Musiker Kazik: “Das war keine Zensur, das war eine kostenlose Promo-Aktion”

Musiker Kazik: "Übertreiben wir mal nicht"
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Kein Platz für die Nummer 1: Das Lied "Twój ból jest lepszy niż mój" ("Dein Schmerz ist besser als meiner") des Sängers Kazik hatte vor einigen Wochen den ersten Platz in der von Hörerinnen und Hörern gewählten Hitparade des öffentlich-rechtlichen polnischen Radiosenders "Trójka" belegt. Doch der Protestsong, der auf Jarosław Kaczyński, den Vorsitzenden der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), anspielt, verschwand einen Tag später mitsamt der ganzen Liste von der Webseite des Senders.Die "Gazeta Wyborcza" berichtete, der "Trójka"-Direktor habe einen Redakteur dazu aufgefordert, den Song nicht zu spielen. Ein Skandal, der Rücktritte und Boykotte nach sich zog und eine Frage hinterließ: War das Zensur? Ein Gespräch über Meinungsfreiheit mit dem Musiker Kazik, bürgerlich Kazimierz Staszewski.
SPIEGEL: Herr Staszewski, 1993, ein paar Jahre nach der Wende in Polen, haben Sie in einem Interview mit der "taz" gesagt: "Früher regierte die Geheimpolizei, heute das Geld." Wer regiert Polen jetzt, im Jahr 2020?
Kazik: (Lacht.) Heute wird Polen von Jarosław Kaczyński regiert. Was seltsam ist, weil er nur ein Abgeordneter von vielen ist. Das gibt’s sonst fast nicht auf der Welt, in Polen ist das aber möglich: Kaczyński regiert mithilfe seines Repräsentanten, Premierminister Mateusz Morawiecki.
SPIEGEL: Jarosław Kaczyński war auch der Grund für Ihren Song "Twój ból jest lepszy niż mój", der vor einigen Wochen für Aufsehen sorgte.
Kazik: Ja, motiviert hat mich ursprünglich Kaczyńskis Besuch am Grab seiner Mutter und seines Bruders. Das war am 10. April, als die Friedhöfe für den Rest der Leute geschlossen waren.
SPIEGEL: War es in Polen zu dem Zeitpunkt verboten, Friedhöfe aufzusuchen?
Kazik: Nein. Die Entscheidung, ob die Friedhöfe geöffnet oder geschlossen sind, wurde den Friedhofsverwaltern überlassen. Die überwiegende Mehrheit schloss die Friedhöfe, um Ruhe zu haben. Dazu gab es zwar eine vierseitige Verordnung – aber wer liest die? Wo konnte man die überhaupt lesen? An die Medien ging die verkürzte Information, dass die Friedhöfe geschlossen sind. Und vor diesem Hintergrund wirkte das so: Eine Person wird vollkommen anders behandelt als der Rest. Ich habe über die Sache nachgedacht und dann fiel mir so ein Schlagwort ein: "Dein Schmerz ist besser als meiner". Das wurde der Titel meines Lieds.
SPIEGEL: Der erinnert auch an ein Kaczyński-Zitat. Er bezeichnete Menschen, die gegen die Regierung demonstrieren, als Polen der "schlechtesten Sorte".
Kazik: Menschen sind verschieden, aber es gibt keine besseren und keine schlechteren Menschen. Diese Unterscheidung ist total ungerechtfertigt.
SPIEGEL: Kürzlich haben Sie in einem Interview gesagt, Sie würden nicht in den Krieg gegen Kaczyńskis Partei PiS ziehen, "weil Krieg an sich schlecht sei". Wichtiger sei Ihnen, dass die Leute zueinander fänden. Sind die Polen gespalten?
Kazik: Ja, das sind sie. Das ist aber kein Alleinstellungsmerkmal. Die Spanier sind es ja zum Beispiel auch. Die einen sind linksgerichtet, die anderen: Franco und Falange. Und beide Seiten kommen seit hundert Jahren nicht miteinander aus. Ich bin weit davon entfernt, es zu schwarz zu malen, aber ja: Polen ist geteilt. Wenn ich ein Serum oder einen Impfstoff hätte, um diese Spaltung zu heilen, würde ich den sofort anwenden.
SPIEGEL: Auch die Reaktionen auf den "Trójka"-Skandal rund um Ihren Song waren gespalten: zwischen Solidarität mit Ihnen und dem Vorwurf, Sie hätten in die Privatsphäre Kaczyńskis eingegriffen. Hatten Sie das Gefühl, in ihre Freiheit werde eingegriffen – in Form von Zensur?
Kazik: Nein, das war keine Zensur. Das war die Dummheit der Apparatschiks der gegenwärtigen Regierung, die versucht haben zu beweisen, dass sie päpstlicher als der Papst sind, loyaler als die Loyalsten. Welche Zensur soll das überhaupt sein, wo wir das Internet und 500 andere Radiosender haben? "Trójka" ist auch kein Sender mehr, den Zehn- oder Hunderttausende hören. Das war keine Zensur, das war eine gigantische kostenlose Promo-Aktion.
SPIEGEL: Piotr Metz, der mittlerweile ehemalige Leiter der Musikabteilung bei "Trójka", hat in einem Interview gesagt, dass selbst das kommunistische Regime mehr Respekt vor der Meinungsfreiheit bei "Trójka" gehabt hätte als die gegenwärtige Regierung.
Kazik: Übertreiben wir mal nicht. Wenn er das sagt, vergisst er, dass es zu kommunistischen Zeiten eine Zensurbehörde gab. Wenn man eine Single oder LP aufnehmen wollte, musste man erstmal die Texte zur Zensur bringen. Unsere Band Kult schuf damals eine Menge solcher "abweichlerischer" Lieder, die stark gegen das System waren. Die hatten keine Chance, aufgenommen, geschweige denn im Radio gespielt zu werden. Man kann das also nicht vergleichen.
SPIEGEL: Sind unter der PiS-Regierung die Presse- und Meinungsfreiheit dennoch in Gefahr?
Kazik: Nein, das sind sie nicht. Man kann der PiS verschiedene Dinge vorwerfen: Dass sie einerseits die Steuerlast und damit den Druck auf den einzelnen Bürger erhöhen und sich andererseits mit einer sozialistischen Verteilungspolitik Stimmen kaufen – das heißt, indem sie das ehrlich verdiente Geld der Bürger stehlen, in Form von Steuern, um ihnen später einen klitzekleinen Teil davon zurückgeben. Wenn es um Presse- und Meinungsfreiheiten geht: Die hat die Regierung nicht eingeschränkt und schränkt sie nicht ein. Im "Trójka"-Fall war das der Übereifer idiotischer Beamter.
SPIEGEL: Die "Trójka", die 1962 ins Leben gerufen wurde, war in der Volksrepublik bekannt dafür, etwas unabhängiger zu sein und auch Musik spielen zu dürfen, die hinter dem Eisernen Vorhang gemacht wurde. Welche Bedeutung hat der Sender "Trójka" für Sie persönlich?
Kazik: Nur eine sentimentale. Das ist ein Sender, den ich in meiner Jugend gehört habe. Aber jetzt höre ich fast gar kein Radio mehr. Ich mag es nicht, wenn mir jemand Musik vorspielt, und ziehe es vor, mir selbst das rauszusuchen, was ich gern höre.
SPIEGEL: Sogar der nationalkonservative Andrzej Duda, aktuell noch Präsident, hat sich in der Sache zu Wort gemeldet. "Dank dieses ungewöhnlichen Lancierens" würden Sie nun großes Geld verdienen, sagte er im Fernsehen. Was antworten Sie ihm?
Kazik: Dass er nicht über Dinge sprechen soll, von denen er keinen Schimmer hat. Weil niemand über alles Bescheid weiß. Und Präsident Duda kennt die Realität des Musikmarktes in Polen wahrscheinlich nicht. Platten bringt man eigentlich nur noch raus, um der Welt zu zeigen, dass man noch lebt, wie es der polnische Musiker Muniek gesagt hat. Und möglicherweise zur Promotion von Konzerten. Leute in meinem Alter sind vielleicht noch an Platten gebunden, aber alle jungen Menschen hören Musik über diese Streaming-Plattformen. Der Betrag, der in der Musikindustrie für eine gut verkaufte Platte gezahlt wird, liegt vielleicht bei zwei oder drei Monatsgehältern eines gut verdienenden Beamten im Rathaus. Wenn das für den Präsidenten großes Geld ist, dann hat er Recht.
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