Larry Kramer: Zum Tod des Aktivisten und Dramatikers – Wütend bis zum Schluss

Larry Kramer bei einem Auftritt in New York im Jahr 1987: getrieben von Resultaten
.
Catherine McGann/ Getty Images
Das Lieblingswort von Larry Kramer, der jetzt mit 84 gestorben ist, war "Nein". Er schmetterte es allen entgegen, die nicht sehen wollten, wie zu Beginn der Achtzigerjahre in den USA eine Krankheit eine ganze Community ausradierte: In der Doku "Larry Kramer in Love and Anger" wird der amerikanisch-jüdische Autor, Aktivist, Dramatiker sehr deutlich. Er gibt hier drei Menschen die Schuld an der HIV/Aids-Pandemie: Ed Koch, dem damaligen Bürgermeister von New York; Abraham Michael Rosenthal, bis 1988 Chefredakteur der "New York Times" und Präsident Ronald Reagan.
Kramer hatte keine Probleme damit, Menschen als Mörder zu bezeichnen, weil sie sich nicht um die Belange von "Schwuchteln" kümmern würden, er prangerte sie alle an: die Pharmaindustrie, die Politik. Er verschonte niemanden, auch nicht seine eigene Community.
Wahrscheinlich ist dies auch der Grund, warum er immer und immer wieder als "kompliziert" beschrieben wurde oder auch als "beleidigend", wie es in dem Nachruf der "New York Times" steht. Und ja: Kramer war sicherlich kein einfacher Mann, aber seine Wut, seine Trauer nicht zu verstecken, sondern sie politisch zu nutzen – das war vielleicht einer seiner größten Verdienste. Die Wut war sein Motor, sie trieb ihn an, und Larry Kramer war wütend, immer, er blieb es bis ins hohe Alter.
Universitätsjahre und Umzug nach London
Der 1935 im US-Bundesstaat Connecticut geborene Kramer hasste seinen Vater, einen Anwalt, weil er ihn als "Sissy" bezeichnete. Er besuchte die Eliteuniversität Yale, studierte Englische Literatur, fühlte sich aber einsam als schwuler Mann an der Universität. Er unternahm dort einen Suizidversuch und begann später eine Therapie. In den Sechzigerjahren zog Kramer nach London, um in der Filmbranche zu arbeiten. Sein älterer Bruder Arthur war neben seinem Partner sein Anker, gemeinsam kämpften sie dafür, in Yale die Larry Kramer Initiative für Lesbian and Gay Studies zu initiieren.
Seinen Durchbruch als Drehbuchschreiber hatte Kramer mit dem Film "Liebende Frauen", er wurde für seine Arbeit für einen Oscar nominiert. 1978 veröffentlichte Kramer seinen ersten Roman "Faggots" (deutsch: "Schwuchteln") – und löste damit Kontroversen aus: Kramer beschrieb in seinem Buch eine Gay Community in New York, die von Drogen, Hedonismus und promiskem Sex besessen ist, während seine Hauptfigur nach Liebe sucht. "Faggots" war für Kramer eine persönliche Angelegenheit, das Buch hatte größtenteils autobiografische Züge, weil Kramer selbst zu der Zeit nicht verstehen konnte, warum der Mann, den er liebte, nicht mit ihm zusammen sein wollte. Kramer selbst bekam ihn dann schließlich im Gegensatz zu seiner Hauptfigur: Er lebte mit David Webster seit 1994 zusammen, beide heirateten 2013.
Die Kontroverse um seinen Roman
Kramers Roman wurde von der eigenen Community als Verrat angesehen, weil er in der Zeit nach den befreienden Stonewall-Protesten moralisierend argumentierte, indem er Sex nicht als politischen Akt verstand. Er brachte wieder Scham in den Raum zurück, so die Kritik. Die einzig queere Buchhandlung in Manhattan bot das Buch dann auch nicht an. Kramer selbst stand immer zu seinem Werk und der Haltung, dass es in der Gay Community einen Mangel an Moral gab.
Drei Jahre später tauchten die ersten Berichte einer Krankheit auf, die vor allem schwule Männer betraf. Kramer gründete mit anderen die "Gay Men's Health Crisis" (GMHC). Gemeinsam mit 200 Angestellten bot die Initiative Hilfe für Einzelpersonen und Familien an und Unterstützung in juristischen und medizinischen Fragen. 1983 schrieb Kramer seinen berühmten Essay "1.112 und weiter steigend" ("1,112 and counting").
Darin forderte er die queere Community auf, sich nicht mehr der Promiskuität hinzugeben – was einige als Art Warnung verstanden, während andere wieder den ewigen Moralapostel Kramer vor sich sahen. Ein Streit zwischen den Gründungsmitgliedern sorgte für Kramers Ausschluss, weil er immer wieder das politische System attackierte, das die GMHC finanziell unterstützen sollte. Seine Erfahrungen bei GMHC verarbeitete Kramer in dem Theaterstück "A Normal Heart", das zu einem Erfolg und 2014 von Ryan Murphy für HBO verfilmt wurde.
Kramer war immer getrieben von Resultaten, er wollte Dinge verändern. Seine Rede in einem Community-Center 1987 gilt als Geburtsstunde des Aktivismus-Kollektivs "Act Up", das, so Kramer, aus "Wut und Protest" gegründet wurde. In einem Interview sagte Kramer 2003: "Ich war nicht interessiert an abgehobenen Theorien. Resultate. Wie bekommen wir diese beschissenen Medikamente?" Bei Act Up brachten demnach alle das ein, was sie wussten, lernten etwa zivilen Ungehorsam als politisches Instrument durch die Black Community. Zu Act Ups berühmtesten Aktionen zählt zum Beispiel das Verstreuen von Asche von an Aids-Komplikationen Verstorbenen vor dem Weißen Haus. Dank dem Druck von Act Up kamen 1996 die ersten HIV-Proteaseinhibitoren, die zur Behandlung von Infektionen verwendet wurden, auf den Markt.
"Wir dürfen keine Krümel akzeptieren"
Für Kramer, der selbst HIV-positiv war und an Hepatitis B litt, hörte der Kampf aber nie auf. Er bekam als einer der ersten HIV-positiven Menschen eine Lebertransplantation. In Retrospektive sah er, der immer auf Resultate hin arbeitete, Act Up nicht als Erfolgsgeschichte. Auf dem 20. Jahrestreffen von Act Up im Jahr 2007 erinnerte Kramer in seiner Rede "We are not crumbs, we must not accept crumbs" (deutsch: Wir sind keine Krümel, wir dürfen keine Krümel akzeptieren) gewohnt deutlich daran: "Wir sagen nicht mehr fickt euch, fickt euch, fickt euch". Er blieb der Mittelfinger der Gesellschaft.
Kramer ging es in seiner Rede nicht nur darum, die jüngere Generation wieder zu reaktivieren, sondern auch darum, eine Geschichtsschreibung aufrechtzuerhalten: "Gays sind niemals einbezogen in die Geschichte von irgendwas". Über 40 Jahre arbeitet Kramer an einer zweiteiligen Chronik über die Geschichte queerer Menschen in den USA. Zuletzt schrieb er an einem Theaterstück über Covid-19.
Nun ist Kramer im Alter von 84 Jahren gestorben. In dem Stück "The Normal Heart" sagt der homosexuelle Aktivist Ned Weeks, den Kramer an sich selbst angelehnt hat: "Das ist, wie ich in Erinnerung bleiben will. Als einer der Männer, die den Krieg gewonnen haben."
Icon: Der Spiegel