Jagdwilderei vertuschen. In seinem Kastenwagen sollen 22 frisch geschossene Rehe und Hirsche gelegen haben.
Den Nebenangeklagten Florian V. sprach das Landgericht zwar der Mittäterschaft der gewerbsmäßigen Jagdwilderei schuldig. Es sah aber von Strafe ab, da der 33-Jährige bereits vor Prozessbeginn umfassend ausgesagt hatte. Er habe damit zur Aufklärung des Verbrechens beigetragen, hieß es. Der Mann soll nicht geschossen haben.
Meine Kollegin Julia Jüttner hat den Prozess in den vergangenen Monaten beobachtet . Sie schreibt, dass Andreas S. schon lange vor seiner Tat dadurch aufgefallen war, dass er sein Wildfleisch damit bewarb, die Tiere durch Kopfschüsse getötet zu haben. So sorgte er für ein Maximum an verwertbarem Wildbret. »Die Metzger, die er mit Wild belieferte, kannten seine Art zu töten, und sie schätzten sie«, schreibt Julia. Auch Andreas S. schien fast ein wenig stolz darauf zu sein. Jedenfalls habe er, so Julia, zustimmend genickt, als einmal ein Kriminalhauptkommissar im Gerichtssaal sagte: »Tja, Kopfschuss ist Ihre Visitenkarte.«
Als Jagdscheinbesitzer frage ich mich allerdings, wieso Andreas S. nicht gestoppt wurde, bevor er seine Kopfschüsse auch gegen Menschen richtete. Kein normaler Jäger käme auf die Idee, bei frei laufendem Wild auf das Haupt zu zielen, weil die Gefahr, das Tier auf quälerische Weise zu verletzten, viel zu groß ist. Ein absichtlicher Kopfschuss ist daher nicht weidgerecht – und das weiß auch jeder Metzger, der Wildfleisch ankauft.
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Lesen Sie hier mehr: Kopfschuss im Morgengrauen
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Und: »Ein Verdeckungsmord, der besonders schwer wiegt«
3. Katar: Das Gespenst der Fußball-WM
Die Gruppenphase bei der Fußball-WM geht dem Ende zu; morgen kommt es zum entscheidenden Spiel der Deutschen gegen Costa Rica um den Einzug ins Achtelfinale. Etwa die Hälfte der bisherigen Partien habe ich zumindest mit einem Auge mitverfolgt und war angenehm überrascht, welch hohes Niveau auch ehemalige sogenannte Fußball-Entwicklungsländer inzwischen erreicht haben, von Iran und Saudi-Arabien bis zu USA und Kanada. Ich finde, sportlich gesehen ist es bislang eine gute WM. Und heute Abend freue ich mich auf das Duell Polen gegen Argentinien, Lewandowski gegen Messi.
Mein Kollege Christoph Scheuermann schreibt in unserer täglichen WM-Kolumne über das Fußballmaskottchen La’eeb:
»Mexiko hatte im Jahr 1986 eine grüne Chilischote mit Sombrero namens Pique, in Frankreich 1998 war es der Hahn Footix, in Deutschland 2006 Goleo, der Löwe. Seit Jahrzehnten hat jede WM ein mehr oder weniger helles Maskottchen. In Katar ist es ein fliegendes Tischtuch. Es heißt La’eeb und redet, als wäre es auf einem Acid-Trip.
La’eeb lebt, wie er in einem Video der Fifa erklärt, im Mascot-Verse, einer Parallelwelt, die man durch ein blaues Portal betreten kann. Diese Parallelwelt existiere seit Anbeginn der Zeit, sagt er, es leben auch andere Maskottchen darin. Wir sehen Naranjito aus Spanien (1982), der gegen einen Hydranten stolpert, Goleo redet (flirtet?) mit einer Frau, während Gauchito aus Argentinien (1978) an einem Hydranten lehnt. Ohnehin gibt es viele Hydranten im Mascot-Verse. Vermutlich aus feuerpolizeilichen Gründen.
La’eeb erklärt, dass er und seine Freunde im »Maskottchen Akkreditierungs-, Wachstums- und Integrationszentrum« arbeiten, wo sie seit Jahrtausenden den Menschen dabei helfen, besser zu werden. Bessere Menschen. Ein Tischtuch und seine Kumpels.
Wie viel LSD war bei der Entwicklung von La’eeb im Spiel? Was will er uns sagen? Am Ende des Videos liegt er am Strand, saugt an einem Cocktailstrohhalm und erklärt, dass die Maskottchen den Fußball auf die Welt gebracht haben. Nicht wir. Im Netz zirkuliert bereits die These, wonach La'eeb im Zentrum einer Portal-Ufo-Alien-Verschwörung steht. Wer weiß, vielleicht kann er uns am Donnerstag gegen Costa Rica helfen.
Die traurige Wahrheit ist, dass La’eeb lügt. Ich habe recherchiert, woher er wirklich stammt: aus einer Stofftierfabrik in Dongguan, Südchina.«
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Lesen Sie hier mehr: Die bizarre Geschichte des Gespensts von Katar
Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
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Explosion in ukrainischer Botschaft – ein Mitarbeiter verletzt: In der ukrainischen Vertretung in Madrid hat ein Mitarbeiter Berichten zufolge bei einer »Verpuffung« Verletzungen erlitten. Grund war offenbar eine Briefbombe.
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»Dieses Gerät hat sich sehr gut bewährt«: Im Sommer übergab Deutschland der Ukraine MARS-II-Raketenwerfer an die Ukraine. Aufnahmen zeigen nun eine der Waffen im Kriegseinsatz.
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So unterscheiden Sie Krieg und Kriegsspiel: Immer wieder kursieren im Netz Szenen, die angeblich den Ukrainekrieg dokumentieren, in Wahrheit aber aus Videospielen stammen. Ein bekannter Hersteller setzt dem nun ein Aufklärungsvideo entgegen.
Was heute sonst noch wichtig ist
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Baerbock warnt Türkei vor Bodenoffensive in Nordsyrien: Die Türkei macht Kurden für einen Anschlag in Istanbul verantwortlich – Staatschef Erdoğan droht deshalb mit einer Bodenoffensive in Nordsyrien. Außenministerin Baerbock drängt den Nato-Partner zur Zurückhaltung.
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So will die Ampelkoalition »helfende Hände und kluge Köpfe« gewinnen: Mit einer neuen Strategie zur Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland will die Regierung den Engpass auf dem Arbeitsmarkt eindämmen. Ein Überblick über die wichtigsten Eckpunkte der geplanten Änderungen.
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Russische und chinesische Kampfflugzeuge fliegen gemeinsame Patrouillen: Chinesische Bomber und russische SU-35-Kampfjets haben laut südkoreanischen Angaben eine Pufferzone außerhalb des Luftraums des Landes durchflogen. Seoul schickte daraufhin eigene Flugzeuge in die Luft.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Mythos Dehydrierung
Auf Ernährungstipps gebe ich normalerweise keinen Pfifferling, mit einer Ausnahme: viel trinken! »Mindestens zwei Liter Flüssigkeit pro Tag«, predigen Expertinnen und Experten. Und so sieht man ständig Menschen, die in der Öffentlichkeit an großen Wasserflaschen nuckeln.
Umso überraschter war ich über einen Artikel meiner Kollegin Julia Koch aus dem Wissenschaftsressort, wonach die eherne Zweiliter-Regel Blödsinn ist und die Angst vor Dehydrierung in vielen Fällen unbegründet. »Es gibt keine wissenschaftliche Grundlage für die aktuellen Empfehlungen«, sagt etwa Yosuke Yamada vom National Institute of Biomedical Innovation im Japanischen Osaka, »niemand weiß, woher diese Empfehlung kommt.« Und John Speakman, Stoffwechselexperte an der schottischen Universtity of Aberdeen, sagt, eine Richtlinie für alle sei »schlicht verrückt«.
Dem Zweiliter-Schmus auf die Spur kamen die Wissenschaftler, indem sie den Wasserumsatz von mehr als 5500 Probanden aus 23 Ländern untersuchten. Die Versuchsteilnehmer tranken jeweils ein Glas Wasser, das mit dem ungefährlichen Isotop Deuterium, auch als »schwerer Wasserstoff« bekannt, versetzt war. Je schneller der schwere Wasserstoff wieder aus dem Organismus verschwindet, so die Idee, desto höher der individuelle Wasserumsatz.
Dabei kam heraus, dass der Wasserumsatz stark vom Einzelfall abhängt. Männer zwischen 20 und 30 brauchten mehr Flüssigkeit als Ältere, Schwangere mehr als Nichtschwangere, Sportler mehr als Bürobeschäftigte. Wer morgens gern Eier mit Speck frühstückt, sollte dazu etwas trinken; wer Obstjoghurt löffelt, muss es eher nicht.
Für die meisten Menschen seien eineinhalb Liter täglich eine realistische Empfehlung, erfuhr Julia bei ihrer Recherche. Es gebe auch ein körpereigenes Stoppsignal, das bei übertriebenem Wasserkonsum anspringe, wie bei einer Untersuchung in Australien herauskam. »Die Forschenden konnten nachweisen, dass Versuchspersonen nach einer bestimmten Trinkmenge das Schlucken schwerer fiel als Menschen, bei denen der Flüssigkeitshaushalt nicht ausgeglichen war«, schreibt Julia. »Die Schluckhemmung schlug sich sogar in Hirnaktivitäten nieder, die die Wissenschaftler mittels funktioneller Magnetresonanztomografie sichtbar machen konnten.«
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Vergessen Sie die Trinktipps
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Schwarzer wird’s nicht: Zum 80. Geburtstag von Alice Schwarzer zeigt die ARD einen zweiteiligen Spielfilm über ihre Anfänge als Publizistin und Feministin. Leider ermüdet »Alice« mit ständiger Heldinnenverklärung .
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Es wird eng für Orbán: Brüssel macht Ernst: Die EU-Kommission hat den Mitgliedsländern offiziell empfohlen, 7,5 Milliarden Euro von Ungarns Fördergeldern einzufrieren. Würde Budapests Regierungschef Orbán aus Rache die EU lahmlegen?
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Spiel mit der Angst: »Protestiert hier nicht, zu eurer eigenen Sicherheit«: Rund um Irans WM-Niederlage gegen die USA gab es Drohungen gegen iranische Fans, ein Mob schüchterte Anhänger ein. Beobachtungen aus dem Al-Thumama-Stadion .
Was heute weniger wichtig ist
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Aus dem Off: Kevin Spacey, 63, wird nach langer Zeit wieder eine größere Rolle in einem Film übernehmen. Allerdings nur mit seiner Stimme, er selbst wird nicht zu sehen sein. In einem Thriller spielt der »House of Cards«-Hauptdarsteller den Erpresser einer Politikerin, die von ihrem Peiniger per Telefon durch die Stadt gelenkt wird. Drehbuchautor und Regisseur Gene Fallaize erklärte in einem Interview: »Spacey ist einer der größten Schauspieler seiner Generation. Sein persönliches Leben kann ich nicht kommentieren, aber es ist für mich einfach eine Gelegenheit, mit einem der Größten zu arbeiten.« Im Oktober hatte Kevin Spacey in New York einen Prozess wegen sexueller Belästigung gewonnen. Doch im kommenden Jahr muss er sich vor einem britischen Gericht wegen mutmaßlicher sexueller Übergriffe in insgesamt zwölf Fällen verantworten.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Nun wurde der moderne Tanz Deutschlands zum immaterielles Kulturerbe der Menschheit erklärt.«
Cartoon des Tages: Ohne mich!
Und heute Abend?
Die weltgrößte Metalband Metallica hat für nächstes Jahr ein neues Album und eine Tournee angekündigt. Auch in Hamburg und München sind jeweils zwei Auftritte geplant, das Programm soll von Abend zu Abend wechseln. Die neue Platte wird »72 Seasons« heißen, zwölf Songs über die ersten 18 Jahre im Leben eines Menschen enthalten und im kommenden April erscheinen.
Für mich gehört es zu den größeren Wundern der Musikgeschichte, dass es Metallica überhaupt noch gibt. Bereits der Dokumentarfilm »Some Kind of Monster« aus dem Jahr 2004 zeichnete das Bild von Künstlermimosen, die sich mit ihren Eitelkeiten dermaßen auf den Wecker gingen, dass es den eigens verpflichteten Gruppentherapeuten zur Verzweiflung trieb. Andererseits sprach es schon damals für den Durchhaltewillen der Bandmitglieder, dass sie der Veröffentlichung des Films zustimmten.
Als Vorgeschmack auf ihr neues Album hat Metallica nun die Single »Lux Æterna« samt dazugehörigem Video veröffentlicht. Kann man hören, muss man aber nicht. Die spektakuläre Dokumentation von 2004 sollten Sie sich aber auf jeden Fall ansehen, egal, ob Sie Metallica nun besonders großartig finden oder besonders bescheuert. Sie finden den Film auf vielen Streamingportalen.