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Influencer narrt Rechte: Wie der “Stolzmonat” zurückerobert werden soll

June 08
12:06 2024

Panorama

"Stolzmonat" ist eigentlich nur die deutsche Übersetzung von Pride Month. Die Konnotation könnte allerdings kaum unterschiedlicher sein.

"Stolzmonat" ist eigentlich nur die deutsche Übersetzung von Pride Month. Die Konnotation könnte allerdings kaum unterschiedlicher sein.

Mit einem nationalistischen Pendant will die rechte Szene den traditionellen Pride Month kapern. Dem queeren Aktivisten Fabian Grischkat gelingt jedoch mithilfe des Markenrechts ein Coup. Jetzt wird er angefeindet.

Dass es Rechtsextremen gelingen kann, ihre Ideologie in die breite Öffentlichkeit zu tragen, hat die rassistische Umwidmung von "L'Amour toujours" zuletzt nachhaltig unter Beweis gestellt. Auch den Pride Month, der jedes Jahr im Juni von der LGBTIQ-Gemeinschaft gefeiert wird, versuchen rechte Akteure für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Aktuell trendet der Hashtag "Stolzmonat" auf X, verbunden mit Memes, die sich vor allem gegen Queere und Linke richten. Accounts von sehr konservativ bis ultrarechts umrahmen ihr Profilbild mit Abstufungen der Nationalfarben, dem "Stolzmonat"-Äquivalent zur Regenbogenfahne.

"Als mir im Juni vergangenen Jahres ein Meer aus Deutschlandfahnen in den sozialen Medien entgegen schwappte, habe ich mich erst gefragt, ob ich ein Fußballspiel verpasst habe. Allmählich habe ich dann begriffen, was da passierte", sagt Fabian Grischkat im Gespräch mit ntv.de. Der 23-Jährige ist Influencer und Aktivist, seine Videos zu Klimaschutz und queeren Themen erreichen auf Instagram mehr als 140.000 Follower.

Fabian Grischkat produziert Videos über politische Themen.

Fabian Grischkat produziert Videos über politische Themen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Dann sorgte Anfang des Jahres das Potsdamer Treffen, bei dem Rechte über eine Massendeportation von Millionen Menschen berieten, für einen Aufschrei. Bundesweit gingen Menschen gegen rechts auf die Straße, und auch Grischkat hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen. "Gleichzeitig bemerkte ich, dass die Akteure des rechten Lagers ihre Aktionen für den Juni vorbereiteten, die sind ja durchaus gut koordiniert." Er ließ sich von einer befreundeten Anwältin beraten, ob er sich den Begriff "Stolzmonat" schützen lassen kann. "Aus ihrer Sicht war das kein Problem."

Denn "Stolzmonat" erfüllt die nötigen Voraussetzungen: Das Wort ist anders als etwa "stolzer Monat" nicht allgemein gehalten, steht weder im Duden noch ist es beleidigend, dafür aber relativ neu. Kurzum meldete Grischkat die Wortmarke beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum im spanischen Alicante an. Hilfe erhielt er dabei von Juristinnen und Juristen und der Kampagnen-Agentur Media Force.

Höcke, Trikots und Kaffeetassen

Eigentlich steht der Pride Month, der aus den Stonewall-Protesten Ende der 1960er-Jahre hervorgegangen ist, im Zeichen von Vielfalt und Toleranz. Es geht um den Stolz auf die eigene Identität, Sichtbarmachung und den Kampf gegen anhaltende Diskriminierung – so fallen viele Christopher-Street-Day-Paraden auf den Juni. Vor einigen Jahren riefen Rechtsextreme dann den "Stolzmonat" als nationalistischen Gegenentwurf ins Leben.

In der Szene stößt der Slogan nach wie vor auf große Resonanz. Auf X ist beispielsweise das Porträt des AfD-Politikers Björn Höcke derzeit mit Schwarz-Rot-Gold umrandet. Maximilian Krah, Spitzenkandidat der Partei zur Europawahl, verlost dem EM-Trikot der Nationalmannschaft nachempfundene "Stolzmonat-Trikots" mit seiner Unterschrift. Ein rechter Online-Shop, der unter anderem Merchandise der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative vertreibt, hat im Juni "Stolzmonat"-T-Shirts und Kaffeetassen ins Sortiment genommen.

Nach dem Willen rechtsextremer Gruppen soll der "Stolzmonat" über das Internet hinauswirken. Einem Bericht des Verfassungsschutzes von Baden-Württemberg zufolge verband die Identitäre Bewegung das Hashtag im Jahr 2023 mit der Challenge, eine Deutschlandfahne zu hissen oder an "eine patriotische Orga eurer Wahl" zu spenden. Extremisten aus Pforzheim machten demnach mit einem Video gegen die LGBTIQ-Bewegung Stimmung, das zunächst einen CSD zeigt, dann Männer in schwarz-rot-goldenen Sturmhauben beim Kampfsport. Damit werde suggeriert, dass queere Menschen den "Volkskörper" schwächten und die eigene Überlegenheit betont, schreiben die Verfassungsschützer.

"Es ist eben unser Begriff"

Für Grischkat hat seine Aktion zunächst einen symbolischen Wert. "Wir haben die Wortmarke angemeldet, um unsere Marke zu schützen, weil der 'Stolzmonat' eben unser Begriff ist, den wir auch in den nächsten Jahren weiter nutzen wollen und der uns nicht von rechts streitig gemacht werden soll." Doch bei der Anmeldung allein blieb es nicht. "Wer sich mit Marken – und Patentrecht auskennt, weiß, dass, wenn man nichts mit der Marke macht, diese schnell wieder aberkannt wird", so Grischkat.

Die Idee zu einem "Stolzmonat"-Shop entstand. Der Influencer kreierte eine eigene Modekollektion, anstatt Nationalfarben zieren seine T-Shirts rosa Herzchen oder die Gesichter queerer Ikonen. Darunter die Unterhaltungskünstlerin Claire Waldoff, die in den "Goldenen Zwanzigern" offen lesbisch in Berlin lebte oder Magnus Hirschfeld, Arzt und Vorreiter der Homosexuellen-Bewegung in der Weimarer Republik. An die nach ihm benannte Bundesstiftung, die queere Projekte und Bildungsinitiativen fördert, fließt nach eigenen Angaben der gesamte Gewinn des Shops.

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Massenweise Abmahnungen herausschicken, wie auf X mitunter gemutmaßt wird, will Grischkat indes nicht. "Wir können einem Maximilian Krah nicht verbieten, das Wort 'Stolzmonat' zu verwenden. Das ist auch gut so, denn wir leben in einem Land, in dem Meinungsfreiheit herrscht."

AfD-Anwalt legt Widerspruch ein

Bei einigen Rechten stößt Grischkats Gegenkampagne zur Gegenkampagne sauer auf. Der Erfurter Anwalt und AfD-Kandidat bei der Europawahl, Sascha Schlösser, hat nach Angaben von t-online Widerspruch beim Marken- und Patentamt gegen die Wortmarke eingereicht. Auf X bekennt sich Schlösser zum "Stolzmonat", schwingt auf einem Bild die charakteristische Flagge auf dem Balkon des Erfurter Rathauses. Die Anmeldung der Marke sei "gleich aufgrund einer Vielzahl von Kriterien bedenklich", teilte er dem Portal mit. Er empfehle den Anmeldern, den Antrag auf Markeneintragung zurückzunehmen.

In den sozialen Netzwerken wird Grischkat nun angefeindet. "Dass ich zur Zielscheibe werde, war absehbar und ist natürlich nicht schön. Über ein paar Bildchen kann ich lachen, andere Sachen, die ich lese, sind allerdings schon weniger harmlos", sagt er. Eine Grenze sei für ihn überschritten, wenn es in den Bereich der Volksverhetzung geht. "Solche Kommentare wische ich nicht einfach weg, sondern erstatte Anzeige. Da gilt für mich Nulltoleranz."

Quelle: ntv.de

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