Kriminalität: “Deutschfeindliche” Straftaten – was steckt dahinter?

Schwarz-rot-goldene Fahne am Boden (bei einer AfD-Demonstration im November 2018)
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Zwischen den vielen Zahlen über rechte oder linke Straftaten ging die Neuerung fast unter. Nur zwei Sätze auf Seite sechs des Berichts zur politisch motivierten Kriminalität (PMK), den Innenminister Horst Seehofer (CSU) jüngst in Berlin vorstellte, kündigen sie an. Zum 1. Januar 2019 sei ein neues Themenfeld für die PMK-Erhebung in Deutschland eingeführt worden, heißt es da: "deutschfeindlich". 132 Straftaten, davon 22 Gewaltdelikte, seien hier gemeldet worden. Die meisten würden den Kategorien "ausländische Ideologie", "links" oder aber politisch gar nicht zugeordnet.
Das war es auch schon. Mehr findet sich nicht über die "Deutschfeindlichkeit", die es immerhin in eine Statistik geschafft hat, die Horst Seehofer insgesamt als "äußerst ernst" bezeichnet. Auch bei der Vorstellung des Berichts kein Wort dazu vom Innenminister oder dem Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch.
Was steckt also hinter diesem Themenfeld, das neuerdings unter dem Oberbegriff Hasskriminalität extra ausgewiesen wird? Warum halten es Innenministerium und BKA für nötig, "deutschfeindliche" Straftaten zu erfassen? Und was für Delikte sollen das überhaupt sein?
Politisch aufgeladener Begriff
Klar ist: Der Begriff der "Deutschfeindlichkeit" ist politisch aufgeladen. Schon seit Jahren taucht er immer wieder im Vokabular auch prominenter Politiker auf. So warnte Cem Özdemir von den Grünen einst vor "Deutschenfeindlichkeit auf Schulhöfen" und forderte, Pädagogen und Mitarbeiter in Behörden gegen diese und "jede andere Form von Diskriminierung" auszubilden. Die ehemalige CDU-Familienministerin Kristina Schröder beklagte sich vor mehr als zehn Jahren über "deutschfeindliche Straftaten" von Migranten, ohne diese wirklich zu definieren. Schröder bezeichnete Deutschfeindlichkeit als "Fremdenfeindlichkeit, ja Rassismus".
Heute aber wird "Deutschfeindlichkeit" vor allem in rechtsextremen oder rechtspopulistischen Milieus genutzt: Für Pegida sind beispielsweise "alle Politiker, die nicht das deutsche Volk bewahren, deutschfeindlich". Im Umfeld sogenannter Reichsbürger fällt das Wort ebenfalls häufig. So rief ein prominenter Vertreter der Szene in Bayern dazu auf, "Deutschlandfeinde aus Notwehr" zu töten. In einem Manifest der bayrischen Reichsbürgerbewegung aus dem Jahr 2016 werden diese Feinde konkret benannt: "Journalisten, Politmarionetten, deutschfeindliche Juristen und Mitarbeiter in Behörden, die Juden sind oder von Juden gesteuert werden."
Nun hat es ausgerechnet dieser Begriff in die offizielle Kriminalitätsstatistik geschafft. Warum? Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner ist Sprecherin der Linksfraktion für antifaschistische Politik. Sie bat das Innenministerium um eine Definition des neuen Themenfelds im PMK-Bericht.
Die Antwort aus dem Ministerium fiel eher vage aus: "Straftaten aufgrund von Vorurteilen des Täters bezogen auf die Nationalität werden u. a. in dem zum 1. Januar 2019 eingeführten Themenfeld 'Deutschfeindlich' trennscharf abgebildet. Wie im Themenfeld 'Ausländerfeindlich' werden im Themenfeld 'Deutschfeindlich' Straftaten aufgrund der zugeschriebenen oder tatsächlichen Nationalität des Opfers erfasst." Mit anderen Worten: "Deutschfeindliche" Taten bilden den Gegenpol zu "ausländerfeindlichen" Taten.
Linkenpolitikerin Renner ist entsetzt. "Deutschfeindlichkeit", sagt sie, sei ein rechter Kampfbegriff, der etwas andeute, was es nicht gebe: Rassismus gegen weiße Deutsche. "Damit verbunden ist die Absicht, die Aufmerksamkeit vom tatsächlichen Problem, nämlich Rassismus, abzulenken. So macht sich die Bundesregierung zur Erfüllungsgehilfin der extremen Rechten", sagt Renner.
Die Bundesregierung lässt sich von Rechten treiben? Der SPIEGEL bat das Seehofer-Ministerium um eine Reaktion auf diesen scharfen Vorwurf, zudem ebenfalls um eine Definition und eine detaillierte Auflistung sogenannter "deutschfeindlicher" Kriminalität. Es folgte dieselbe kurze Antwort, wie sie die Linkenabgeordnete auf ihre Anfrage erhalten hatte. Auf telefonische Nachfrage verweist das Innenministerium, das seit dieser Legislatur ja auch als Heimatministerium firmiert, "für weitere Einzelheiten der Statistik" auf das Bundeskriminalamt.
"Trennscharfe Auswertemöglichkeit"?
Das BKA wiederum antwortete auf die Frage nach der Definition von "Deutschfeindlichkeit" genau wie das Ministerium, dem es untergeordnet ist. Bemerkenswert ist jedoch die Begründung aus dem BKA, warum das neue Themenfeld überhaupt eingeführt wurde: "Ziel der Einführung der Themenfelder 'Ausländerfeindlich' und 'Deutschfeindlich' war die trennscharfe Auswertemöglichkeit zu Straftaten, die aufgrund von Vorurteilen eines Täters bezogen auf die Nationalität des Opfers begangen werden." Mit dieser Begründung wird Hasskriminalität gegenüber Ausländern oder Deutschen mit Migrationshintergrund auf eine Stufe mit der neuen "Deutschfeindlichkeit" gestellt.
Nur spiegelt sich diese Analogie in den erhobenen Zahlen nicht wider. Für die jeweilige Zuordnung der Straftaten zum Beispiel als "deutschfeindlich" seien die Landespolizeidienststellen zuständig, heißt es im BKA. Bei den registrierten Gewaltdelikten im neuen Themenfeld handele es sich um acht leichte Körperverletzungen, zehn schwere Körperverletzungen, zwei Brandstiftungen, einen Raub und ein Widerstandsdelikt gegen Beamte. Ein regionaler Hotspot kann laut BKA nicht definiert werden: "Die geringe Anzahl der bundesweiten Fallzahlen lässt eine belastbare regionale Auswertung darüber hinaus fachlich nicht zu."
Statistisch hat das neue Themenfeld bei seiner Premiere im PMK-Bericht also kaum eine Relevanz. Den insgesamt 132 "deutschfeindlichen" Straftaten im Jahr 2019 stehen im gleichen Zeitraum weit mehr als 10.000 "ausländerfeindliche" und "fremdenfeindliche" Delikte gegenüber.
Zum Vorwurf, man übernehme mit der Kategorisierung "deutschfeindlicher" Straftaten eine Forderung aus dem rechtspopulistischen und rechtsextremen Diskurs, nehmen die Behörden erwartungsgemäß keine Stellung. Ein Blick ins Archiv zeigt aber: Im Wahlkampf und in sozialen Medien machen AfD-Politiker schon seit Jahren entsprechende Vorschläge. Und erst im März 2020, also rund einen Monat vor der Vorstellung des neuen PMK-Berichts, beschäftigte sich eine kleine Anfrage mehrerer AfD-Bundestagsabgeordneter mit "Opfern deutschfeindlicher und christenfeindlicher Übergriffe".
Die erste Frage der AfD-Parlamentarier lautete: "Plant die Bundesregierung, Deutschfeindlichkeit oder Inländerfeindlichkeit als analytische Kategorie zur Strukturierung und Ausrichtung der Arbeit ihrer (Sicherheits-)Behörden einzuführen?"
Die Antwort der Bundesregierung darauf lautete: die Kategorie sei längst eingeführt.
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