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H&M in der Corona-Krise: Wie das Unternehmen profitieren kann

June 27
16:04 2020
Ein wegen der Coronakrise geschlossener H&M-Store in Großbritannien Icon: vergrößern

Ein wegen der Coronakrise geschlossener H&M-Store in Großbritannien

Kieran Cleeves/ imago images/PA Images

Gespenstische Stille herrschte in den deutschen H&M-Stores noch Ende April. Keine Musik, keine plappernden Teenagergrüppchen zwischen Träger-Tops und kurzen Kleidchen, keine quengelnden Kleinkinder bei den Baby-Bodys. Obwohl der Lockdown da längst beendet war, schien es mehr Verkäuferinnen als Kunden zu geben – absolut ungewöhnlich bei der sonst eher auf Selbstbedienung ausgelegten Modekette.

Ganze Store-Bereiche waren gesperrt, um die Ansteckungsgefahr zu verringern, die Umkleidekabinen geschlossen. Wer anprobieren wollte, musste erst bezahlen – und dann nach Hause fahren.

Die Corona-Pandemie setzt H&M schwer zu: Erst waren 80 Prozent der Läden wochenlang geschlossen, danach kamen trotz großzügiger Rabatte kaum Kunden wieder. "Die Nachfrage war deutlich gedämpft", berichtete Firmenchefin Helena Helmersson am Freitag bei der Halbjahrespressekonferenz. Die Folge: Um 50 Prozent brach der Umsatz des schwedischen Modekonzerns im zweiten Geschäftsquartal ein, das im Mai endete. Die Gruppe schloss das Quartal mit einem Verlust von umgerechnet knapp 500 Millionen Euro ab.

Es lief seit Jahren nicht rund

Treibt die Coronakrise also auch eine der weltgrößten Fashionketten in eine Existenzkrise? Schließlich lief es bei dem schwedischen Konzern schon seit Jahren nicht mehr wirklich rund. Und die Modebranche leidet wie kaum eine andere unter der Pandemie: Mittelpreisige Ketten wie Esprit oder Tom Tailor mussten bereits Insolvenz anmelden, S.Oliver entlässt Hunderte Mitarbeiter. Seit Beginn der Pandemie laufen die Lager mit T-Shirts und Hosen, Kleidern und sommerlichen Jacken über.

Das betrifft auch H&M, deren Umsatzwachstum sich seit 2016 von elf auf drei Prozent verlangsamte, die Gewinne schrumpften. Erzielte der Konzern 2015 noch einen operativen Profit von rund 27 Milliarden Schwedischen Kronen, so waren es 2018 nur noch 15,5 Milliarden Kronen (rund 1,5 Milliarden Euro). Unter Führung des inzwischen abgelösten Gründerenkels Karl-Johan Persson schien das bis dahin erfolgreiche Unternehmen eine ganze Reihe von Entwicklungen zu verschlafen. Und das rächt sich heute, in der Krise. Zwar konnten die Schweden 2019 zwischenzeitlich wieder mehr Wachstum und steigenden Profit melden, aber das Unternehmen kämpft noch immer mit einer ganzen Reihe struktureller Probleme:

  • Läden versus Online: Obwohl der Trend seit Jahren eindeutig in Richtung Online-Shopping geht, setzte H&M viel zu lange auf den Ausbau immer neuer Flächen

  • Schnelligkeit: Während die Modebranche immer kurzlebigere Trends produzierte, bleibt H&M bis heute überwiegend bei seinem eher behäbigen Produktionsrhythmus mit rund sechs Monaten Vorlauf

  • Preis: Neue, extrem schnelle Billigketten – wie Primark oder ASOS – verdrängen H&M aus dem günstigsten Preissegment

  • Diversifizierung: Während Konkurrent Inditex (Zara) erfolgreich andere Marken wie Massimo Dutti aufgebaut hat, hingen bei H&M 2016 noch immer 95 Prozent der Umsätze an der Hauptmarke. Seither neu aufgebaute Marken wie Arket oder & Other Stories sind noch immer sehr klein

"H&M hat zu lange auf die Expansion der klassischen Läden gesetzt", sagt ein Insider, der die Textilindustrie seit Jahren berät. Die Kundenfrequenz und Produktivität der Ladenflächen sei seit Jahren rückläufig, während der Onlineanteil wachse. In China wird inzwischen mehr als die Hälfte der Kleidung online gekauft, wie auch eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung von Oliver Wyman zeigt. "Da hilft es auch nichts, in China einen Laden nach dem anderen zu eröffnen."

Genau das hat H&M aber getan: Ab 2014 stieg die Zahl der Läden jedes Jahr um rund 400, die meisten neuen machten in Schwellenländern die Türen auf. Erst seit 2018 bremste H&M die Zahl der Neueröffnungen. Für 2020 plant das Unternehmen, mehr Läden zu schließen: Laut aktuellsten Zahlen sollen 170 vor allem in etablierten Märkten dichtmachen, während 130 öffnen sollen, überwiegend in neuen Märkten – ein Minus von insgesamt rund 40 Läden.

"Seit 2018 befindet sich H&M im Umbau", bestätigt der Insider. Die Firma habe schließlich Ernst gemacht bei der Entwicklung von Onlineshops rund um die Welt, für schnellere Logistik und Systeme wie "Click & Collect", mit denen Kunden etwa Waren online bestellen und im Laden abholen oder umtauschen können. Um rund 20 Prozent legte das Onlinegeschäft 2019 zu. Doch die Transformation braucht Zeit – im Verhältnis zu Mitbewerbern ist H&M noch zu stationär.

Zara ist online stärker

Die Läden machen bei H&M, zumindest bis zur Krise, auch den Großteil des Umsatzes. Da wundert es nicht, dass H&M von den Ladenschließungen besonders getroffen wurde. Der große Konkurrent Inditex büßte im vergleichbaren Zeitraum zwar auch 44 Prozent seines Umsatzes ein. Doch der spanische Konzern steuert schon länger entschieden um, indem er mehr und effektiver in Onlineshopping und die Verschränkung mit den Läden investiert. 2019 erzielten die Spanier 14 Prozent ihrer Umsätze online, 2022 sollen es mit Hilfe von gerade angekündigten Milliarden-Investitionen 25 Prozent sein.

Und auch beim Thema Ladenschließungen zeigt Inditex mehr Entschlossenheit: Zusammen mit den schlechten Quartalsergebnissen verkündete der Konzern, jeden sechsten der knapp 7500 Läden zu schließen. Dies betrifft aber weniger Zara als die ebenfalls zu Inditex gehörenden Marken Massimo Dutti, Bershka oder Pull&Bear. Gleichzeitig sollen 450 moderne Läden eröffnet werden, die zunehmend auch als Online-Warenlager und -Verteilzentrum fungieren sollen.

Langsamer und teurer als die Konkurrenz

Das zweite Problem bei H&M: Die Marke ist mit ihrer Kundschaft gealtert. Das gilt für Trends und Preise. Die Schweden wirken geradezu behäbig im Vergleich zu neuen, reinen Online-Marken wie ASOS, Boohoo, Forever – die im Lockdown prosperierten. Schon seit einigen Jahren besetzen diese Konkurrenten ein noch günstigeres Preissegment als H&M oder Zara. Und sind perfekt ausgerichtet auf die sehr junge Zielgruppe um die 20, die mit ihren Smartphones ständig Trends sichtet und einkauft.

So wirft der britische Ultrafast-Marktführer ASOS bis zu 4500 neue Teile pro Woche auf den Markt, berichtet die Beratungsfirma Coresight. Eine bis zwei Wochen braucht die Firma von der Trendsichtung bis zum Verkauf im Onlineshop. H&M liefert zwar auch ständig neue Ware in die Läden, aber die hat laut Branchenkennern in der Regel sechs Monate Vorlauf. Und weil die Trends immer schneller und schwerer vorauszusehen sind, ist das einfach zu langsam. Farben und Schnitte sind nicht mehr wirklich neu, wenn sie in die Läden kommen – und verkaufen sich dann nur noch im Sale. Das drückt auf den Gewinn.

Inditex dagegen ist viel schneller und flexibler. Die Spanier haben das System des sogenannten "Read and React" perfektioniert: Jeden Tag lesen sie die kompletten Kassendaten aus und analysieren diese. Wenn sich dank dieser Echtzeitdaten zeigt, dass rosa T-Shirts laufen, blaue dagegen nicht, produzieren sie schnell entsprechend mehr rosafarbene nach, und zwar in Europa. Das geht, weil bei Inditex nur die weißen T-Shirt-Rohlinge aus Asien stammen, die dann in Europa, näher am Absatzmarkt, trendabhängig gefärbt, bestickt oder bedruckt werden. Tatsächlich ist Inditex damit ein klassischer Fast Fashion-Anbieter – und kann bei Trends und Schnelligkeit mit ASOS oder Boohoo mithalten.

Diese Flexibilität hilft Inditex nun auch in der Coronakrise: Zwar laufen auch den Spaniern gerade die Lager voll. Aber die weißen Kleiderrohlinge können sie getrost für nächstes Jahr einlagern, und dann trendabhängig gestalten. Während bei H&M die fertige Mode veraltet. Als Folge planen die Schweden Rabatte – und die sind nicht gut fürs Ergebnis.

"Fast Fashion ist nicht unbedingt stärker betroffen. Eher sind diese Firmen gewohnt, flexibel zu sein, nachzuordern, umzusteuern. Das kommt ihnen jetzt in der Krise zugute", sagt Martin Schulte, Textilexperte bei Oliver Wyman.

Und H&M? Kann das ohnehin angeschlagene Unternehmen die Coronakrise überstehen? "Die Situation ist natürlich schwierig, aber große Unternehmen haben genau jetzt Vorteile", sagt Javier Seara von der Boston Consulting Group (BCG). Tatsächlich haben sowohl Inditex als auch H&M Finanzreserven in Milliardenhöhe. Größe und Liquidität helfen auch, wenn es um Kredite geht. Während mittlere Marken wie Tom Tailor Schulden haben – und ihnen damit jetzt das Geld ausgeht.

Außerdem trägt die Krise zu einer wirtschaftlichen Polarisierung bei: Die Reichen leiden eher weniger in der Krise – "und werden weiter Luxuswaren kaufen. Aber alle anderen bewegen sich nach unten", sagt Seara. Also weg vom mittleren Preissegment hin zu Preis-Leistungs-Anbietern. Deren Kundensegment, so Seara, werde eher wachsen. Unternehmen wie Esprit oder Tom Tailor könnten so Anteile an Anbieter wie H&M oder Zara verlieren.

Auch die Analysten von Goldman Sachs und anderen Banken bewerten die letzten Quartalszahlen von H&M als "besser als erwartet". Positiv überrascht zeigten sie sich vom H&M-Onlinegeschäft, das im zweiten Quartal um 36 Prozent zulegen und die Verluste der im April zu 80 Prozent geschlossenen Läden deutlich abpuffern konnte.

Vorstandschefin Helmersson malte diese Woche ebenfalls ein rosigeres Bild der Lage: "Die positive Entwicklung des Online-Verkaufs hat sich seit Beginn der Wiedereröffnung unserer Geschäfte fortgesetzt", sagte sie. Und das, obwohl inzwischen 93 Prozent der Läden weltweit wieder geöffnet haben. Der Effekt war in den vergangenen Wochen offenbar schon zu spüren: Von 1. bis 24. Juni halbierte sich das Umsatzminus auf nur noch 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Vielleicht ist die Pandemie für H&M am Ende eher eine Art Katalysator – und beschleunigt die Entwicklung des Unternehmens hin zu besser ausgebauten Onlineshops und digitaleren Läden, zu mehr Schnelligkeit und damit aktuelleren Modetrends. Die noch nicht überstandene Coronakrise macht deutlich, dass genau darin die Zukunft für H&M liegt.

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