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Neues Schuljahr in Zeiten von Corona: Kaum offen, schon wieder zu

August 22
13:16 2020
Schule ohne Schüler: Regional kommt das auch im neuen Schuljahr vor (Symbolbild) Icon: vergrößern

Schule ohne Schüler: Regional kommt das auch im neuen Schuljahr vor (Symbolbild)

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Caroline Seidel/ dpa

Plötzlich ist die Schule wieder zu. Mit diesem Szenario müssen Schüler, Eltern und Lehrer in Deutschland derzeit ständig rechnen. Seitdem in rund der Hälfte der Bundesländer das neue Schuljahr begonnen hat, gibt es immer wieder Meldungen über erneute, kurzfristige Shutdowns wegen Coronafällen – oder weil der Verdacht besteht, dass sich Schulakteure infiziert haben könnten. Bisher besonders betroffen: Nordrhein-Westfalen.

Vier Schulen mussten hier wenige Tage nach den Sommerferien komplett schließen, mehr als 30 Schulen teilweise. Vielerorts wurden einzelne Klassen oder Jahrgänge nach Hause geschickt. Unter Lehrkräften gibt es rund drei Dutzend bestätigte Corona-Fälle, unter Schülern fast 400. Das hat Folgen für viele andere. 351 Lehrkräfte sowie 5914 Schüler mussten in Quarantäne. Mindestens. Inzwischen dürften die Zahlen weiter gestiegen sein.

Das Schulministerium hat die Fälle zum Stichtag 14. August erfasst, zwei Tage nach Schulbeginn. Aktuellere Zahlen von offizieller Stelle liegen nicht vor. In lokalen Medien ist jedoch fast täglich von weiteren Schließungen zu lesen. Für "extrem unbefriedigend" hält Harald Willert, Vorsitzender der Schulleitervereinigung NRW, die Situation. "Das geht ganz stark zulasten von Kindern, aber auch Eltern, Lehrern und Schulleitern."

"Da ist faktisch nichts passiert"

Viele Schulen seien auf erneute Schließungen genauso schlecht vorbereitet wie bei dem plötzlichen Shutdown im März, sagt Willert, weil die Politik die vergangenen Wochen weder genutzt habe, um einen brauchbaren Plan B zu erarbeiten, noch die digitale Ausstattung flächendeckend zu verbessern. "Das Traurige ist: Da ist faktisch nichts passiert." Wenn Fernunterricht nötig werde, stünden einige Schulen gut da, andere schlecht. Etliche bedürftige Schüler hätten noch immer nicht die von der Politik zugesagten Leihgeräte. "Das ist eine Katastrophe. Wir verlieren die Kinder weiter", sagt Willert.

Auffällig ist, dass in NRW ebenso wie in anderen Bundesländern der Schulbetrieb mancherorts völlig stillgelegt wird. Anderswo hingegen müssen nur einzelne Klassen oder Jahrgänge in Quarantäne. Wie lange, ist auch äußerst unterschiedlich. In Berlin beispielsweise machte eine Schule laut Schulsenat für einen Tag zu, um sicherzustellen, dass mögliche Kontaktpersonen nicht in das Gebäude kommen. Alle Tests seien dann aber negativ ausgefallen.

In Hamburg waren mehr als ein Dutzend Schulen von Teilschließungen betroffen. In Hessen mussten einzelne Klassen zeitweise in Quarantäne. Ein Hauptgrund seien die Infektionsraten von Reiserückkehrern. In Mecklenburg-Vorpommern gab es an sechs von 563 Schulen Infektionsfälle. Zwei Schulen wurden komplett zugemacht, die übrigen teilweise. Rund 500 Schüler mussten in Quarantäne. Ärgerlich: An einer Grundschule erwies sich ein Testergebnis im Nachhinein als fehlerhaft. Die Schließung wäre gar nicht nötig gewesen. In Brandenburg fiel der Unterricht vor Ort an zwei Schulen aus.

"Keine bildungspolitische Frage mehr"

Mit den drastischen Maßnahmen sollen Infektionsketten so schnell wie möglich unterbrochen werden, um lokale Corona-Hotspots mit noch größeren Auswirkungen zu verhindern. Ob, wer und wie lange Schüler und Lehrer nach Hause geschickt werden, entscheidet allerdings weder das Schulministerium noch die einzelne Schule.

"Das ist dann keine bildungspolitische Frage mehr, sondern eine Frage des Infektionsschutzes", teilt ein Sprecher aus Rheinland-Pfalz mit. Zuständig sei jeweils das Gesundheitsamt vor Ort, heißt es unisono aus allen Bundesländern, die bereits ins neue Schuljahr gestartet sind. "Daher gibt es hier kein landesweit einheitliches Vorgehen, es wird immer der Einzelfall geprüft", schreibt Hessen, "und das begrüßen wir."

Bei der Bewertung der Einzelfälle wird es jedoch kompliziert. Wenn Schüler oder Lehrer in NRW Symptome zeigen, die auf Covid-19 hinweisen könnten, "insbesondere Fieber, trockener Husten, Verlust des Geschmacks- oder Geruchssinns", dann sind sie laut Schulministerium ansteckungsverdächtig und müssen unverzüglich nach Hause. Die Schule muss das Gesundheitsamt verständigen, das dann über das weitere Verfahren entscheidet.

"Entscheidungen sind nicht nachvollziehbar"

"Aber da fangen die Probleme schon an", sagt Willert. Die Symptome seien nicht immer klar erkennbar. Und wenn bei der nächsten Erkältungswelle im Herbst alle hustenden Kinder nach Hause geschickt werden, dürften bald etliche Schulen weitgehend leer sein. Die Schulleitungen müssten teils fragwürdige Vorgaben aus der Politik umsetzen und letztlich individuelle Lösungen finden, weil es an konkreten Regeln fehle.

"Dazu kommt, dass den Schulleitungen das weitere Prozedere von den Gesundheitsämtern völlig aus der Hand genommen wird", sagt Willert, "und diese Ämter entscheiden sehr verschieden – bei augenscheinlich gleicher Situation."

Willert weiß beispielsweise von einer Schule, bei der ein Schüler positiv auf Corona getestet worden war. Zwei Lehrkräfte hätten engeren Kontakt zu ihm gehabt. Zwei verschiedene Gesundheitsämter seien für sie zuständig gewesen. "Das eine hat einen Test angeordnet, das andere nicht." Willert kann mehrere solcher Beispiele aufzählen. "Solche Entscheidungen sind nicht nachvollziehbar", kritisiert er, "und das sorgt für Verunsicherung."

Kontaktperson der Kategorie 1, 2 oder 3?

Woran sich die Gesundheitsämter zumindest formal orientieren sollen, beschreibt das brandenburgische Kultusministerium unter Berufung auf das Robert Koch-Institut: "Solange man Kontakte klar eingrenzen kann, werden nur einzelne Personengruppen, zum Beispiel eine Schulklasse, in die häusliche Quarantäne geschickt. Wenn aber das Infektionsgeschehen diffus ist, kann auch die vorübergehende Schließung einer ganzen Einrichtung erforderlich sein."

Die Gesundheitsämter unterscheiden den Angaben zufolge Kontaktpersonen der Kategorien 1, 2 und 3. Eine Kontaktperson der Kategorie 1 (erhöhtes Infektionsrisiko) hatte etwa mindestens eine Viertelstunde "Gesichts-Kontakt" bei einem Gespräch. Oder war direkter Sitznachbar. Oder einer relevanten Zahl von Aerosolen ausgesetzt.

"Das bedeutet für Schulkinder und Eltern: Wenn Kinder Kontaktpersonen der Kategorie 1 sind, da sie in der Klasse Kontakt zu einem bestätigten Covid-19-Fall hatten, stehen nur sie unter häuslicher Quarantäne. Ihre Eltern und Geschwister aber nicht, da sie nur Kontaktpersonen einer Kontaktperson sind."

Für viele Eltern ein schwacher Trost. Die Landeselternkonferenz Nordrhein-Westfalen etwa wünscht sich andere Hygieneregeln wie Mindestabstand und Unterricht in Kleingruppen sowie regelmäßige Tests, um einerseits das Infektionsrisiko zu senken und andererseits komplette Schließungen zu vermeiden. "Wir blicken mit Sorge ins neue Schuljahr und sind bestürzt über den Maßnahmenkatalog, der keine Sicherheit bietet", teilt die LEK mit. Mütter und Väter seien auf Planungssicherheit angewiesen. Sitzt das Kind zu Hause, fehlt Berufstätigen die Betreuung.

"Es gab in Deutschland immer wieder den Rat, in den Schulen konstante, sogenannte epidemiologische Gruppen einzurichten, die wenig Kontakt zu anderen haben und möglichst nicht größer sein sollen als ein Klassenverband", sagt Olaf Köller, der an der Wissenschaftsakademie Leopoldina an den Corona-Empfehlungen für die Bundesregierung mitgearbeitet hat.

Aber das hätten viele Schulen, auch viele Bundesländer, nicht hinbekommen. Stattdessen seien ein Jahrgang oder sogar mehrere Jahrgänge als Gruppen definiert worden. "Damit rutscht man in das Dilemma: Sobald ein Kind infiziert ist, muss der ganze Jahrgang zu Hause bleiben. Im Zweifel wird sogar der gesamte Schulbetrieb stillgelegt."

Während die Empörung unter Eltern und Lehrern groß ist, spricht NRW-Kultusministerin Yvonne Gebauer (FDP) von einem "gelungenen Schulstart", 99 Prozent der Schulen könnten weiter Präsenzunterricht anbieten. Sie fordert alle Schulakteure auf, "ebenso konsequent wie unaufgeregt und professionell" mit dem Coronavirus umzugehen. Wichtig sei, "dass künftig nicht jegliche Infektion im Umfeld von Schulen automatisch zu einer kompletten Schulschließung führt". Das, allerdings, liegt letztlich wenig in der Hand der Schulen.

Icon: Der Spiegel

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