Imamoglu grüßt aus der Haft: Abertausende protestieren vor Istanbuls Stadtverwaltung
Politik

Die Polizei setzt in Istanbul erneut Pfefferspray gegen die Protestierenden ein.
Istanbuls Bürgermeister Imamoglu ist vorübergehend abgesetzt und sitzt in Untersuchungshaft, die Stimmung in der Bevölkerung ist aufgeheizt: Trotz Versammlungsverboten gehen erneut Zigtausende Menschen auf die Straße. Derweil geht die Regierung auch online gegen unliebsame Meinungen vor.
Gegen die Absetzung und Inhaftierung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu gibt es in der Türkei massiven Widerstand. Den fünften Tag in Folge gehen in dem Land Hunderttausende Menschen auf die Straße. In Istanbul fanden sich am Abend Abertausende Demonstranten vor der Stadtverwaltung auf dem Sarachane-Platz ein. Damit trotzten sie dem Versammlungsverbot, das Behörden in der Millionenmetropole verhängt hatten.

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Der Chef der Oppositionspartei CHP, der auch Imamoglu angehört, sprach von einer Million Teilnehmern bei der von der CHP angekündigten Demonstration vor der Stadtverwaltung. Von lokalen Behörden gibt es keine Angaben. Berichten zufolge setzte die Polizei am späten Abend erneut Wasserwerfer und Tränengas gegen die Demonstrierenden ein. Auch in Ankara, wo ebenfalls Demonstrationen offiziell untersagt sind, setzten Tausende Menschen die Proteste fort.
"Ich grüße die Millionen, die heute Abend auf dem Sarachane-Platz und auf den Plätzen überall in meinem Land ihre Stimme erhoben haben", hieß es in einer Mitteilung, die auf Imamoglus X-Account veröffentlicht wurde. "Sie haben Erdogan gesagt: 'Jetzt reicht es!'." Der prominente Oppositionspolitiker gab sich kämpferisch: "Ich stehe aufrecht, ich werde mich niemals beugen, alles wird gut", erklärte er über seine Anwälte bei X. Den Slogan "Alles wird gut" hatte Imamoglu bereits im Jahr 2019 verwendet, nachdem seine Wahl zum Istanbuler Bürgermeister zunächst annulliert worden war. Bei der Wiederholung des Urnengangs siegte er dann deutlich, 2024 wurde er in das Amt wiedergewählt.
CHP spricht von "politischem Staatsstreich"
Die Massenproteste in der Türkei hatten am Mittwoch begonnen, als Imamoglu und viele seiner Mitstreiter in Zusammenhang mit Korruptions- und Terrorermittlungen festgenommen worden waren. Am Sonntagmorgen hatte das Istanbuler Caglayan-Gericht gegen Imamoglu Untersuchungshaft wegen mutmaßlicher Korruption verhängt. Die von der Staatsanwaltschaft angestrebte Anordnung von U-Haft auch wegen "Terrorismus"-Vorwürfen lehnten die Richter hingegen ab. Wenige Stunden nach Verkündung der Untersuchungshaft gab das Innenministerium bekannt, Imamoglu sei "vorübergehend" seines Amts als Bürgermeister enthoben worden. Imamoglus Partei CHP sprach von einem "politischen Staatsstreich" und rief dazu auf, "weiterzukämpfen".
Ungeachtet der Festnahme von Imamoglu hielt die CHP am Sonntag die Vorwahl für die Präsidentschaftskandidatur der Partei ab. Wegen der hohen Teilnahme wurde die Abstimmung bis in die Abendstunden verlängert. Rund 15 Millionen Menschen stimmten schließlich für Imamoglu, wie das Rathaus von Istanbul mitteilte. Unter ihnen seien 13,2 Millionen Menschen ohne Parteibuch der CHP, die "ihre Solidarität" mit Imamoglu zum Ausdruck gebracht hätten. Imamoglu war der einzige Kandidat bei der Vorwahl.

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X soll Nutzerkonten sperren
Zugleich wählte ihn die CHP am Sonntag zu ihrem Präsidentschaftskandidaten für eine künftige Wahl. Beobachter hatten damit gerechnet, dass die Inhaftierung und Absetzung Imamoglus die Proteste gegen das Vorgehen der türkischen Regierung weiter anfachen könnten. Die derzeitigen Demonstrationen sind die größten seit den regierungskritischen Gezi-Protesten des Jahres 2013. "Keinerlei Versuch, die öffentliche Ordnung zu gefährden, wird geduldet", erklärte Innenminister Ali Yerlikaya am Sonntag, noch vor der Entscheidung des Gerichts. Weit über 300 Menschen wurden in den letzten Tagen im Zusammenhang mit den Protesten in Gewahrsam genommen.
Auch gegen Aktivitäten in sozialen Medien geht die Regierung vor. Laut Innenministerium wird gegen mehr als 300 Personen wegen "Aufstachelung der Öffentlichkeit zu Hass und Feindseligkeit" und "Anstiftung zur Begehung von Straftaten" ermittelt. X teilte mit, dass die türkischen Behörden die Sperrung von mehr als 700 Nutzerkonten verlangt hätten. Die Plattform erklärte, man lehne die Maßnahmen ab, die sich unter anderem gegen "Journalisten, Politiker, Studenten und anderen Personen" richteten.
Quelle: ntv.de, ino/AFP/dpa