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Kaufprämie für Elektroautos: Autohändler sieht Förderung kritisch

June 16
23:36 2020
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Stillstand auf der A9 zwischen München und Berlin: "Wir müssen flexibler werden"

K.M.Krause/ snapshot/ imago images

SPIEGEL: Herr Warncke, Elektroautos werden durch das Konjunkturpaket deutlich höher vom Staat bezuschusst, die von der Autoindustrie gewünschte Verbrennerprämie wurde verworfen. Müssen Sie Ihre Kunden nun zwangsbeglücken mit Autos, die ihnen nichts bringen?

Warncke: Auf gar keinen Fall. Die Reichweite der E-Autos ist spätestens seit 2017 alltagstauglich, als sie von 190 auf 300 Kilometer gestiegen ist mit dem Sprung vom alten zum neuen E-Golf. Etliche meiner Kunden nutzen den Wagen als Erstauto und kommen problemlos mit dieser Reichweite aus. Gleichzeitig wird die Ladeinfrastruktur immer besser. Natürlich ist das schwierig für Vertreter, die 40.000 Kilometer im Jahr fahren. Aber zwei Drittel aller Autofahrten sind kürzer als zehn Kilometer, da lacht selbst das E-Auto. Die Menschen haben nur diese diffuse Angst, dass plötzlich ein Anruf kommt und man nach Hannover fahren muss. Aber dieser Anruf kommt nie – und selbst wenn, dann nutzt man die alle zwei Stunden empfohlene Pause, um das Auto zu laden.

SPIEGEL: Wenn Sie die Kaufprämie bestimmen dürften, wie sähe sie aus?

Warncke: Auch dann gäbe es keine Verbrennerprämie. Die braucht man nicht, die Förderung über die Mehrwertsteuer reicht völlig aus. Auch der höhere Bonus für Hybride wäre nicht nötig gewesen, das ist wohl ein Zugeständnis an die Autoindustrie. Und auch die Elektroprämie hätte nicht so stark erhöht werden müssen. Maximal 2000 Euro mehr hätten vollkommen gereicht. Aber ich weiß noch nicht, wie viel der ID.3 kosten wird, eventuell brauchen wir da am Ende jeden Tausender, damit er preislich attraktiv ist. Aber nach jetzigem Dafürhalten hätte ich das Geld lieber in andere Dinge investiert, zum Beispiel in Ladesäulen.

SPIEGEL: Wieso hätte eine niedrigere Prämie für die E-Autos gereicht?

Warncke: Uns fehlen im Moment einfach die Autos. Da geht es nicht nur mir als VW-Händler so, andere Hersteller haben dieses Problem auch. Die Nachfrage war schon vor dem Konjunkturpaket sehr hoch und die Lieferzeiten lang. Diesen Engpass kann man nicht kurzfristig überwinden, auch wenn wir alle hoffen, dass noch irgendwo die Schatulle mit den Elektroautos aufgeht. Der e-Golf ist nur noch bis Jahresende erhältlich, aber ausverkauft. Den e-Up bekommt man bei einer Bestellung heute erst Anfang 2021. Dann verpasst man aber die niedrigere Mehrwertsteuer, die viele Kunden gern mitnehmen wollen.

SPIEGEL: Worin – außer Ladesäulen – hätten Sie das für die hohe Kaufprämie vorgesehene Geld als Staat lieber investiert?

Warncke: Ich hätte es wichtig gefunden, die Bahncard, E-Cargobikes oder das Carsharing zu fördern. Die Mobilität ist in Deutschland durch die starke Präsenz der Autoindustrie zu sehr auf das Auto ausgerichtet. Das Auto allein kann es aber auch mit alternativen Antrieben nicht richten. Mit nur 500 Euro erreicht man bei Lastenrädern oder Carsharing schon recht viel. Die Mobilität in Deutschland muss flexibler werden, und da wäre ein starkes Signal an die Bevölkerung möglich gewesen. Die Mobilitätswende hat drei Säulen: E-Autos, einen leistungsfähigen öffentlichen Verkehr und Städte, die kurze Wege ermöglichen. Wir alle, auch die Autohändler, müssen das große Ganze sehen und über Konjunkturanreize hinaus die Vernetzung der verschiedenen Angebote fördern.

SPIEGEL: Geförderte Bahncards und Lastenräder, mehr Carsharing. Wäre das nicht das Ende Ihres Geschäftsmodells als Autohändler?

Warncke: Ich will vom Autohändler zum Abohändler, oder besser gesagt zum Mobilitätsanbieter werden. In Zukunft werden wir als Autohändler auch Mobilitätskarten verkaufen. Ich könnte mir vorstellen, eine Mobilitätskarte für einen privaten VW und ein Ticket für den öffentlichen Verkehr anzubieten. VW und ÖV – das könnte ein griffiger Name für so etwas sein. Man zahlt beim Händler dann nicht mehr nur eine monatliche Rate fürs Auto, sondern auch für Bus und Bahn und kann dort einfach einsteigen. Der Verkäufer konfiguriert künftig also nicht nur das Auto, sondern fragt auch, ob der Kunde mit der Bahn in den Urlaub fährt oder den Nahverkehr nutzt und stellt ein Mobilitätspaket zusammen. Ähnliche Angebote gibt es bereits für Autos, man kann zum Beispiel im Sommer einen VW California für den Urlaub bekommen. Aber wir müssen das ausweiten, flexibler werden und Angebote verknüpfen.

SPIEGEL: Gewerkschaften warnen, dass Zehntausende Industriearbeitsplätze wegfallen, wenn wir uns schnell von Autos mit Verbrennungsmotoren verabschieden.

Warncke: Kurzfristig könnten tatsächlich Arbeitsplätze gefährdet sein. Langfristig werden wir aber alle von dem Wandel profitieren. Es ist wichtig, die Arbeitsplätze mit Zukunft zu stärken. Schon jetzt haben Unternehmen erkannt, dass etwa Batteriezellen hierzulande gefertigt werden sollten und nicht in Asien.

SPIEGEL: Auch viele Autohändler tun sich mit Veränderungen schwer und verkaufen beispielsweise E-Autos halbherzig. Motto: Sie wollen einen E-Golf? Hier habe ich den passenden Verbrenner für Sie. Warum ist das so?

Warncke: Die Verkäufer fahren oft zu selten E-Autos im Alltag. Wenn überhaupt fahren sie die Fahrzeuge einmal um den Pudding. Der Kunde möchte aber wissen, wie praktikabel ein E-Auto im Alltag ist. Wir wollen ermöglichen, dass unsere Verkäufer E-Autos im Alltag erleben. Man kann nur empfehlen, was man kennt. Ansonsten geht man zu schnell auf das gewohnte Gleis und empfiehlt einen Benziner oder Diesel, das ist einfach nur menschlich.

SPIEGEL: Verkäufer müssen mehr E-Auto fahren – so einfach wäre das?

Warncke: Außerdem wären Anreize im Margensystem für die Händler wichtig. Wer E-Autos oder Autos mit wenig CO2-Emissionen verkauft, wird belohnt. Da sind die Hersteller gefordert.

SPIEGEL: Warum ticken Sie beim Thema Auto anders als weite Teile der Branche?

Warncke: Für mich war ein eigenes Auto schon als Student nicht erstrebenswert. Bei Bedarf gab es bei uns in der Familie immer ein Auto. Und in Hamburg habe ich das Auto als Student nicht brauchen können, da musste man morgens nur gucken, ob es noch da ist oder ob es anspringt. Ich bin meist mit Freunden mitgefahren oder habe die Bahn genommen. Zudem haben mich alternative Antriebe und Umweltschutz schon immer fasziniert. Als in den Neunzigerjahren der E-Golf nur an Energieversorger und nicht in den freien Verkauf ging, war ich unglaublich enttäuscht. Mein Interesse an der Mobilitätswende ist nicht plötzlich entstanden. Heute ist diese Einstellung für mich vermutlich ein Vorteil, ich kann mich besser in Menschen hineinversetzen, die nur ab und zu ein Auto brauchen.

SPIEGEL: Ihr Autohaus liegt auf dem Land in Tarmstedt, zwischen Bremen und Hamburg. Ist eine Mobilitätswende in so einer Gegend wirklich machbar?

Warncke: Gerade hier gibt es riesige Potenziale. Sehr viele Leute haben Zweit- und Drittwagen, die fast nie genutzt werden, wegen der schlechten ÖPNV-Anbindung aber manchmal unverzichtbar sind. Viele können durch kleine, umweltfreundliche Sharingfahrzeuge ersetzt werden. Carsharing hat auf dem Land mehr Potenzial als in der Stadt. Heutzutage kann man die Autos ja auch bequem per App vom Sofa buchen, in die Ortsmitte gehen, einsteigen und losfahren. Die Zukunft ist schon da, sie muss nur bei den Leuten ankommen.

SPIEGEL: Aber nutzen die Menschen auf dem Land solche Angebote?

Warncke: Absolut. Im Nachbarort Wilstedt gibt es zwei E-Autos, die als Sharingfahrzeuge in der Ortsmitte stehen. Kürzlich ist da ein Ehepaar aus Süddeutschland hingezogen – auch, weil es dort ein E-Carsharing gibt. Das Umdenken findet bereits statt, wir müssen nur endlich anfangen, Dinge zu verändern.

Icon: Der Spiegel

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