Miosga zu Gewalt gegen Politiker: “Ich eigne mich gar nicht zum Feindbild”
Politik

Bei Caren Miosga saßen sich am Sonntagabend Ricarda Lang und Armin Laschet gegenüber.
Die Stimmung im Land ist aufgeheizt. Nicht nur auf der politischen Bühne teilen Parteivertreter gegeneinander aus. Auch auf der Straße sind einige Politiker nicht mehr sicher. Was ist da los? Was kann dagegen unternommen werden? Caren Miosga hakt bei zweien nach, die sich damit auskennen.
Die Liste derjenigen, die sich politisch engagieren und dafür Gewalt erfahren, wird dieser Tage immer länger. Zuletzt traf es den CDU-Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter, der an einem Wahlkampfstand erst verbal und dann auch körperlich angegriffen wurde. In Deutschland spielten sich die vergangenen Wochen und Monate Szenen ab, die einen bedenklichen Trend widerspiegeln: Die Angriffe gegen Amts- und Mandatsträger nehmen zu. 2023 verzeichnete das Bundeskriminalamt im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg um 29 Prozent – auf rund 5400 Straftaten.

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"Hetze, Krisen, Umbrüche – kann Politik noch zusammenführen?", diese Frage stellt Caren Miosga am Sonntagabend. Über das Thema diskutieren zwei Personen, die zum einen wissen, wie man politisch arbeitet. Und die zum anderen bereits ganz eigene Erfahrungen damit gemacht haben, wie es ist, dafür kritisiert oder gar angefeindet zu werden: Ricarda Lang, die Co-Vorsitzende der Grünen, sowie Armin Laschet, früherer Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und als gescheiterter Kanzlerkandidat jetzt einfacher CDU-Bundestagsabgeordneter.
Woher kommt also die politisch motivierte Gewalt, will Miosga wissen. "Was wir sehen, ist eine Form der Enthemmung", sagt Lang. Das Phänomen der (verbalen) Attacken sei nicht neu. Aber nun richte sich die Gewalt gegen die Art und Weise, wie Demokratie funktioniere: gegen freie Wahlen, freie Meinungsäußerung und Werbung für ebendiese Meinung. Dabei dürften gerade ehrenamtliche Kommunalpolitiker keine Angst davor haben müssen, Wahlplakate aufzuhängen.
Eine Erklärung dafür, wie es dazu kommen konnte, kann der erfahrene Politiker Laschet nicht abschließend geben. "Ich glaube, die Polarisierung, die in der Gesellschaft da ist, die kommt natürlich zum Teil über die sozialen Medien." Da sei die Sprache enthemmter. "Vor Jahren schrieb man böse Leserbriefe, jetzt attackiert man anonym im Netz irgendeine Person. Da ist eine gewisse Enthemmung da." Den Anfang bildete demnach die Coronavirus-Pandemie. Dort sei eine Abwägung nicht mehr gefragt gewesen, sondern diejenigen, die Maßnahmen ablehnten, sofort in eine Ecke gedrängt worden.
"Die da oben haben doch einen Knall"
Ganz allgemein analysiert der 63-Jährige: "Was die Debatten so schwierig macht, wenn wir jedes Argument, das wir bringen, moralisch überhöhen und den, der die Dinge anders sieht, in die Ecke stellen." Es dürfe etwa aufseiten der Grünen nicht so getan werden, dass mit einer Wärmepumpe das Weltklima gerettet wird. Und eben diejenigen, die dagegen seien, als Klimawandelleugner verunglimpft werden. Das lässt Lang nicht auf sich sitzen. Zum einen, weil dies ihrer Sicht nach von ihrer Partei nie so gesagt wurde. Zum anderen, weil heutzutage nicht mehr über Wohlstand und Sicherheit gesprochen werden könne, ohne den Klimaschutz einzubeziehen.

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Es gehe auch nicht darum, Politiker, die das betreffende Gebäudeenergiegesetz ablehnten, pauschal als Rechtspopulisten oder dergleichen abzustempeln, führt Lang aus. Oder diejenigen, die das Verbrenner-Aus ablehnten. Es sei jedoch absolut populistisch, dass die Union in Deutschland Stimmung gegen die Verbrenner-Entscheidung von Ursula von der Leyens EU-Kommission mache (Stichwort: Green Deal). Schließlich sei sie die eigene Spitzenkandidatin für die Europawahl. Das schaffe totale Verunsicherung bei den Leuten, die sich irgendwann denken müssten: "Die da oben haben doch einen Knall."
Sie bekomme momentan in Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl zurückgespiegelt, dass es in der Politik nur noch ums Gewinnen oder Verlieren gehe, sagt Lang. Dabei fragten diese sich doch vielmehr, was politische Entscheidungen für sie selbst bedeuteten. In einer Regierung müsse man seinen Koalitionspartnern Punkte gönnen, mahnt Laschet. Denn wenn der Eindruck entstehe -was bei der Ampel berechtigterweise der Fall ist -, die Koalition sei zerstritten, schade das dem Ansehen der Politik. Laschet glaubt: Wenn die Ampel gut dastünde, würden nicht so viele Menschen im Land protestieren.
Dass es zwischen SPD, FDP und Grünen besser laufen könnte, da stimmt auch Lang zu. Doch wie kaum eine andere Spitzenpolitikerin weiß die 30-Jährige, dass nicht nur ihre Partei dabei im Fokus der Kritik steht, sondern auch verstärkt ihre Person. Moderatorin Miosga spricht sie auf das oft zitierte abgebrochene Studium an. Dass das politische Widersacher wie CDU-Chef Friedrich Merz belächeln, störe sie nicht, sagt sie. Nur, wenn es dann persönlich werde, gehe sie nicht mit. Sie nennt das Beispiel Markus Söder.
Lang, Kühnert und die Hündin
Der bayerische Ministerpräsident verglich Lang und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert am Aschermittwoch mit seiner Hündin. "Was unterscheidet meinen Hund Molly von Kevin Kühnert und Ricarda Lang?", fragte er seinerzeit das Publikum. "Mein Hund hat eine abgeschlossene Ausbildung, liebe Freundinnen und Freunde. Eine Ausbildung als Schutzhund."

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Sie wolle nicht mit Samthandschuhen angefasst werden, sagt Lang am Sonntagabend. Schließlich tue sie dies bei Merz & Co. auch nicht. Es müsse aber anständig bleiben. Denn heutzutage entstünden schnell "Empörungsdebatten", wenn jemand einen kleinen Fehler mache. Und je härter man Kritik in sozialen Medien formuliere, umso mehr Likes und Aufmerksamkeit gebe es dafür. Doch diese Debatten gingen am Alltag der Menschen vorbei.
Dabei ist die Grünen-Vorsitzende auch durchaus selbstkritisch. Die Ampel habe es nicht geschafft, "den Menschen genug Sicherheit zu geben". Es sei nicht vermittelt worden, dass es einen Plan gebe und sie wüssten, wo es hingehen soll. Streiten sei in Ordnung, aber gefundene Kompromisse sollten nicht nach drei Tagen schon wieder infrage gestellt werden.
Persönliches gegen Zynismus
Sie selbst sei dabei nicht vor Kritik gefeit, konstatiert Miosga. Ganz im Gegenteil: Sie ziehe keine klare Linie, um sich zu schützen, sondern teile etwa einen privaten Moment mit ihrem Partner in der Bahn. Auch wenn es dafür einen Shitstorm gebe. Die Moderatorin will wissen: Warum machen Sie sich an dieser Stelle so verletzlich? Ricarda Lang sagt: "Weil man auch in der Politik Mensch bleibt." Für sie sei wichtig, "nicht zu verhärten". Auch wenn das bedeute, dass ihre Mutter von einem Ampel-Galgen im Nachbarort berichte, bei dem ganz klar sei, der gelte ihrer Tochter.
Es sei eine Versuchung, sich zurückzunehmen und nur noch mit denen zu reden, die die gleiche Meinung hätten. Oder eine "harte Kante" zu ziehen, zur "Maschine" oder gar "Roboter" im politischen Amt zu werden. Damit würde es ihr nicht gut gehen und ihre Politik würde dadurch schlechter, sagt Lang. Ihre Hand bleibe ausgestreckt, ihr Ohr offen. Sie schütze sich vor Zynismus.

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Laschet, der im Geburtsjahr von Lang erstmals in den Bundestag einzog, würde es nicht so machen, sagt er auf Nachfrage. Doch auch er habe versucht, im Bundestagswahlkampf 2021 so zu bleiben, "wie ich bin". Wäre er nur noch staatstragend durchs Land gezogen, wäre dies nicht authentisch gewesen, sagt er. Es hätte ihm vermutlich aber einiges erspart. Da wäre etwa die breite Kritik an seinem Auftritt im Flutgebiet, als er fröhlich feixend abgelichtet wurde, während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über die schlimme Katastrophe spricht. Das sei eindeutig sein Fehler gewesen, sagt Laschet heute.
Ein Moment, der ihn den Sieg gekostet hat? Laschet glaubt es nicht, sondern sieht sich eher als Opfer eines "aggressiven negative campaigning". Er sei damals sogar als "Mini-Trump" und Braunkohle-Mensch verunglimpft worden, empört er sich. Dabei: "Ich eigne mich eigentlich gar nicht zu einem Feindbild, so wie ich als Mensch und als Typ bin." Im Studio kommt Gelächter auf.
Seitenhieb auf Söder
Bei nur zwei Gesprächspartnern kommt die Sendung nicht ohne Längen aus. Etwa als es minutenlang um eine Aufarbeitung der verfehlten Energiepolitik der vergangenen Jahre, insbesondere Nord Stream 2 und die Abhängigkeit von russischem Gas geht. Da wirken Lang und Laschet doch eher unversöhnlich, aber immerhin bleibt es sachlich. Denn genau darum sollte es nach Ansicht der beiden gehen. Etwas mehr Schwung bekommt die Sendung wieder bei einer lockeren Fragerunde, bei der sich Lang unter anderem für Dönerpreise bis maximal fünf Euro ausspricht und Laschet die Lacher bei der aktuellen K-Frage auf seine Seite zieht.
Auf die Frage, wie der neue Kanzler heißt, sagt er: "Wie er heißt, weiß ich nicht, aber er wird aus der CDU kommen." Friedrich Merz dürfte das nicht so gerne hören. Ob sie beide in der nächsten Bundesregierung als Ministerin beziehungsweise Minister agieren? Lang sagt, sie habe bislang nichts geplant. Und Laschet entgegnet: "Ich möchte meine Arbeit machen." Wieder lacht das Publikum.
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Und dann kann sich der gescheiterte Kanzlerkandidat einen Seitenhieb auf seinen CSU-Widersacher Söder nicht verkneifen. Während ihm bei der Frage nach einem Bundespräsidenten Söder lediglich dessen bayerische Herkunft als Pluspunkt einfällt, wird er bei der erneuten K-Frage schon deutlicher. Miosga will wissen, ob er mit Merz schon darüber gesprochen habe, wie man Söder als Kanzler verhindern könne? "Nein", sagt Laschet. "Der hat gesagt, sein Platz ist in Bayern und das glauben wir." Lang bemerkt süffisant, es sei mutig, eine Bemerkung von Markus Söder länger als eine Woche zu glauben.
Dass Söder öffentlich noch immer gegen Laschet nachtritt und dessen damals umkämpfte Kanzlerkandidatur hinterfragt, nimmt Laschet augenscheinlich gelassen hin. Eine Einstellung, die behilflich ist, wenn es darum geht, sich im politischen Diskurs auf die Sachebene zu konzentrieren. Dass das aktuell fehlt, das machen die beiden Gäste an diesem Abend deutlich. Ob das die Lösung für ein Ende der Gewalt ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber es wäre zumindest ein erster Baustein.
Quelle: ntv.de