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Globaler Corona-Report: Einnahmeverlust von zehn Billionen Dollar

September 14
08:30 2020
Heimkehrende Urlauber in Baden-Württemberg werden auf Corona getestet Icon: vergrößern

Heimkehrende Urlauber in Baden-Württemberg werden auf Corona getestet

Foto: Christoph Schmidt / dpa

Eindringlicher hätte der Weckruf kaum sein können: "Für die Welt besteht das akute Risiko verheerender Epidemien oder Pandemien, die nicht nur zum Verlust von Leben führen, sondern Volkswirtschaften abwürgen und soziales Chaos verursachen."

Doch nur wenige hörten hin, als das "Global Preparedness Monitoring Board" vor genau einem Jahr Alarm schlug. Jetzt wird dies mit Sicherheit anders sein.

Die von Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Weltbank gegründete Denkfabrik, der Experten wie der US-Immunologe und Präsidentenberater Anthony Fauci angehören, wendet sich am Montag wiederum an die Weltöffentlichkeit. Ihr Jahresbericht 2020 ist die erste globale Zwischenbilanz der Corona-Pandemie.

Vorgelegt wird die Bestandsaufnahme einer beispiellosen Katastrophe. "Nie zuvor", heißt es im Bericht, habe eine Krankheitswelle "solche umfassenden und zerstörerischen Auswirkungen" gehabt.

Die sozialen und politischen Langzeitfolgen der Coronakrise nehmen die Experten genauso in den Blick wie die wirtschaftlichen Schäden. Ihre Rechnung ist selbst in einer an Milliardensummen gewöhnten Zeit atemraubend:

  • "Über elf Billionen US-Dollar, mindestens", koste die Pandemie sofort.

  • Dazu werde nach einer Schätzung der Weltbank "ein Einnahmeverlust von zehn Billionen US-Dollar" kommen, verursacht durch „längerfristige Einbußen der jüngeren Generation in Folge von Schulschließungen und einer globalen Rezession."

  • Gute Prävention koste dagegen nur einen Bruchteil dieser Summen.

Wie konnte es so weit kommen? "Die Covid-19-Pandemie hat ein kollektives Versagen aufgezeigt", heißt es im Bericht – mangelnde Vorbereitung, unzureichende Reaktionen, falsche Prioritäten. Vorgefunden habe das Virus "eine Welt in Unordnung", gespalten, verwundbar, jedoch gleichzeitig so vernetzt, "dass niemand geschützt ist, solange nicht alle geschützt sind."

Die Lösungsvorschläge der Experten sind kaum überraschend: bessere internationale Zusammenarbeit, Stärkung multilateraler Organisationen wie Uno und WHO, Investitionen in die Gesundheitssysteme, staatliche Risikovorsorge.

Zwei Punkte heben sie besonders hervor: Auf kluge politische Führung komme es ebenso an wie auf den verantwortungsvollen Umgang der Menschen miteinander.

Co-Vorsitzende der Denkfabrik ist Gro Harlem Brundtland, die ehemalige Chefin der WHO und Ministerpräsidentin Norwegens. Vor Veröffentlichung des Berichts hat sie am Telefon einige Fragen beantwortet.

SPIEGEL: Sind Sie zuversichtlich, dass die gemeinsame Erfahrung mit dem Virus dazu führt, dass sich die Welt besser auf künftige Pandemien vorbereitet?

Brundtland: Das ist unbedingt notwendig. Wir müssen wachsamer sein, und wir müssen bereit sein, mehr zu investieren. Ich glaube, viele Politiker haben das verstanden.

SPIEGEL: Wann werden wir die Covid-19-Pandemie hinter uns haben?

Brundtland: Keine Ahnung. Ganz sicher nicht in diesem Jahr. Vor Kurzem war ich noch optimistischer, dass wir bald einen guten Impfstoff bekommen könnten. Aber nun musste der Pharmakonzern Astra Zeneca seine Impfstudie stoppen, das ist ein Rückschlag. Es können Jahre vergehen, bis auf dem Weg zu einem geeigneten Mittel sämtliche Hindernisse ausgeräumt sind.

SPIEGEL: Das bedeutet, dass die Menschen vielleicht noch lange mit den Einschränkungen wegen Covid-19 leben müssen. Sie sehnen sich aber nach Normalität.

Brundtland: Sicher, das tun sie. Für mich war es allerdings schon eine Überraschung, als ich die Protestdemonstrationen in Deutschland gesehen habe. Die Verhältnisse im Land sind doch ziemlich gut und stabil, ähnlich wie in Nordeuropa. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Menschen in Norwegen, Schweden oder Dänemark gegen allgemeine Gesundheitsregeln auf die Straße gehen.

SPIEGEL: Sind diese Länder Vorbilder im Kampf gegen das Virus?

Brundtland: Dazu sind einige asiatische Staaten wohl eher geeignet, Südkorea, Vietnam oder Singapur. Sie waren besser vorbereitet, weil sie die Erfahrungen mit der Sars-Pandemie 2002 und 2003 noch gut in Erinnerung hatten. Die Mortalität lag bei zehn Prozent, beängstigend hoch.

SPIEGEL: Das machte es den Regierungen dort jetzt leichter, sofort einschneidende Maßnahmen zu erlassen?

Brundtland: Ja, und dazu kommt, dass in diesen asiatischen Gesellschaften mehr an die Gemeinschaft gedacht wird als in den westlichen Ländern, in denen die Rechte des Individuums im Mittelpunkt stehen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Manchmal mache ich mir Sorgen, dass wir in unserer europäischen Kultur die persönliche Freiheit zu hoch halten und darum nicht mehr erkennen, wie wichtig es ist, durch Maßnahmen im Sinne der öffentlichen Gesundheit den Schutz für alle zu gewährleisten.

SPIEGEL: Nach dem Ausbruch Ende 2019 in China wurde Europa zum Epizentrum der Pandemie. Waren die Verantwortlichen zu sorglos?

Brundtland: Die rasche Übertragung der Krankheit nach Europa war zunächst einmal eine Folge der vielen Flugverbindungen mit China. Doch nach den ersten Ansteckungen ist lange fast nichts passiert. Ich frage mich wirklich, warum es den ganzen Februar und bis in den März hinein gedauert hat, bis entschlossen gehandelt wurde. Die Europäer hatten unterschätzt, wie weit das Virus bereits auf dem Kontinent verbreitet war.

SPIEGEL: Gegen China richtet sich massive Kritik. Staatliche Stellen haben dort offenkundig Informationen unterdrückt.

Brundtland: Als im Januar schon längst klar war, dass Sars-CoV-2 von Mensch zu Mensch übertragen wird, haben chinesische Behörden gegenüber der WHO noch etwas anderes behauptet. Das hat die globale Bekämpfung deutlich verzögert.

SPIEGEL: Katastrophal ist die Lage weiterhin in den Vereinigten Staaten. Wann haben Sie geahnt, dass die US-Amerikaner schlimm getroffen werden?

Brundtland: Als der Präsident behauptete, im Land sei alles unter Kontrolle, es gebe bloß 15 Fälle und solche Dinge. Das war Anfang Februar. Was er sagte, hatte keinerlei reale Grundlage, ein merkwürdiges Schauspiel. Übrigens wird jede einzelne Person, die das Weiße Haus betritt, auf Covid-19 getestet. Mit solchen strengen Besuchsregeln sorgt er für seinen persönlichen Schutz – paradox, oder?

SPIEGEL: Es passt zu den jüngsten Enthüllungen des Journalisten Bob Woodward. Sie zeigen, dass Donald Trump in Wahrheit genau wusste, wie gefährlich das Coronavirus ist.

Brundtland: Für mich ist das gar keine Überraschung. Die Leute, die den Präsidenten täglich unterrichten, haben ihm stets genau erklärt, was es mit dem von ihm so genannten "chinesischen Virus" auf sich hat. Sie haben ihm die Situation in Wuhan vor Augen geführt, das Risiko der Ausbreitung und die Gefährlichkeit des Erregers.

SPIEGEL: Einige der Länder, die vergleichsweise gut durch die Monate der Pandemie gekommen sind, werden von Frauen regiert, etwa Neuseeland oder Taiwan, auch Norwegen, Finnland und Deutschland. Können Frauen Krise besser als Männer?

Brundtland: Ich finde es nicht erstaunlich, dass es einige Frauen gibt, die als Krisenmanagerinnen einen guten Job machen. Frauen denken eher an Vorsorge und Vorbereitung als die meisten Männer. Verallgemeinerungen sind zwar schwierig, es kommt immer auf den einzelnen Menschen an. Aber ich glaube schon, dass Frauen weniger dazu neigen, Risiken einzugehen. Das zahlt sich manchmal aus.

Icon: Der Spiegel

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