News: Berlin, SPD, CDU, Groko, Sudan, Olaf Scholz, Bundeswehr
Die SPD sagt: Ja, aber…
Gestern hat die Berliner SPD entschieden, heute ist die CDU dran: Auf einem Parteitag werden die Delegierten der Berliner CDU über das geplante Groko-Bündnis abstimmen. Man kann davon ausgehen, dass die CDU-Leute mit großer Mehrheit positiv votieren, schließlich wird ihr Vorsitzender Kai Wegner nun Regierender Bürgermeister von Berlin.
Das erste Mal seit 2001 besetzt die CDU dann wieder den Chefsessel in der Hauptstadt. Und die Partei, die »das Beste für Berlin« zu liefern verspricht, schickt in dieses wichtigste Amt einen Mann ohne jegliche Regierungserfahrung. Gänsehautfeeling in der Hauptstadt! Vielleicht tritt mit Wegner ein kreativer Zerstörer an, alles besser zu machen? Wir Hauptstädterinnen (gerade die Exil-Rheinländerinnen) sind genügsam geworden, etwas ängstlich auch vor politischen Neuanfängen. Uns reicht es, wenn mit den Schulen, Kitas, Straßen, Bussen, Bahnen, Behörden, Krankenhäusern, Notrufnummern und der Laufzeit des Springbrunnens am Viktoria-Luise-Platz nur nichts schlechter wird als bisher.
Den SPD-Mitgliederentscheid hat die geplante Groko schon überstanden. Aber die Zustimmung war so knapp, dass bei einigen führenden SPD-Leuten sicher Gänsehautfeeling der unangenehmen Sorte aufkam. 54,3 Prozent – für Meinungsforschungsinstitute läge ein solches Umfrageergebnis fast noch innerhalb der Schwankungsbreite von plus oder minus 3 Prozentpunkten. Und wäre damit unbrauchbar.
Die Berliner SPD ist offensichtlich gespalten. Und Franziska Giffey, die vielleicht erste Politikerin, die ohne Not vom Chefinnenposten in eine Juniorpartnerschaft geht, will in den nächsten dreieinhalb Jahren alle »diejenigen mitnehmen, die skeptisch und ablehnend sind«. Jetzt weiß Giffey, dass sie noch ein paar Busse extra mieten muss, für die Hälfte der Parteibasis, bis hin zu Kevin Kühnert, Generalsekretär der Bundespartei. Der hatte kurz vor Ende des Mitgliedervotums noch im SPIEGEL verkündet, dieser Kai Wegner sei ihm nicht ganz geheuer .
Die Spitze will das Projekt unbedingt, die Basis sabotiert – die Lage der Berliner SPD erinnert an diese Filme über Chaos-Ehen. Eine Mama heiratet einen Papa, aber die Kinder oder Schwiegermütter kämpfen und intrigieren erbittert dagegen, und dann wird alles erst mal ganz schlimm. Aber gut, manchmal gibt´s auch ein Happy End.
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Franziska Giffey und die Berliner SPD: Gerettet – fürs Erste
Volker Wissing sagt: Ja, kommt vorbei
Vielleicht will die »Letzte Generation« heute mal testen, ob Klimaschutz oder jedenfalls radikale Klimaproteste ein Weg sind, die Groko in Berlin zu entzweien. Der erklärte Plan der Protestler ist, die Hauptstadt heute lahmzulegen, etwa 800 »Klimakleber« sollen angereist sein.
Um die Spitze der Bundesregierung zu treffen, sollten die Protestler nicht zu spät anfangen, denn spätestens ab Mittag dürften Kanzler Olaf Scholz und Klimaminister Robert Habeck nicht mehr in Berlin weilen; sie reisen zum »Nordsee-Gipfel« in der belgischen Hafenstadt Ostende. Hier treffen sich neun europäische Staats- und Regierungschefs sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Es soll darum gehen, wie der Ausbau von Windparks in der Nordsee schneller vorangetrieben werden kann. Gastgeber Alexander de Croo, Belgiens Regierungschef, träumt vom »größten grünen Kraftwerk Europas«.
In Berlin bleibt zurück ein bei der »Letzten Generation« besonders unbeliebter Akteur: Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Aber der Liberale hat Mut, er will sich am 2. Mai mit Vertretern der Aktivisten-Gruppe treffen und über die Klimaschutzpolitik der Ampel diskutieren. Die »Letzte Generation« hat Wissing mehrfach auf Twitter um ein Gespräch gebeten, sogar recht höflich – »Herr Wissing, wir möchten reden« . Wissing hatte damals per Twitter geantwortet : »Über Klimaschutz reden und ringen: ja. Über Blockaden anderen den eigenen Willen aufzwingen: nein!« Jetzt steht ein Termin. Mal sehen, wie viele Teilnehmer kommen und wie lange sie in Wissings Büro kleben werden.
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SPIEGEL-Leitartikel über Kulturkampf statt Klimaschutz: Finger weg von der Straße!
Verdi sagt ja, aber streikt weiter
Heute werden keine Passagierflugzeuge am Flughafen Berlin-Brandenburg abheben; die Gewerkschaft Verdi ruft das Sicherheitspersonal zum Warnstreik auf. Streik? Moment, haben die sich nicht geeinigt? Doch, es gab am Wochenende eine Einigung, die auch Verdi unterschrieben hat, aber die gilt für das Personal des Öffentlichen Dienstes. Es ist einer der teuersten Abschlüsse aller Zeiten, auf den Bund kommen in den nächsten zwei Jahren rund 4,95 Milliarden Euro extra zu, die Städte und Gemeinden rechnen mit Mehrkosten von 17 Milliarden Euro. Das gilt für 2,5 Millionen Menschen, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind. Aber eben leider nicht in der Fluggast-, der Personal– und der Warenkontrolle am Flughafen BER.
Und dieser Tarifabschluss gilt auch nicht für die 60 LKW-Fahrer, die seit Ende März an einer deutschen Raststätte an der A5 ausharren. Sie stammen aus Georgien und Usbekistan, und die Firmen, die sie bestreiken, sitzen eigentlich in Polen. Warum stehen sie dann an einer deutschen Autobahn? Diese kuriose Geschichte hat Katharina Koerth recherchiert und aufgeschrieben.
Wann haben Sie, liebe Lage-Leserin oder Leser, zuletzt erfolgreich für etwas gestreikt? Wie fühlte sich das an? Erfahrungsberichte werden gerne entgegengenommen. Die Autorin kann keine beisteuern, obwohl ein Streik heutzutage ja viele Formen haben kann. Hier sei nur das Bonmot eines Kollegen aus unserem Hauptstadtbüro zitiert, zu seinem Schutz anonym: »Früh aus dem Büro gegangen. Zuhause schön hingelegt. Und danach ins Bett.«
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Arbeitskampf an der A5: Warum 60 LKW-Fahrer seit Wochen an einer deutschen Raststätte ausharren
Die Diplomaten sagen: Nie wieder
Annalena Baerbock, hoffentlich erholt vom Bundespresseball, wo Augenzeugen die Tanzflächentauglichkeit der Ministerin erleben konnten, reist heute nach Luxemburg. Dort treffen sich die EU-Außenminister, und die Themen auf der Agenda sind gefühlt unendlich viel größer als der kleine Gastgeberstaat: Russland, Ukraine, China, Taiwan – und natürlich die krisenhafte Lage im Sudan.
Die Uhr tickt, die Evakuierungsaktionen für deutsche Staatsbürger sind in vollem Gange, und sie sind brandgefährlich. Die ersten deutschen A400M sind in Khartum gelandet, um die etwa 330 noch im Sudan verbleibenden deutschen Diplomaten, Entwicklungshelfer oder Geschäftsleute in die Heimat zu transportieren. In der Nacht hoben zwei der drei Maschinen wieder ab. Die Aktion wurde unter strenger Geheimhaltung vorbereitet, mit dem Einsatz »robuster Kräfte der Bundeswehr«, wie mein Kollege Matthias Gebauer in einem packenden Bericht schreibt.
Das Krisenmanagement sei von der Bundesregierung »auf höchster Ebene gesteuert worden«, mit Dutzenden SMS und Telefonaten zwischen Verteidigungsminister Boris Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock und schließlich dem Grünen Licht von Kanzler Olaf Scholz am Samstagabend.
Es durfte nichts schiefgehen, denn im Auswärtigen Amt und der Bundeswehr dürfte vielen noch die chaotische Evakuierung der afghanischen Hauptstadt Kabul im Spätsommer 2021 in den Knochen stecken. Der gesamte deutsche Afghanistan-Einsatz wird gerade von einer Enquete-Kommission des Bundestages aufgearbeitet, zufällig tagt diese Kommission auch heute Mittag wieder. Die Sitzung steht unter dem Thema »Ausweitung, Eskalation und Transition 2009 bis 2014: Übergabe in afghanische Verantwortung – Staat, Gesellschaft und Sicherheit«.
Bis der Bericht der Kommission vorliegt, könnte die geneigte Lage-Leserschaft noch einmal den preisgekrönten dreiteiligen Titel-Report meiner Kollegen Matthias Gebauer und Konstantin von Hammerstein über die überstürzte Flucht der Deutschen aus Kabul lesen. Es lohnt sich.
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Rettungsmission für Deutsche im Sudan: Die lange Nacht der Krisenmanager
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Die Startfrage heute: In welchem Bundesland wurde die erste rot-grün-rote Regierungskoalition in Westdeutschland gebildet?
Gewinnerin des Tages…
…ist die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja. Wer sich politisch engagiert in einer Diktatur, die jegliche Opposition brutal unterdrückt und in Strafkolonien einkerkert , und die sogar europäische Passagierflugzeuge zur Notlandung zwingt, um Regimegegner in die Finger zu bekommen, braucht vor allem eines: internationale Aufmerksamkeit und Solidarität. Tichanowskaja hat heute wieder Gelegenheit, das deutsche Publikum auf die unterdrückerischen Bedingungen in ihrer Heimat aufmerksam zu machen, wenn sie eine Rede bei der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung hält. Sie ist eine enorm mutige Frau, die sich auf Reisen stets mit einem Großaufgebot an Sicherheitsleuten umgeben muss.
Vermutlich wird Tichannowskaja auch die Unterwürfigkeit ihres Landes gegenüber Russland ansprechen. Das Regime in Minsk hält sich vor allem dank russischer Unterstützung, mittelfristig will sich Moskau den Nachbarstaat Medienberichten zufolge sogar einverleiben. Erst vor einem Monat kündigte Russlands Machthaber Putin an, taktische Atomwaffen in Belarus zu stationieren .
In dem Zusammenhang möchte ich unseren Lesern noch einmal das Interview meines Kollegen Benjamin Bidder mit dem Harvard-Ökonom Andrej Jakowlew empfehlen (die Lage-Stammleserschaft hat davon an dieser Stelle schon gelesen, aber Jakowlews Worte sind wirklich erhellend). Er kann erklären, warum die russische Wirtschaft seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine kaum gelitten hat. Eine seiner Thesen lautet, dass »der russische Staatsapparat in vielem deutlich effizienter arbeitet, als im Westen viele glauben«. Nach Protesten im Jahr 2011 hätte die öffentliche Verwaltung »einen Modernisierungsschub« erlebt, von dem Putins Reich bis heute zehre. Das Fazit des Ökonomen: Die Sanktionen verfehlen ihre Ziele. Der Westen müsse ganz neu über seinen Umgang mit Russland nachdenken.
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Harvard-Ökonom über russische Wirtschaftspolitik: Warum rebellieren Russlands Eliten nicht gegen Putin, Herr Jakowlew?
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihre Melanie Amann, Mitglied der Chefredaktion

