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Joseph Beuys: »Hört auf mit dem scheinheiligen Getue«

May 12
18:56 2021
Beuys bei einer Performance 1981 in Rom: Missionar des Esoterischen Bild vergrößern

Beuys bei einer Performance 1981 in Rom: Missionar des Esoterischen

Foto: Leemage / imago images

SPIEGEL: Herr Riegel, Sie beschäftigen sich seit Jahren intensiv mit Beuys, warum kommen Sie nicht von ihm los?

Riegel: Zu Beginn meiner Recherchen wurde mir klar, ein einzelnes Buch würde nicht reichen, da sind viele Böden unter dem bekannten Terrain.

SPIEGEL: Welche meinen Sie?

Riegel: Sein verqueres Demokratieverständnis zum Beispiel. Er wollte eine andere Gesellschaft, war gegen die parlamentarische Demokratie. Da war auch seine Forderung, der Staat müsse sich aus allem zurückziehen, vor allem aus dem Schulsystem, auch aus der akademischen Lehre. Beuys wetterte gegen sogenannte staatszentralistische Machtsysteme, zu denen er auch die Medien zählte – ohne die er dann doch nicht konnte. Mir erscheint er wie ein Vorläufer aktueller Verschwörungstheoretiker, solcher Leute, die sich der »Querdenken«-Bewegung anschließen.

SPIEGEL: Er hat doch die Grünen mitgegründet. Wie kann das sein?

Riegel: Er suchte immer nach einer Plattform, um seine Weltanschauung zu vermitteln. Deshalb hat er verschiedene politische Organisationen gegründet. Die Grünen waren seine letzte Hoffnung auf politischer Ebene. Sein Traum war es, im Bundestag zu sprechen, doch dazu kam es eben nicht, er wurde von der jungen Partei 1982 abserviert, weil seine Ideen gefährlich wurden. Wer ihn in dieser Zeit erlebt hat, und das habe ich, konnte sehen und spüren, wie ihn das alles mitgenommen hat, er sah furchterregend krank aus. In diesen letzten Jahren vor seinem Tod wirkte er resigniert. Der künstlerische Boom hat ihn gar nicht mehr interessiert. Auch die Feiern in diesem Jahr zu seinem 100. Geburtstag hätten ihn wohl eher gestört.

SPIEGEL: Ihre Beuys-Biografie hat das Bild vom integren Künstler 2013 ins Wanken gebracht, soll das Denkmal mit dem neuen Band umfallen?

Riegel: Das klingt mir zu kategorisch. Mir geht es nicht um einen Denkmalsturz. Dafür hätte ich nicht vier Bände verfassen müssen. Aber der zentrale Dreh- und Angelpunkt war, dass das Bild, das wir von Beuys hatten, nicht stimmt. Auch mein eigenes. Ich kannte Beuys ja gut. Wahrscheinlich bin ich einer der wenigen heute aktiven Kunstautoren, die ihn persönlich kannten. Aber der Beuys, dem ich posthum während der Recherche begegnete, war ein anderer, als der, den ich zu kennen glaubte.

SPIEGEL: Inwiefern?

Riegel: Ich hielt ihn für links und zukunftsorientiert, und das war wohl das größte Missverständnis. Zwar gab es immer Geraune, zum Beispiel über den Germanenkult, den Beuys schon an der Kunstakademie zelebrierte. Doch je tiefer ich grub, desto mehr Seiten kamen zum Vorschein, die auf unschöne Weise mit der dunklen, deutschen Vergangenheit zu tun hatten, die ich so extrem nie erwartet hätte. Die Kunstwelt hatte erfolgreich eine geschönte Story über Beuys verbreitet. Er ist viel wert, auf dem Markt und für die Museen.

SPIEGEL: Sie gelten wegen Ihrer Recherchen als Nestbeschmutzer, wie lebt es sich damit?

Riegel: Ich muss das ertragen. Inzwischen scheint es allerdings so, als habe sich der Wind gedreht, als würde akzeptiert werden, dass die von mir vorgelegten Fakten für sich sprechen. Jedenfalls orientiert sich die wissenschaftliche Beuys-Rezeption heute mehrheitlich an meinen Arbeiten.

SPIEGEL: Wirklich? Die Staatsgalerie Stuttgart hat anlässlich ihrer großen Schau über Beuys einen Podcast in Auftrag gegeben und sich dann ein Stück weit davon distanziert, weil die Autoren des Beitrags Ihrer Position angeblich zu viel Gewicht gegeben hätten. In einem Magazin-Beitrag hat ein Kunsthistoriker Ihre Arbeit noch vor ein paar Tagen denunziatorisch genannt – das klingt nach viel Gegenwind.

Riegel: Sie spielen auf Eugen Blume an. Ich halte es für bedenklich, wenn der Kurator der wichtigsten Beuys-Ausstellung dieses Jahres es für nötig hält, mich zu diffamieren, nur weil ich das sachlich falsche, geschönte Beuys-Bild infrage stelle. Ich habe inzwischen meine Anwälte beauftragt, die Angelegenheit zu prüfen, weil ich es leid bin, mich beleidigen zu lassen. Und ja, natürlich gibt es noch Museumsleute, die die Debatte am liebsten ganz ausblenden würden. Das ist jedoch eine bizarre Realitätsverweigerung. Die Anbetung sollte durch Transparenz ersetzt werden. Das gilt insbesondere für mit Steuergeldern bezuschusste Ausstellungen. Da werden Jubelfeiern für einen Mann inszeniert, der die parlamentarische Demokratie verhöhnte.

SPIEGEL: Sie waren einst Assistent beim Düsseldorfer Maler Jörg Immendorff, der selbst ein ehemaliger Beuys-Student war. Wie standen die beiden zueinander?

Riegel: Immendorff engagierte sich wie Beuys bei den Grünen, man könnte aber sagen, die beiden selbst waren sich zu dieser Zeit absolut nicht grün.

SPIEGEL: Warum nicht?

Riegel: Immendorff war Ende der Sechzigerjahre maoistisch-linksradikal verortet. Für ihn war Beuys damals Teil der bürgerlichen Kultur, er hatte Beuys früh rechte Tendenzen unterstellt. Darüber waren beide zerstritten und haben lange kein Wort mehr miteinander geredet. Dann kamen sie über die Grünen wieder zusammen, Immendorff kandidierte für den Düsseldorfer Stadtrat, Beuys mischte als Kandidat für den Bundestag mit. Ich war manchmal Bote zwischen den beiden.

SPIEGEL: Das hieß?

Riegel: Wenn Flugblätter abgestimmt werden mussten, war ich in Richtung Drakeplatz zu Beuys unterwegs. Jedes Mal, wenn ich bei ihm war, fragte er: »Wat macht der Jörsch?« Was ziemlich väterlich klang. Außerdem war Immendorff immer klamm. Einmal hat er bei einem Autounfall seinen Wagen zu Schrott gefahren und brauchte dringender denn je Geld. Er schickte mich zu Beuys und der hat mir ein-, zweitausend Mark in einen Briefumschlag mitgegeben. Als Immendorffs Erfolg größer wurde, wurde die Beziehung zwischen ihnen besser. Ich empfand es so, dass Beuys auch stolz auf ihn war. Immendorff war ja einmal sein Lieblingsschüler gewesen. Dennoch blieb die politisch rechte Grundausrichtung von Beuys ein latentes Problem.

SPIEGEL: Aber offenbar kein echtes Hindernis?

Riegel: Beuys war trotz allem für Immendorff eine Vaterfigur. In Ermangelung des eigenen Vaters. Immendorff liebte ihn, das war auch eine enttäuschte Liebe, eine Hassliebe. Nicht von ungefähr hat er Beuys in seinen Arbeiten oft dargestellt.

SPIEGEL: Sie haben aufgezeigt, dass Beuys viele Kontakte zu Leuten mit Nazivergangenheit hatte. Hatten Sie damit gerechnet?

Riegel: Nein, meine Recherche war für mich selbst sogar eine brutale Erkenntnis. Es war ein Schock, als mir im Bundesarchiv in Berlin die dicke SS- und SA-Akte von Karl Fastabend auf den Tisch gelegt wurde. Fastabend war Anfang bis Mitte der Siebzigerjahre für Beuys eine wichtige Figur, sein Privatsekretär, Autor seiner Pamphlete, politischer Spiritus Rector. Die Grafik auf der berühmten Plastiktasche »So kann die Parteiendiktatur überwunden werden« war eine Fleißarbeit von Fastabend. Später stellte sich heraus, dass Beuys sich mit vielen solchen Gestalten umgeben hat.

SPIEGEL: Warum hat er das getan?

Riegel: Da bin ich bei meiner zweiten Stufe der Erkenntnis, bei der eigentlichen Obsession des Künstlers, bei der Anthroposophie. Erfunden wurde diese esoterische Lehre, die eigentlich eine Weltanschauung ist, von Rudolf Steiner.

SPIEGEL: Der 1925 verstorbene Steiner gilt vielen noch heute als wichtiger Reformer, er gründete Unternehmen, dazu die Waldorfschulen, er erfand die sogenannte biologisch-dynamische Demeter-Landwirtschaft.

Riegel: Aber es ist kein Geheimnis, dass seine Weltanschauung auch völkisch, sogar rassistisch grundiert war. Mir wurde klar, dass Beuys' anthroposophische Obsession der einzige Schlüssel ist, um ihn und damit seine Kunst zu verstehen. Steiner hat sich für einen neuen, esoterisch erleuchteten Christus gehalten, Beuys hat sich entsprechend als Erlöserfigur inszeniert. Das ging so weit, dass er seinen Studenten wie Christus seinen Jüngern die Füße gewaschen oder Taufrituale inszeniert hat.

SPIEGEL: Sie belegen mit Ihrer Arbeit, dass Beuys im Grunde bei Steiner abgeschrieben hat.

Riegel: Beuys gilt als Universalgenie, als unglaublich originell und originär. Das war er nicht. In Wahrheit sah er sich als von Steiner beauftragt, dessen Weltanschauung zur Geltung zu verhelfen. Das hat Beuys selbst niedergeschrieben. Seine künstlerischen Arbeiten sind herausragend. Primär sind sie allerdings Interpretationen von Steiner-Thesen.

SPIEGEL: Sogar kritische Kenner der Anthroposophie sagen, dass Beuys für die anthroposophische Gemeinschaft als Aushängeschild heute wichtiger ist, als es die Lehre für ihn je war. Sie sei eine Inspirationsquelle unter vielen gewesen. Und tatsächlich war er, soweit bekannt, kein Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft.

Riegel: Vielleicht war er es doch, es ist nicht so leicht, das herauszufinden. Bis Anfang der Siebzigerjahre hat er nicht öffentlich und eindeutig darüber gesprochen, was ihn wirklich antrieb. Innerhalb anthroposophischer Kreise war er aber sehr aktiv. In den Fünfzigerjahren wollte er sogar andere missionieren, ist mit einem anthroposophischen Redner auf Vortragsreisen gegangen. Er hat versucht, seine Freunde, sein Umfeld dafür einzunehmen, scheiterte aber. In den Siebzigerjahren kehrte er in ein anthroposophisches Umfeld zurück, aus dem sich heute seine fanatischsten Anhänger rekrutieren.

SPIEGEL: Ein Satz, den alle mit Beuys verbinden, ist der, dass jeder Mensch ein Künstler sei. Was hat der mit Steiner zu tun?

Riegel: Steiner nannte die Gesellschaft den sozialen Organismus, Beuys machte daraus die soziale Plastik. Die These ist: Jeder Mensch muss mit seinen individuellen Fähigkeiten, mit seinen Begabungen – vom Putzen und Holzhacken bis zur Lehrtätigkeit – seinen Beitrag leisten zur Entwicklung des sozialen Organismus, bei Beuys eben an der sozialen Plastik. Jeder solle schön an seinem Platz bleiben, jeder sollte an der neuen, anthroposophisch determinierten Gesellschaft mitarbeiten – und die ist eben das Kunstwerk.

SPIEGEL: Was sagen Sie zu seinem künstlerischen Werk?

Riegel: Beuys war trotz allem ein herausragender Künstler. Ganz klar hat er für die moderne und zeitgenössische Kunst viel bewirkt, er hat die Aufmerksamkeit auf neue, experimentelle Kunstformen gelenkt, hat sie zum Thema gemacht. Und das im Weltmaßstab. Nur ist das auch die Tragik.

SPIEGEL: Was genau ist tragisch?

Riegel: Dass er so falsch interpretiert wird. Dass seine Weltanschauung umgedeutet wird, weil sie höchst problematisch ist. Aber es wäre doch wichtig und erkenntnisreich, ihn in seiner Gänze zu verstehen. Seiner Kunst würde das nicht schaden. Doch dazu müssten seine Apologeten endlich aufhören mit all den Lügen, mit ihrem scheinheiligen Getue.

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