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Herzpatient in der Corona-Krise: “Es haute mich aus den Pantinen”

April 26
05:27 2020

Torsten Herbst ist Diabetiker. Wegen der Coronakrise wurden wichtige Eingriffe an seinem Herzen abgesagt. Es ging ihm immer schlechter, doch er bekam keinen OP-Termin. Dann griff eine Freundin ein.

Der Mann mit der Igelfrisur hält seinen fast zwei Meter großen Körper aufrecht. Sein Gesicht ist eingefallen und fahl, aber der Blick hinter der Brille ist fest. Den Rollator braucht er jetzt kaum noch. Nach fast drei Wochen Aufenthalt hat das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) Torsten Herbst entlassen. Sein Herz schlägt wieder im Takt.

"Kardial dekompensiert" sei der 57-Jährige bei seiner Aufnahme gewesen, so steht es im Bericht des UKE. Er litt unter Luftnot. Literweise hatte sich in seinem Körper Wasser angesammelt. Beides waren Folgen der Pumpschwäche seines Herzmuskels. Eine kardiale Dekompensation kann lebensgefährlich sein.

Eigentlich hätte der Diabetiker wegen seiner bedrohlichen Herzrhythmusstörung schon Ende März im Diakonissenkrankenhaus in Flensburg (Diako) genauso operiert werden sollen, wie es am 14. April in Hamburg geschah. Doch um Corona-Patienten vorrangig behandeln zu können, wurde Herbsts Behandlung verschoben.

Damals verschärfte sich gerade die Pandemie.Am 14. März ordnete ein Erlass der Landesregierung Schleswig-Holsteins an: "Kliniken haben planbare Aufnahmen zu verschieben, um Platz für Covid-19-Patienten zu schaffen." Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte alle deutschen Krankenhäuser dazu aufgerufen. Nur die dringend notwendigen Fälle sollten noch behandelt werden. Aber welche Operation ist dringend, welche verschiebbar? Die Abwägung ist manchmal eine Gratwanderung. Im Fall von Torsten Herbst ging sie schief.

Herbst protestierte – vergeblich

Der Bürokaufmann musste vor einem Jahr in Frührente gehen. Im Dezember 2018 war bei ihm Diabetes diagnostiziert worden. In der Folge bekam er eine Blutvergiftung, die aufs Herz ging, er lag monatelang im Krankenhaus. "Seit Mai letzten Jahres war ich aber stabil", sagt Herbst.

Am 17. Februar geriet sein Leben dann plötzlich aus dem Takt. "Es haute mich aus den Pantinen", erzählt Herbst, "mein Herz raste wie verrückt." Er wurde sofort in der Flensburger Diako aufgenommen. Zwei Eingriffe sollten sein flatterndes Herz wieder unter Kontrolle bringen: eine Elektrokardioversion, also ein starker Stromimpuls, und eine Ablation, bei der Herzgewebe verödet wird. Doch die Kardiologen verschoben die Eingriffe, weil sie befürchteten, dass sich in seinem Herz ein Blutgerinnsel lösen könnte. Sie entließen ihn am 20. Februar mit einer Medikation zur Blutverdünnung bei fortbestehender Rhythmusstörung. All das steht in seinem Entlassungsbericht.

Die Operationen wurden auf den 26. März terminiert – doch dann kam die Coronakrise dazwischen und die Diako verschob die Behandlung erneut. "Aufgrund der Covid-19-Pandemie mussten auch wir viele geplante Operationen aufgrund einer Anordnung der Kieler Landesregierung absagen", erklärt dazu ein Kliniksprecher.

Herbst sagt, er habe gegen die Absage protestiert. Er kriege kaum noch Luft, habe er der Krankenhausmitarbeiterin am Telefon gesagt. Es nützte nichts. Warum nicht, diese Frage lässt die Diako offen. "Als Krankenhaus bedauern wir diese Situation, in der viele Patienten unter verschobenen Operationen und Behandlungen zu leiden hatten, naturgemäß sehr", schreibt der Kliniksprecher.

Die Einweisung der Hausärztin fruchtete nicht

Für den schwerkranken Herbst begann eine Odyssee. Er rief seine beste Freundin an, Antje Ohl. Sie ist Intensiv- und Anästhesiefachkrankenschwester und hat lange in Hamburg gearbeitet. Dort hörte sie sich um. Am Albertinen Krankenhaus würden noch dringliche Herzoperationen durchgeführt, habe ihr eine Bekannte erzählt, so Ohl.

Sie trug Herbst auf, sich schon mal eine Einweisung für das Hamburger Krankenhaus zu besorgen. Der rief in seiner Hausarztpraxis in seinem Wohnort an, einem Dorf an der dänischen Grenze. Die Sprechstundenhilfe versprach, sich zu kümmern. Mit der Ärztin telefonierte er nicht. Am nächsten Tag, es war jetzt Ende März, holte ein Nachbar die Einweisung für Herbst ab. Aus Angst vor Covid-19 übergab die Arzthelferin den Schein an der Haustür. Herbst war da schon viel zu schwach, um selbst hinzugehen.

Warum seine Hausärztin nicht von sich aus anrief, um sich zu erkundigen, was mit dem chronisch kranken Frührentner los war? Herbst hat die Praxis von der Schweigepflicht gegenüber dem SPIEGEL entbunden – genau wie die Ärzte der Diako und des UKE. Doch die Hausärztin will sich nicht äußern: "Das muss zwischen dem Patienten, den Ärzten und den medizinischen Institutionen geklärt werden", sagt sie am Telefon und droht mit ihrem Anwalt.

Die Frau weiß inzwischen, dass ihre Einweisung nicht fruchtete. Denn die Sekretärin der Kardiologie am Albertinen Krankenhaus stellte Herbst offenbar nicht zu einem Arzt durch. Er war ausweislich seines Handys am 31. März um 9:45 Uhr 4 Minuten und 12 Sekunden mit dem Sekretariat verbunden. Er erinnert sich, seine Herzfrequenz genannt zu haben – bis zu 150 Schläge pro Minute – und die Sättigung seines Bluts mit Sauerstoff, er maß schon unter 70 Prozent. Es täte ihr leid, soll die Frau gesagt haben, aber Ablationen, nein, die führten sie wegen Corona nicht durch. Ein Krankenhaussprecher kann die Darstellung nicht bestätigen.

Nach diesem Versuch rief Herbst noch weitere Herzzentren an, in Sankt Georg, in Altona und im UKE. Niemand wollte ihm einen Termin für die nötigen Eingriffe geben, sagt der Patient. Die Kliniken können das weder erklären noch bestätigen. Sie sagen aber, ein Anruf eines Hausarztes hätte in jedem Fall geholfen. Aber Herbsts Ärztin wusste ja nicht, wie es ihrem Patienten ging. Sie hatte sich offenbar blind auf ihre Einweisung verlassen. Und er verließ sich auf seine Freundin, Antje, die Krankenschwester. Die riet ihm auch von einem Notruf ab. "Ich wollte nicht", sagt Ohl, "dass die Sanitäter ihn in eine Klinik ohne die nötigen Spezialisten bringen."

"Als ihm schwarz vor Augen wurde, dachte ich, es sei vorbei"

Am selben Abend lief die Sendung "Visite". Herbst schöpfte Mut. Er rief die Freundin an: "Schalt‘ mal auf NDR 3." Ein Intensivmediziner des UKE war im TV-Studio. Er sagte, es gebe nicht bloß Notfälle, auch dringliche Herzoperationen müssten stattfinden. Gleich am nächsten Morgen fuhr Antje Ohl nach Flensburg und holte den Freund ab. "Es dauerte eine halbe Stunde, bis Torsten es von der Haustür ins Auto geschafft hatte", sagt sie. "Als ihm dann auch noch schwarz vor Augen wurde, dachte ich, es sei vorbei."

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