News des Tages: Bürgerrat, Wassermangel, Geburtenrückgang
1. Losen als Lösung
Zum ersten Mal in seiner Geschichte will das Parlament einen eigenen Bürgerrat einberufen. Das Gremium, bestehend aus 160 Bürgerinnen und Bürgern, wurde heute Nachmittag per Losentscheid besetzt. Die Losfee: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas.
Das Vorhaben ist im Koalitionsvertrag der Ampel festgeschrieben und soll nun in die erste Runde starten. Ab Herbst wird das Gremium an drei Wochenenden in Präsenz sowie bei sechs digitalen Treffen zusammenkommen und über das Thema »Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben« beraten. Bis Ende Februar 2024 soll der Rat dann Empfehlungen vorlegen.
»In anderen Ländern wurden solche Modelle schon erprobt, etwa in Irland«, schreibt meine Kollegin Sophie Garbe aus dem Spiegel-Hauptstadtbüro in ihrem Text, der die wichtigsten Fragen und Antworten rund um den Bürgerrat zusammenfasst. In Irland diskutierte ein Bürgerrat ein Jahr lang über Themen wie Schwangerschaftsabbruch und gleichgeschlechtliche Ehe. Das Parlament entschied danach, einen Teil der Beschlüsse des Rates in einem nationalen Referendum zur Wahl zu stellen. Dabei stimmte die Mehrheit der irischen Bürgerinnen und Bürger für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe.
So gut die Erfahrungen in anderen Ländern sind, gibt es hierzulande auch einige Kritiker. »Wir schrumpfen den Bundestag, machen dann aber mit dem Bürgerrat neue Nebenschauplätze auf. Das untergräbt unsere parlamentarische Demokratie und ist den Bürgerinnen und Bürgern kaum zu vermitteln«, sagt Christina Stumpp, stellvertretende CDU-Generalsekretärin, dem SPIEGEL und fügt an: »Mein Wahlkreis ist mein Bürgerrat.«
Auch mein Kolumnistenkollege Alexander Neubacher ist skeptisch , ob die »Losdemokratie« eine gute Idee ist. Beim Bürgerrat zur Ernährung wurde zum Beispiel vorsorglich festgelegt, dass der »Anteil der sich vegetarisch oder vegan ernährenden Personen« abgebildet sein müsse. Dagegen sei nichts zu sagen, so Alex. »Man fragt sich allerdings, warum es in Kleindeutschland eine Tofu-Quote geben muss, aber keine für Nackensteaks.«
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Beteiligung per Lotterie 
Und hier Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
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Putin hat immer noch Angst vor diesem Mann: Die Staatsanwaltschaft fordert 20 Jahre Haft für Alexej Nawalny. Für den Prozess ließ der Kreml die Öffentlichkeit im Gerichtssaal nicht zu. Der Ausschluss offenbart, wie absurd das Verfahren ist – und wie schwach Putin . 
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»Putin glaubt, dass Rache ein Gericht ist, das am besten kalt serviert wird«: Wagner-Chef Prigoschin ist nach seiner Meuterei weitgehend ungeschoren davongekommen. Laut CIA-Chef Burns dürfte es dabei nicht bleiben. Er sagt: »Putin ist der ultimative Racheapostel«. 
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Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update 
2. Auf dem Trockenen
Die Sommer werden heißer, Regen fällt unberechenbarer – doch Wasser fließt einfach weiter aus dem Hahn? Ja, in München ist das so.
Die heikle Frage, die ich mir in den letzten Wochen aber immer wieder stelle: Darf ich mit dem Wasser aus dem Hahn den Rasen hinterm Reihenhaus gießen? Und den Lavendel, den Feigenbaum, das Kräuterbeet, die Husarenknöpfchen und den Elfenspiegel auch? Der japanische Zierahorn ist mir schon eingegangen, weil er vermutlich zu viel Sonne oder zu wenig Regen abbekommen hat.
Wasser ist ein Gut, das immer kostbarer wird. In der SPIEGEL-Titelstory heißt es: »Seit dem Dürresommer 2018 sind die Statistiken eindeutig: Deutschland bekommt weniger Wasser ab denn je.« Lange könne das Land »nicht mehr so gedankenlos mit dem wertvollen Rohstoff umgehen«, schreiben meine Kollegen .
Angesichts der trockenen Monate Mai und Juni wird es auch dieses Jahr keine Entwarnung geben: Die Grundwasserspiegel sinken, die Verdunstung nimmt zu. Auf Hitze folgt Starkregen, den die versiegelten Städte nicht aufnehmen können. Ein Team um SPIEGEL-Autor Alfred Weinzierl reiste für die Titelstory durch Deutschland, besuchte Kläranlagen und Trinkwasseraufbereiter, sprach mit Meteorologen, Hydrogeologen, Landwirten, Naturschützerinnen.
Ohne Regeln aus der Politik werde es im Kampf gegen die drohende Wasserknappheit nicht gehen, sagt Weinzierl. Vermutlich werden wir auch die eigene Vernunft bemühen und zum Beispiel die Wildblumenwiese im Vorgarten (Typ »Mössinger Mischung«) sich selbst überlassen müssen, statt sie mit Trinkwasser aus dem Hahn am Leben zu halten. So ein gelber Rasen. Hat der nicht auch was Schönes?
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Lesen Sie hier mehr: Deutschland auf dem Trockenen 
3. Sinkende Geburtenziffern
Frauenärzte gehören in der Regel nicht zu den Menschen, die mich zum Lachen bringen. Meiner aber sagte: »Der perfekte Zeitpunkt zum Kinderkriegen liegt irgendwo im 22. Lebensjahr einer Frau.«
In dem Alter spielte ich nachts mit wechselnden Männern Tischtennis-Rundlauf in einer Berliner Bar, studierte was mit Wirtschaft und tingelte von einem Praktikum ins nächste. Ich war definitiv keine Frau, die demnächst ein Kind gebären wollte. Deswegen gingen auch noch elf weitere Jahre ins Land, bis mein Sohn zur Welt kam. Er ist inzwischen acht Jahre alt und wird vermutlich ein Einzelkind bleiben.
Von daher wundert mich die Meldung des Statistischen Bundesamts von heute nicht: Geburtenrate ist auf dem niedrigsten Stand seit 2013.
Nachdem im Jahr 2021 besonders viele Babys geboren wurden, kamen im letzten Jahr wieder deutlich weniger Kinder zur Welt. 738.819 Neugeborene wurden gezählt und damit sieben Prozent weniger als im Jahr zuvor. Die Geburtenziffer sank damit um acht Prozent auf 1,46 Kinder je Frau. Damit die Bevölkerung eines Landes – ohne Zuwanderung – nicht schrumpft, müssten in hochentwickelten Ländern wie Deutschland rein rechnerisch etwa 2,1 Kinder je Frau geboren werden, so die Statistiker.
Leider reicht der Platz nicht aus, um an dieser Stelle zu begründen oder zu erklären, warum eine Frau wie ich nur ein Kind hat, obwohl sie sich mindestens drei gewünscht hätte. Mein Frauenarzt jedenfalls hat mir keine Hoffnung gemacht, dass die Wissenschaft eines Tages die Biologie austrickst und Männern das Kinderzurweltbringen ermöglicht. Der Gleichberechtigung und einer höheren Geburtenrate wäre das sehr dienlich.
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Lesen Sie hier mehr: Geburtenrate auf niedrigstem Stand seit 2013 
Was heute sonst noch wichtig ist
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Selbstheilendes Metall? Nicht nur Stoff, aus dem Science-Fiction ist: Was bei unserer Haut gut funktioniert, wünschen sich Forscher auch für andere Oberflächen: Kratzer, die von selbst heilen. Risse, die sich reparieren. Geforscht wird daran schon länger, nun gibt es Neuigkeiten von Metallen. 
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Indien verhängt Exportverbot für weißen Reis: Um den Preisanstieg von Reis zu dämpfen, hat die indische Regierung ein Exportverbot beschlossen. Die mögliche Folge: Die Versorgungskrisen in anderen Ländern könnten sich weiter verschärfen. 
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Techunternehmen sagen Kennzeichnung von KI-generierten Inhalten zu: Amazon, Google, Meta, Microsoft, OpenAI und andere KI-Unternehmen haben der US-Regierung versprochen, ihre KI-Systeme besser vor Missbrauch zu schützen. Sie kommen damit einer gesetzlichen Regelung zuvor. 
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Wohl doch keine Löwin in Berlin – vermutlich nur ein Wildschwein: Rund 36 Stunden hielt eine angebliche Löwin die Polizei in Atem. Nun gibt es Entwarnung: Laut dem Bürgermeister von Kleinmachnow handelt es sich wohl um ein Wildschwein. 
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Sänger Tony Bennett ist tot: Er war einer der erfolgreichsten und beliebtesten Sänger in den USA: Tony Bennett ist gestorben, er wurde 96 Jahre alt. Der Entertainer verkaufte mehr als 50 Millionen Tonträger, bekannt wurde er mit »I Left My Heart in San Francisco«. 
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Trump-Tricks in Madrid: Schon vor der Wahl säen Spaniens Konservative Zweifel am Ergebnis. Ihr Wahlkampf wird immer populistischer, eine Koalition mit der rechtsradikalen Partei Vox wahrscheinlicher. Die Folgen sind schon jetzt zu spüren . 
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Besuch im Quartier – am Ende eine Sackgasse: Kurzer Weg zum Training, viel Ruhe: Das waren die Bedingungen an das deutsche WM-Quartier in Australien. Bekommen haben sie ein Nest 90 Kilometer außerhalb von Sydney. Das hat vor allem eins zu bieten . 
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Deutschland auf dem Trockenen: Die Sommer werden heißer, Regen fällt unberechenbarer – doch Wasser fließt einfach weiter aus dem Hahn? Reise durch ein Land, in dem vielen klar wird: Lange kann Deutschland nicht mehr so gedankenlos mit dem wertvollen Rohstoff umgehen. Die SPIEGEL-Titelstory. 
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Wie die Gemeinde Binz versucht, ein LNG-Terminal in der Ostsee zu verhindern: Das Unternehmen Deutsche Regas will bald Flüssigerdgas in Strandnähe importieren, doch das Ostseebad Binz erhebt schwere Vorwürfe gegen die Firma. Die weist die Anschuldigungen zurück und spricht von »Desinformation« . 
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»Wir werden keinem Diktator dienen«: Immer mehr Reservisten drohen in Israel damit, den Dienst zu verweigern. Sie stellen sich damit offensiv gegen die Regierung und deren umstrittene Justizreform. Hier spricht ein Kampfpilot über seine drastische Entscheidung . 
Was heute weniger wichtig ist
Rund 36 Stunden hielt eine angebliche Löwin die Polizei in Atem. Nun gibt es Entwarnung: Laut dem Bürgermeister von Kleinmachnow handelt es sich wohl um ein Wildschwein. Im geprüften Gebiet gebe es keine Hinweise auf eine Löwin, sagte Bürgermeister Michael Grubert (SPD).
Experten gingen auch nach der Analyse der Bilder nicht mehr von einem Raubtier aus. Sollten Sie dennoch in Berlin auf eine Raubkatze treffen, hat mein Kollege Stefan Kuzmany folgende Verhaltenstipps zusammengestellt. Der wichtigste Ratschlag: Nicht fressen lassen!
Mini-Hohlspiegel
Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.
Cartoon des Tages
Und am Wochenende?
Mutter des Jahres oder Glucke des Grauens? Zwischen diesen beiden Extremen verläuft mitunter ein schmaler Grad. Den eine deutsche Serie in der ARD-Mediathek offenbar sehr sehenswert ausleuchtet. Das findet jedenfalls der Kollege Christian Buß aus dem Kulturressort.
»Süffig, süffisant und gut«, lautet das Urteil des Serienkritikers über die sechs Episoden der ARD-Mystery-Produktion »Die nettesten Menschen der Welt«. Um was es geht? Der Triebstau eines Studenten führt ins Blutbad, eine Mutter wird zum Monstrum, Miezekätzchen verwandeln sich in Höllenhunde. »Die nettesten Menschen der Welt« handelt von der »Entfesselung verdrängter Ängste und Gelüste«, schreibt Christian Buß.
Ich bin am Samstag mit sehr netten Menschen am See im Umland von München verabredet. Ein bisschen habe ich jetzt Angst.
Ein schönes Wochenende wünscht
Ihre Anna Clauß, Leiterin Meinung und Debatte

