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John Bolton hätte gegen Donald Trump aussagen müssen – Kommentar

June 18
20:41 2020
Noch-Sicherheitsberater Bolton beäugt US-Präsident Trump bei einer Kabinettssitzung im Mai 2018 Icon: vergrößern

Noch-Sicherheitsberater Bolton beäugt US-Präsident Trump bei einer Kabinettssitzung im Mai 2018

JONATHAN ERNST/ REUTERS

Was John Bolton in seinem Buch über den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zu erzählen hat, ist nach normalen politischen Maßstäben erschütternd, haarsträubend und skandalös. Und zugleich wird keine der vielen Enthüllungen noch irgendjemanden wirklich erstaunen.

Ja, Donald Trump vermischt seine persönlichen Interessen mit dem nationalen Interesse der USA und stellt sich selbst über das Wohl seines Landes. Ja, er schmeichelt sich bei Diktatoren ein, bittet Chinas Präsidenten um Wahlkampfhilfe und träumt davon, Journalisten erschießen zu lassen.

Ja, so ist Donald Trump. Wenn davon jemand schockiert sein sollte, hat er die letzten Jahre allerdings nicht aufgepasst.

Boltons Buch – mit dem Titel "The Room Where It Happened" – ist nur eines in einer langen Reihe von Büchern, die aus dem Innern dieses Weißen Hauses entstanden sind. Sie alle zeichnen das gleiche verheerende Bild eines Präsidenten, der seinem Amt nicht gewachsen ist, autokratische und antidemokratische Züge hat und der nur ein politisches Programm kennt: ich, ich, ich. Er schrumpft sein Land und sein Amt, um an der Macht zu bleiben.

Das wird in Boltons Buch mit Episoden belegt, die unfassbar und zugleich absolut stimmig sind: Trump bestärkte Chinas Präsidenten Xi Jinping darin, Internierungslager für die muslimische Minderheit der Uiguren zu errichten. Er wollte Ex-Außenminister John Kerry strafrechtlich verfolgen lassen, weil der mit iranischen Repräsentanten gesprochen hatte. Er ließ sich von Wladimir Putin davon überzeugen, dass Venezuelas Parlamentspräsident Juan Guaidó "wie Hillary Clinton" sei. Er dachte, Finnland gehöre zu Russland.

Warum hat Bolton nicht ausgesagt?

Das größte Problem von Boltons Buch ist sein Autor. Zwar gibt es trotz Trumps wütender Dementis wenig Zweifel daran, dass Boltons Schilderungen zutreffen. Die große Frage ist, warum Bolton sich all diese saftigen Geschichten für ein Buch aufgespart hat, mit dem er wohl Millionen verdienen wird. Und warum er sie nicht im Dezember und Januar im Impeachmentverfahren des Kongresses gegen den Präsidenten geäußert hat. Für dieses Verfahren wären seine Informationen von höchster Relevanz gewesen – sie hätten es den Senatoren und Abgeordneten erlaubt, in dem dafür vorgesehenen Rahmen ein vollständigeres Bild des Präsidenten zu bekommen.

Eine Aussage Boltons hätte vermutlich nichts geändert am Votum der republikanischen Senatoren. Sie sprachen Trump im Januar von den Anklagepunkten des Machtmissbrauchs und Behinderung der Ermittlungen frei, dabei lagen die Beweise zu Trumps Verhalten in der Ukraineaffäre offen zutage. Und höchstwahrscheinlich hätten sie sich auch von Boltons Aussagen nicht dazu bewegen lassen, den Präsidenten des Amtes zu entheben. Dennoch hätten Boltons Schilderungen vor dem Kongress mehr Gewicht gehabt als in einem Buch.

Der Autor John Bolton ist ein außenpolitischer Falke, der zuletzt weder links noch rechts besonders viele Freunde hatte. In seiner Karriere ließ sich bisher nur ein festes Prinzip beobachten: der Wunsch, Amerikas Macht weltweit militärisch durchzusetzen. Boltons Traum ist ein Krieg gegen Iran. Zu diesem Zweck ging er ein Bündnis mit Donald Trump ein und wurde Nationaler Sicherheitsberater. Im September 2019 war seine Amtszeit nach nur 17 Monaten vorbei. Eigentlich hatten die beiden Männer nie wirklich zusammengepasst: Bolton ist ein Neocon, der Kriege liebt. Trump ein Nationalist, der zwar große Worte mag, aber Kriege scheut.

Die Unbeliebtheit ausgebaut

Es wäre eine späte Ironie, wenn Bolton nun durch sein Buch ausgerechnet zum Helden jener Linken würde, die ihn immer als Kriegsgurgel schmähten. Doch es sieht eher danach aus, dass Bolton seine Unbeliebtheit nun auf allen Seiten weiter ausgebaut hat: Indem er zugleich ein für Trump vernichtendes Buch schrieb und sich gleichzeitig weigerte, vor dem Kongress auszusagen.

Man muss Bolton zugutehalten, dass er überhaupt auspackt. Es ist schwer vorstellbar, was Trumps Kabinettsmitglieder Tag für Tag an Ungeheuerlichkeiten aushalten, nur um an der Macht zu bleiben. Bolton schildert in seinem Buch, wie Außenminister Mike Pompeo – der den Präsidenten öffentlich immer verteidigt – einmal einen Zettel zu Bolton rübergeschoben haben soll, auf dem gekritzelt stand: "He is so full of shit", zu Deutsch: Der redet nur Scheiße. Im Verborgenen die Augen verdrehen, vor den Kameras den Präsidenten verteidigen. So machen es die anderen. Auch Bolton hätte darauf spekulieren können, nach seiner Entlassung in Trumps Umfeld zu bleiben – und womöglich in einer zweiten Amtszeit wieder einen Posten zu erhalten. Das immerhin hat er nicht getan.

Doch unabhängig von der Frage des Autors und seiner Motive wäre es eine Überraschung, wenn Boltons Enthüllungen tief greifende Auswirkungen haben sollten. Natürlich werden jetzt Rufe laut, neue Untersuchungen gegen Trump einzuleiten. Die Demokraten könnten versucht sein, ihre Ermittlungen im Kongress auszuweiten, manche werden womöglich nach einem neuen Amtsenthebungsverfahren rufen. Aber Letzteres wäre aus Sicht der Demokraten unklug. Schon das erste Verfahren hat gezeigt, dass eine objektive Untersuchung dieses Präsidenten im vollkommen polarisierten Amerika keine Chance hat. Solange um die 90 Prozent der republikanischen Basis zum Präsidenten hält, wird kein Republikaner Trumps Zorn riskieren.

Gefahr für Trumps Anti-China-Kampagne

Das Deprimierende im Zeitalter von Trump ist, dass alle Enthüllungen und Skandale am Ende nur Teil eines großen Medienzirkus werden, der kaum reale Auswirkungen hat – weil fast alle ihre Meinung über Trump längst gemacht haben. Das Buch wird wohl bei kaum einem Amerikaner die grundsätzliche Einstellung zu Trump ändern. Die entscheidende Schlacht darüber, ob die Amerikaner einen solchen Mann zum Präsidenten haben wollen oder ob sie von diesem Gebaren genug haben, die läuft bereits: der Präsidentschaftswahlkampf 2020.

Trump wollte sich den Wählern in den Monaten bis November vor allem als Gegner Chinas präsentieren und seinen Widersacher Joe Biden zugleich als Chinesenfreund diskreditieren. Für diese Strategie ist Boltons Enthüllung, dass Trump Chinas Präsidenten Xi um Wahlkampfhilfe gebeten haben soll, natürlich ein Problem. Doch der Präsident und seine Unterstützer haben schon ganz andere Widersprüche ausgehalten.

Das Buch ändert an der Ausgangslage für November kaum etwas. In den Umfragen ist Trump gegen Biden weit zurückgefallen. Die für die Wahl entscheidenden Themen sind die gleichen, die das Land seit Wochen bewegen: Trumps miserables Management der Coronakrise, der wirtschaftliche Absturz des Landes – und die enormen gesellschaftlichen Spannungen nach der Tötung von George Floyd in Minneapolis, die Trump immer nur weiter anheizt, statt das Land zu versöhnen. Das sind die Themen, mit denen die Demokraten Trump im November schlagen können. Was ihr Präsident für ein Mensch ist und wie sie zu ihm stehen, das wissen die allermeisten Amerikaner hingegen längst.

Icon: Der Spiegel

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