Großbritannien: Boris Johnson und die Frage, wer auf Liz Truss folgt
»Bring Back Boris«: Unter dem Druck des Regierungschaos' könnten die Tories ihren Ex tatsächlich erneut zum Premierminister küren. Johnsons Chancen stehen erstaunlich gut – doch das Risiko für die Partei ist groß.
Boris Johnson, Penny Mordaunt oder Rishi Sunak? Das Rennen um 10 Downing Street, dem Sitz des britischen Premierministers oder eben der britischen Premierministerin ist eröffnet. Wieder mal.
Und dafür wurde sogar ein Karibikurlaub abgebrochen. An diesem Samstag eilte Ex-Premier Johnson aus einem Familienurlaub in der Dominikanischen Republik nach London zurück, getrieben vom Plan der Tories, den neuen Parteivorsitz im Eiltempo durchzudrücken. Keine Woche länger soll die völlig verunglückte Amtszeit von Liz Truss dauern.
Am Nachmittag hieß es, Johnson habe die notwendigen 100 Unterstützer zusammen, die es braucht, um beim parteiinternen Wettstreit an den Start zu gehen. Bereit steht auch Ex-Finanzminister Rishi Sunak, der im Sommer die Revolte gegen Johnson und damit dessen Rücktritt einleitete, sich dann aber im Nachfolge-Rennen nicht gegen Liz Truss durchsetzen konnte.
Und ausgerechnet Johnson und Sunak, dem seither der Ruf eines Brutus anhaftet und wohl deswegen auch im Sommer gegen Truss verlor, gelten nun als Favoriten auf die Nach-Nachfolge von Johnson. Politik bizarr.
Zu den öffentlichen Unterstützern des Projekts »Bring Back Boris« gehören einige Kabinettsmitglieder wie der Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg. Nur Johnson könne als begnadeter Wahlkämpfer die konservative Partei aus dem Sumpf katastrophaler Umfragewerte befreien, so ihr Kalkül.
Was, wenn die Parteibasis entscheidet?
Und die Chancen stehen gar nicht schlecht. Das liegt am Entscheidungsprozess: Einigen sich die Abgeordneten nicht untereinander auf einen Kandidaten, stimmt die Parteibasis ab. Sunak gilt bei den konservativen Parlamentariern zwar als Favorit, auch, weil er das Steuerdebakel der Truss-Regierung präzise vorhergesagt hat. Bei der Parteibasis ist es jedoch andersrum.
Dass sich die beiden Lager auf einen der beiden Kandidaten einigen, darf zumindest bezweifelt werden. Ein Anfang soll am Samstag dennoch gemacht werden: Wie die »Sunday Times« berichtet, wollten sich Sunak und Johnson womöglich noch am Samstagabend treffen.
Sollten sie sich nicht einigen, könnte Penny Mordaunt ins Spiel kommen. Die ehemalige und von Johnson geschasste Verteidigungsministerin gilt als gute Rednerin, die Kontakte in alle Lager der Tories unterhält. Sie könnte die Kompromisslösung sein, sollte es eine benötigen.
Mordaunt ist bisher die Einzige, die ihre Kandidatur offiziell erklärt hat. Dabei haben es die Tories eilig, bis Freitag soll eine Entscheidung getroffen sein.
Das liegt wohl auch daran, dass der Druck steigt, die Konservativen hinken in den Umfragen hinterher. Und das ist vorsichtig ausgedrückt. Man könnte auch sagen: Sie sehen nicht einmal mehr die Rücklichter der Labourpartei. Wäre heute Parlamentswahl, die Tories würden nahezu ausgelöscht.
In jüngsten Umfragen lag die Regierungspartei fast 40 Prozentpunkte hinter Labour. Eine Neuwahl wie von der Opposition gefordert, wird es aber wohl nicht geben. Die müssten die Tories nämlich selbst beantragen.
Das Risiko Johnson
Der Fernsehmoderator Andrew Neil schrieb in der »Daily Mail«, es sei Zeit, dass die Tories die Interessen des Landes vor jene ihrer Partei stellten. »Inzwischen zeigt die Idee, dass Johnson von einigen Tories als ernsthafte Alternative angesehen wird, nur, wie große Teile der Partei nicht mehr bei Verstand sind.«
Zumal die Partei mit Johnson ein großes Risiko eingehen würde. Dem Ex-Regierungschef hängen seine zahlreichen Skandale nach. Derzeit läuft noch eine Untersuchung, ob Johnson in der sogenannten Partygate-Affäre das Parlament belogen hat.