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Mordverdächtige Erzieherin in Viersen: Atemnot beim Mittagsschlaf

May 28
22:12 2020
Bemalte Steine vor der Kita "Am Steinkreis" Icon: vergrößern

Bemalte Steine vor der Kita "Am Steinkreis"

Sascha Rixkens/ dpa

Vor dem Eingang der Kindertageseinrichtung "Am Steinkreis" in Viersen gehen am Donnerstagmittag zwei Sicherheitsmänner in schwarzer Kleidung auf und ab. Ihre Präsenz ist offenbar nötig geworden. Wer in der Kita nichts verloren hat, soll draußen bleiben. So lässt sich ihr Gesichtsausdruck deuten.

Gerade kommt ein Vater mit seiner Tochter aus der Tür. Sie gehen an Dutzenden kleinen Steinen vorbei, die die Menschen in einer Reihe auf den Boden gelegt haben. Sie sind mit Herzchen und Engel bemalt. Auf einem Stein steht: "In liebevoller Erinnerung".

Was vor ein paar Wochen in der integrativen Kindertageseinrichtung in Viersen passierte, hat das Land geschockt. Ein Mädchen soll am 21. April von einer Erzieherin so schwer verletzt worden sein, dass sie es nicht überlebte. Der Notarzt kam, brachte das Kind ins Krankenhaus. Doch seine Verletzungen waren so gravierend, dass das Kind am 4. Mai starb. Das Mädchen, ihr Name war Greta, wurde drei Jahre alt.

Tod durch Fremdeinwirkung

Die Obduktion ergab später, dass Greta durch Fremdeinwirkung zu Tode gekommen war. Deswegen nahm die Polizei vergangene Woche eine 25 Jahre alte Erzieherin fest, sie sitzt in Untersuchungshaft. Und im Raum steht ein ungeheuerlicher Vorwurf: Mord.

Bislang hielten sich die Polizei und die Staatsanwaltschaft in Mönchengladbach mit Details zu dem Fall zurück, für Donnerstagnachmittag hatte man dann zu einer ersten Pressekonferenz ins Polizeipräsidium geladen.

"Das bereitet einigen von uns schlaflose Nächte"

Auf dem Podium vor den Mikrofonen sitzen drei Herren mit versteinerten Gesichtern. Schnell wird klar: Bei den Ermittlungen gegen die beschuldigte Erzieherin blicken die Beamtinnen und Beamten in einen Abgrund.

Manfred Joch, der Leiter der Direktion Kriminalität, drückt es zu Beginn seiner Ausführungen so aus: "Das hier führt zu großer Betroffenheit, selbst bei hart gesottenen Ermittlern." Und Guido Roßkamp, der Chef der Mordkommission, sagt: "Das bereitet einigen von uns schlaflose Nächte, die Ermittler nehmen diesen Fall persönlich. Auch die, die keine kleinen Kinder haben."

Der Grund: Vieles deutet darauf hin, das die Erzieherin im April vorsätzlich gehandelt hat. Mehr noch: Der Mordkommission liegen Indizien dafür vor, dass die Frau in den vergangenen Jahren in verschiedenen Kitas in der Region immer wieder lebensgefährliche Übergriffe auf kleine Kinder verübte. Meistens, so sieht es derzeit aus, ging sie dabei gleich vor. Die Ereignisse sollen bis ins Jahr 2017 zurückreichen.

Weitere Fälle in anderen Kitas

Die Beamten in Mönchengladbach ermittelten zuletzt an drei ehemaligen Arbeitsstellen der Frau, in Kitas in Krefeld, Kempen und Tönisvorst. Am 29. Oktober 2019 erlitt ein Mädchen in einer Kita in Tönisvorst einen Atemstillstand, sie kam in eine Klinik. Zuvor soll das Kind zusammen mit der Beschuldigten an der Wickelstation gewesen sein.

Im November 2017 soll es in einer Kita in Krefeld zu einem möglichen Übergriff gekommen sein. Die Erzieherin absolvierte in der Kita ihr Anerkennungsjahr. Während der Mittagszeit rief die Beschuldigte andere Erzieherinnen herbei, es ging um einen Jungen, der gerade seinen Mittagsschlaf machte. "Mit dem ist etwas nicht in Ordnung", soll die Beschuldigte ihren Kolleginnen gesagt haben. Das Kind soll nicht ansprechbar gewesen sein, seine Augen soll es merkwürdig verdreht haben. Der Junge kam mit dem Notarzt ins Krankenhaus, die Ärzte konnten die Ursache für seinen Zustand nicht finden. So berichten es die Polizisten bei der Pressekonferenz.

Auch in einer Kita in Kempen, wo die Erzieherin zwischen August 2018 und Juli 2019 arbeitete, bekam ein zweijähriger Junge während des Mittagsschlafs plötzlich Atemnot. Wieder soll die Beschuldigte direkt beteiligt gewesen sein. "Wir gehen davon aus", sagt Roßkamp, "dass sie meistens ähnlich gehandelt hat."

Die Kinder, an denen die Frau in Tönisvorst, Krefeld und Kempen die Übergriffe begangen haben soll, überlebten. Greta aber nicht.

Rote Punkte auf den Augenlidern

Ein Arzt der Kinderklinik in Viersen meldete sich Ende April bei der Polizei. Ihm waren bei dem Mädchen, das zu diesem Zeitpunkt noch lebte, sogenannte Petechien aufgefallen, kleine, rote Punkte auf den Augenlidern und im Gesicht, die durch Sauerstoffmangel entstehen können. Am Tag darauf übernahm die Mordkommission die Ermittlungen. Die Mutter von Greta soll ihr Kind als "aktiv und gesund" beschrieben haben, das erzählen die Beamten.

Mitte Mai wurde auch die Beschuldigte vernommen. Was geschah an jenem 21. April in der Kita?

Laut der Aussage der Erzieherin habe sie während des Mittagsschlafs des Mädchens festgestellt, dass das Kind nicht mehr atmen würde. Sie habe andere Erzieherinnen alarmiert, der Körper von Greta soll zu diesem Zeitpunkt schon "blass und blau" gewesen sein, sagen die Ermittler. Die Beschuldigte habe das Kind reanimiert, dann kam der Notarzt. Doch Greta kam nicht wieder zu Bewusstsein, am 4. Mai wurde im Krankenhaus ihr Hirntod festgestellt.

Inzwischen verweigert die beschuldigte Erzieherin die Aussage

"Sie hat sehr abgeklärt über die Ereignisse gesprochen", sagt Roßkamp über die Vernehmung. Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach ermittelt jetzt wegen des Verdachts auf heimtückischen Mord, inzwischen verweigert die Erzieherin die Aussage.

Man könne derzeit "keine Angaben zum Tathergang" in der Kita in Viersen machen, sagt Roßkamp. Ein Motiv? Auch dazu kann der Leiter der Mordkommission zurzeit nichts sagen. Allerdings, erzählt Roßkamp, sei man im Zusammenhang mit der Beschuldigten auf ein Verfahren aus dem Jahr 2019 gestoßen. Damals soll die Frau behauptet haben, im Wald von einem Mann mit einem Messer im Gesicht verletzt worden zu sein. Gerichtsmediziner stellten später jedoch fest, dass sich die Frau die Verletzungen wohl selbst zugefügt hatte. Die Staatsanwaltschaft Kleve ermittelte gegen sie, es ging um das Vortäuschen einer Straftat. Am Ende wurden die Ermittlungen aber eingestellt.

In der Kita in Krefeld, berichtet Kripo-Chef Joch, sei allen schnell klar gewesen, dass die Erzieherin den falschen Job gewählt habe. "Man hat sich dort gewundert, warum ein Mensch, dem offenbar jeder Zugang zu Kindern fehlt, sich so einen Beruf raussucht", sagt Joch. Laut den Aussagen der früheren Kolleginnen und Kollegen fehle es der Beschuldigten an Empathie. Jemand, der mit ihr gearbeitet hat, soll es so beschrieben haben: "Die wäre selbst dann nicht dazwischen gegangen, wenn zwei Kinder mit Eisenstöcken aufeinander losgegangen wären."

Am Ende ihres Anerkennungsjahrs in Krefeld soll die Frau ein schlechtes Zeugnis bekommen haben. Man habe ihr bescheinigt, so berichtet es Joch, dass sie wenig geeignet sei für den Beruf der Erzieherin. Warum sie trotzdem noch fast zwei Jahre lang in anderen Kitas immer wieder einen Job fand?

Im Polizeipräsidium in Mönchengladbach erzählen die Ermittler auch von Kitakindern, die vor der Erzieherin Angst gehabt haben sollen. Von Kindern, die ihretwegen nicht mehr in die Kita gehen wollten. Je länger die Pressekonferenz dauert, desto klarer wird die Frage, die über allem steht: Warum konnte diese Frau so lange in Kindertageseinrichtungen arbeiten, ohne dass jemand auffiel, dass sie offenbar gefährlich ist?

Es fehlen noch viele Antworten in diesem Fall.

Icon: Der Spiegel

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