Großbritannien: Labour-Chef Keir Starmer geht gegen Antisemitismus vor

Labour-Chef Keir Starmer
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Zwei Monate lang war es recht still um Großbritanniens Labourpartei und ihren neuen Vorsitzenden. Keir Starmer folgte im April auf Jeremy Corbyn. Er gilt als besonnen und pragmatisch. Als Führer der Opposition fühlte er der Regierung vor allem bei ihrem Corona-Management auf den Zahn.
Doch mit der überraschenden Entlassung seiner Schattenministerin für Bildung, Rebecca Long-Bailey, geht Starmer plötzlich gleich zwei große Themen an, die ihm Ex-Parteichef Corbyn hinterlassen hat: Das lange schwelende Antisemitismusproblem der Partei und den Umgang mit ihrem linken Flügel.
Weniger als drei Stunden, nachdem Long-Bailey ein Interview des "Independent" mit der britischen Schauspielerin Maxine Peak auf Twitter verbreitet hatte, gab Starmer ihre Entlassung aus seinem Schattenkabinett bekannt.
In dem Interview hatte sich die Schauspielerin vor allem kapitalismuskritisch geäußert und etwa die "Auflösung des Establishments" gefordert. Unter anderem sagte sie aber auch: "Die Taktik der amerikanischen Polizei, sich auf George Floyds Nacken zu knien, wurde ihr in Seminaren mit dem israelischen Geheimdienst beigebracht."
Starmers Büro gab daraufhin in einem knappen Statement bekannt, er bitte Long-Bailey um ihren Rücktritt. Der Artikel, den Long-Bailey verbreitet hat, beinhaltete eine "antisemitische Verschwörungstheorie".
Als Chef der Labourpartei hat Starmer die Wiederherstellung des Vertrauens der jüdischen Gemeinschaft zu einer der obersten Prioritäten gemacht. "Antisemitismus ist ein Schandfleck auf unserer Partei", hatte Starmer bei seiner Antrittsrede als Labour-Chef im April gesagt. Er wolle "dieses Gift von den Wurzeln her ausrotten". Er hatte sich damals für Antisemitismus in der Partei entschuldigt und damit einen klaren Kurswechsel eingeschlagen.
Denn obwohl sein Vorgänger das Antisemitismusproblem anerkannt hatte, war es ihm über Jahre hinweg nicht gelungen, die Vorwürfe gegen seine Partei aufzuarbeiten und glaubhaft zu entkräften. Mit diesem Problem, seinen unklaren Ideen für den Brexit und seinem extremen Linkskurs hat Corbyn der Partei im Vorjahr das schlechteste Wahlergebnis seit 1935 gebracht.
Long-Bailey selbst twitterte, sie habe den Beitrag nicht ohne weitere Absprachen löschen wollen, wie es Starmers Büro gefordert hätte, hätte aber gern mit ihm diskutiert. Er sei ihr mit seiner Aufforderung zum Rücktritt allerdings zuvorgekommen.
"So sieht Kulturwandel aus"
Starmers entschlossenes Vorgehen brachte ihm vor allem Lob ein – von Vertretern jüdischer Gruppen und aus der eigenen Partei. Die Labour-Abgeordnete Margaret Hodge twitterte: "So sieht ein Kulturwandel aus. So sieht Nulltoleranz aus. So sieht es aus, das Vertrauen der jüdischen Gemeinschaft wiederherzustellen." Hodge hatte sich mehrmals kritisch über Corbyns mangelnde Entschlossenheit im Umgang mit Antisemitismus geäußert, als dieser noch Parteichef war.
Marie van der Zyl, Präsidentin des Board of Deputies of British Jews, sagte, die Entscheidung zeige, dass Starmer "seinen Worten Taten folgen lässt". Long-Baileys Stellung als Schattenministerin für Bildung sei unhaltbar gewesen, zitiert sie der britische "Guardian".
Star der Linken geschasst
Doch ungeteilt ist die Zustimmung nicht. Zum einen beurteilen Parteikollegen aus Long-Balieys engerem Umfeld den Umgang mit dem vermeintlichen Fehltritt als undifferenziert:
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John McDonnell, ehemaliger Schatten-Schatzkanzler unter Corbyn, schrieb auf Twitter, Israelkritik sei nicht gleich Antisemitismus. Er glaube daher nicht, dass Long-Bailey hätte abgesetzt werden sollen. McDonnell brachte mittlerweile eine Petition auf den Weg, welche die Wiederberufung Long-Baileys fordert.
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Parteilinke verurteilten Starmers Schritt als machtpolitisches Kalkül. Long Bailey ist der Star des linken Flügels der Partei und war die letzte Corbyn-Vertraute mit einer Topposition im Schattenkabinett. Im Rennen um den Parteivorsitz war sie im April gegen Starmer angetreten, war ihm jedoch mit 28 zu 56 Prozent unterlegen.
Die linke Bewegung "Momentum", mit deren Hilfe Corbyn maßgeblich an Macht innerhalb der Partei gewonnen hatte und vor allem junge Briten für Labour begeistern konnte, griff Starmer in einem Statement an. Er "sagt zwar, dass er die Einheit der Partei will", heißt es dort, "dann entlässt er ohne guten Grund die prominenteste Linke". Das sei eine "unbesonnene Überreaktion".
Auch wenn der Kampf gegen Antisemitismus in den eigenen Reihen Starmers Ziel ist: Seine schnelle Reaktion dürfte auch Teil eines parteipolitisches Manövers sein, um Labour in seinem Sinne neu auszurichten. Zwei klare Signale dazu sendete der Moderate nun, eines explizit, eines implizit: Für Antisemitismus und für Corbyns verbleibende Anhänger wird es in Zukunft immer weniger Platz in der Partei geben.
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