Merz spielt Quadrell wie Bayern: Alle gegen eine, aber einer macht den Deckel drauf
Politik
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Im Foyer des TV-Studios verfolgen Journalisten und Unterstützer der Kanzlerkandidaten das Quadrell.
Vier Kanzlerkandidaten, zwei Stunden und ein überraschend klarer Sieger: Unionskanzlerkandidat Merz setzt auf Fehlerfreiheit, auch wenn der Amtsinhaber positiv überrascht. Auffallend, wie sehr Friedrich Merz Bundeskanzler Olaf Scholz schont. Schwer hat es dagegen Alice Weidel. Und Robert Habeck ist auch da.
Britta Ernst dürfte halb stolz, halb böse auf Ihren Ehemann sein. Da hört Olaf Scholz endlich auf ihren Rat und erzählt im Kanzlerkandidaten-Quadrell bei RTL nicht ellenlang, was er als Bundeskanzler alles geleistet hat. Doch dafür redet er so viel über seine vielen Vorhaben, dass es sich am Ende der vielleicht wichtigsten Sendung vor der Wahl noch bitter rächt. Konzentriert verfolgt die Kanzlergattin an der Seite von SPD-Chefin Saskia Esken das von Pinar Atalay und Günther Jauch moderierte Quadrell im Foyer des Fernsehstudios Adlershof. Ernst ist Teil der SPD-Entourage, so wie Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz, Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck und AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel ihre Unterstützer und Mitstreiter mit in den Südosten Berlins gebracht haben.
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So skeptisch wie auf diesem Bild war sie gar nicht: Britta Ernst drückte im Studio Olaf Scholz die Daumen.
(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Pool)
Am Ende der teils hitzigen zwei Stunden ist die Stimmung in allen Lagern demonstrativ gut, doch schon besonders auffallend gut bei den Merz -Unterstützern. Darunter nicht nur Parteigranden wie Generalsekretär Carsten Linnemann und Ministerpräsident Reiner Haseloff, sondern auch Prominente wie der frühere Bundesliga-Torwart Roman Weidenfeller und Sängerin Vicky Leandros.
CDU-Chef Merz hatte am Vortag beim Spitzenspiel der Bundesliga, Bayern München gegen Bayer Leverkusen, gesehen, wie er es machen muss: Für den in Umfragen haushoch führenden Merz geht es beim Quadrell nicht um den Sieg. Wie den Bayern in der Bundesligatabelle reichte Merz ein Unentschieden, um den Vorsprung zu halten und ins Ziel zu bringen. Und siehe da: Diese Gelassenheit ist zu Merz' Vorteil. In einer Forsa-Blitzumfrage nach dem Quadrell befinden 32 Prozent der befragten 2004 Zuschauer, der Sauerländer habe sich insgesamt am besten geschlagen.
Merz schont Scholz schon
Dieser Zuspruch für Merz entspricht in etwa den Umfragewerten seiner Union. Gemessen daran ist Scholz eigentlicher Sieger: 25 Prozent Zuschauer, die ihn am besten finden, sind weit mehr als die SPD in Umfragen erzielt – und auch deutlich besser als Scholz' sonstige persönliche Umfragewerte. Je 18 Prozent sehen Habeck oder Weidel vorne. Der rauflustige, schlagfertige und ganz allgemein redefreudige Scholz kommt also gut rüber – wird an diesem Abend aber auch merklich geschont: Unionsfraktionschef Merz stichelt schon gar nicht mehr gegen Scholz. Der Union dämmert, dass eine noch weiter abrutschende SPD das Ziel einer großen Koalition gefährdet. So erwähnt Merz im Quadrell weder die Rassismusvorwürfe aus der Vorwoche, noch die Tatsache, dass US-Vizepräsident JD Vance am Freitag auf der Münchener Sicherheitskonferenz Merz eine Audienz gewährte, nicht aber dem amtierenden Bundeskanzler.
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Andererseits: Will man mit einem Vance-Termin wirklich angeben als CDU-Chef? Der Vertraute von US-Präsident Donald Trump traf sich in München auch mit AfD-Chefin Alice Weidel und warb in seiner Rede für ein Ende der Brandmauer zur AfD. "Ich lasse mir doch nicht von einem amerikanischen Vizepräsidenten sagen, mit wem ich hier in Deutschland zu sprechen habe", empört sich Merz im Quadrell. Er "verbitte" sich solche Einmischungen aus Washington. Und dass Merz mit der AfD aber so etwas von überhaupt nichts zu tun haben wolle, sagt Merz nicht nur mehrmals. Er hebt sich dieses Versprechen sogar für den Schlusssatz seines Abschlussstatements auf, das Merz als letzter der vier Kandidaten vortragen darf: "Mit der AfD ganz sicher nicht."
"Nein, Frau Weidel, wir sind nicht neutral"
Etwas anderes dürfte sich auch Weidel nicht erhofft haben. Merz steuere auf eine Koalition mit SPD, Grünen oder beiden zu, in der er wieder nicht die Wahlversprechen der Union umsetzen könne und "dementsprechend zementiert" sei, sagt Weidel. Sie weiß schon vor der Sendung, dass sie alle drei Kandidaten gegen sich haben wird. Entsprechend unbeeindruckt gibt sie sich von deren Angriffen. "Mit Ihnen kommt die Armut in unser Land", sagt Scholz über die AfD-Wirtschaftspläne. Über Weidels Haushaltspläne amüsiert sich Scholz: "Wahrscheinlich kommen Sie ganz ohne Steuern aus." Zumindest ganz ohne Schulden: Der Staat dürfe "niemals mehr Geld ausgeben, als er einnimmt", behauptet die diplomierte Volkswirtin Weidel.
Merz greift Weidels Klagen darüber auf, dass Russland wohl keine Bundeswehrsoldaten als Teil einer hypothetischen UN-Friedensmission zur Sicherung eines Waffenstillstands in der Ukraine akzeptieren würde. "Sie haben hier gerade einen sehr verräterischen Satz gesagt: Dass wir von Russland nicht als neutral gehen werden", sagt Merz. "Nein, Frau Weidel, wir sind nicht neutral." Deutschland stehe an der Seite der Ukraine und verteidige die internationale Rechtsordnung.
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Habeck wiederum zerpflückt Weidels Aussagen zur Energiepolitik: "Sie haben kein intellektuelles Problem, weil Sie sich ja Putin unterwerfen würden", sagt der Grüne und bekundet sein Mitleid, mit den Faktencheckern. So behauptet Weidel wiederholt, Deutschland habe die weltweit höchsten Energiepreise. Ist zwar falsch, dürfte aber reichen für kurze AfD-Clips auf Tiktok und anderen sozialen Medien. Doch auch dieser Widerspruch hier, fällt unter das, was Weidel im Quadrell "unverschämtes Framing nennt".
Habeck als optimistischer Mittler
Es ist auffällig, wie unauffällig der Kandidat mit den höchsten Beliebtheitswerten durch die Sendung gleitet: Robert Habeck ist in allen Umfragen als Person gleichauf mit Merz. In der Forsa-Befragung zur Sendung finden den Grünen 34 Prozent am sympathischsten, Merz folgt mit 23 Prozent. In puncto Glaubwürdigkeit ist er mit 26 Prozent nur drei Punkte hinter Merz. Doch das Land zu führen, trauen Habeck nur 13 Prozent zu. Merz erntet hier 43 Prozent Zuspruch, Scholz 19 Prozent und Weidel 13 Prozent. Habeck dürfte das ahnen. Er präsentiert sich in der Sendung als Mittler zwischen den Welten, als Brückenbauer. Und als Optimist: Deutschland müsse "aufhören, so rumzuheulen", sagt Habeck. "'Alles geht den Bach runter': So wird das ja nichts."
Nach der Bundestagswahl werden die Parteien aus den Wahlkampfritualen "heraustreten müssen", sagt Habeck in seinem Schlusswort. "Dafür ist die Lage zu ernst, dafür ist der Druck, der auf Deutschland und Europa lastet, zu hoch." Das heißt aber nicht, dass der Grünen-Kanzlerkandidat sich nicht abgrenzen würde von den demokratischen Wettbewerbern, insbesondere Friedrich Merz. Dessen Wahlversprechen seien durch den Haushalt nicht gedeckt, seine Versprechen zur Migrationspolitik unrealistisch. Wenn die Union nach Afghanistan abschieben wolle, müsse sie als einziger EU-Staat mit den Taliban verhandeln. "Das ist ein Terrorregime", erinnert Habeck. "Das, Herr Merz, sollten Sie überdenken." Er riskiere sonst, einen noch größeren Spalt in die EU zu treiben.
Es gibt auch was zu lachen
Die Union wehre sich gegen die Einwanderung von überprüften vormaligen Helfern der deutschen Afghanistan-Kräfte, sagt Habeck. Das habe aber mit irregulärer Migration nichts zu tun, genauso wenig die jährlich 12.000 Menschen, die über den Familiennachzug nach Deutschland kommen. Die Migration ist eines der Hauptthemen der Debatte. Scholz verweist auf die unter ihm gesenkten Zugangszahlen und die gestiegenen Abschiebungen. Merz reicht das nicht. Weidel fordert die Komplettüberwachung der deutschen Grenzen. Wie das gehen solle, will Pinar Atalay wissen. "Fragen Sie die Bundespolizei, ich bin Politikerin", blafft Weidel zurück – und liefert damit Futter für reichlich Spott in den sozialen Medien.
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Das Netz staunt auch über Olaf Scholz: Bei einer kurzen Fragerunde müssen sich die Kandidaten zwischen zehn Jahren Opposition und zehn Jahren in der RTL-Sendung Dschungelcamp ("Ich bin ein Star, holt ich hier raus") entscheiden. Alle weichen aus, aber Scholz sagt immerhin: "Ich hab' schon mal Dschungelcamp geguckt." Wer hätte es gedacht? Als Jauch im "Wer wird Millionär"-Modus fragt, wie viel Prozent der Beamten erst zum Renteneintrittsalter und nicht schon vorzeitig in Pension gehen, tippt Scholz als einziger richtig: 20 Prozent. Merz und Weidel tippen 40 Prozent. Habeck liegt mit 80 Prozent deutlich daneben.
Der Grüne fremdelt mit den spielerischen Elementen der Sendung merklich. Dabei war er wenige Tage zuvor in der Sendung von Stefan Raab noch für Blödeleien zu haben. Nach der Abrissbirnen-Rede von JD Vance am Freitag scheint ihm die Laune dazu vergangen. Auch die Frage von Jauch, ob er auf ein Ministeramt verzichten würde, um eine schwarz-grüne Koalition zu ermöglichen, beantwortet Habeck unwirsch: "Das Problem Markus Söder hat Herr Merz allein." CSU-Chef Söder hat einen Bundesminister Habeck für undenkbar erklärt. Wie geht Merz damit um, will Jauch wissen. "Herr Söder schreibt mir gar nichts vor", antwortet Merz.
Am Sendungsende wollen Jauch und Atalay wissen, welche Koalitionsoptionen Merz vorschweben. Der will sich partout nicht darauf einlassen. Die Union wolle so stark wie möglich werden, alles andere sehe man dann. Auch Habeck und Weidel geben ihre Positionen zum Besten. Ausgerechnet Scholz aber nicht. Der hat seine Redezeit 25 Minuten vor Schluss quasi überschritten; liegt wegen seiner engagierten, aber eben auch ausführlichen Beiträge sieben Minuten vor Habeck, der bis dahin am wenigsten gesprochen hat. Und so diskutieren Habeck, Weidel und Merz den Tag nach der Wahl, als wäre der Amtsinhaber gar nicht anwesend.
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Vielleicht auch besser so: Es bleibt Scholz erspart, darauf hinzuweisen, dass er ja vielleicht auch im Amt bleibe und nicht Merz gewinne. Das ist allerspätestens nach diesem Abend so gut wie ausgeschlossen. Eine Woche vor der Wahl leistet sich Merz in der publikumsstarken TV-Debatte keinen kapitalen Fehler, ja nicht mal einen kleinen. Was soll ihn bei seinem Umfragevorsprung jetzt noch aufhalten?
Eher nichts, weiß man auch in der SPD. Und so verwendet Scholz in seinem Schlusswort nicht Silbe auf die eigene Person, auf seine Leistungen als Bundeskanzler, der Deutschland durch schwere, ja kreuzgefährliche Kriegsjahre navigiert hat – kein "Sie kennen mich"-Moment. Scholz bewirbt noch einmal brav das SPD-Wahlprogramm, damit seine Partei am 23. Februar nicht völlig untergehen möge. Mehr kann er wohl nicht mehr tun für die Sozialdemokratie, die auf das schwächste Wahlergebnis der Nachkriegsgeschichte zusteuert.
Quelle: ntv.de