Fußball-EM bei Hart aber fair: “Seid stolz und zeigt diese Fahne”
Politik

SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil bei der aktuellen Folge Hart aber Fair.
Noch knapp zwei Wochen. Dann beginnt in Deutschland die Fußball-EM. Viele freuen sich auf ein Sommermärchen wie bei der Fußball-WM 2006. In der ARD-Talkshow "Hart aber fair" diskutieren die Gäste darüber, ob das sportliche Ereignis die Spaltung der Gesellschaft ein wenig kitten kann.
Es ist sehr spät an diesem Montagabend, als in der ARD-Talkshow "Hart aber fair" über ein bevorstehendes sportliches Ereignis in Deutschland diskutiert wird: die in knapp zwei Wochen beginnende Fußball-Europameisterschaft. Sie findet in einer schwierigen Zeit statt. In Deutschland grölen Partygäste rassistische Parolen zu einem zwanzig Jahre alten Song, in dem es um Liebe geht. In Ostdeutschland finden Wahlen statt, in der eine Partei zu den Wahlgewinnern gehören kann, die nicht frei von Ausländerfeinden ist. Wie kann unter solchen Umständen eine Fußball-Europameisterschaft zu einem Sommermärchen werden wie im Jahr 2006 die Fußball-Weltmeisterschaft? In einer Zeit, wo in einer Umfrage rund 20 Prozent der Befragten meinen, in der Nationalmannschaft würden zu viele schwarze Menschen spielen?
Zunächst geht es aber um Sport. So begrüßt Dokumentarfilmer Philipp Awounou die Entscheidung von Bundestrainer Julian Nagelsmann, Spitzenspieler Mats Hummels nicht in den Nationalkader aufgenommen zu haben. "Wenn Nagelsmann Wert darauf legt zu sagen, dass das das Team sein soll und alle irgendwie zusammenpassen und als Team funktionieren sollen, bleibt ihm nichts anderes übrig. Er wird sich was dabei gedacht haben, und ich habe das Gefühl, dass die Entscheidung, die er getroffen hat, schlau war. Seitdem strahlt die Mannschaft was anderes aus, und das hat sich sofort auf das ganze Land ausgewirkt."
SPD-Chef Lars Klingbeil, der auch Mitglied im Verwaltungsbeirat des FC Bayern München ist, bedauert die Entscheidung Nagelsmanns. Er hätte Hummels den Einsatz bei der EM gegönnt, sagt er bei "Hart aber fair". Dennoch erkennt er an, dass Nagelsmann und sein Kollege Rudi Völler die Mannschaft sehr stark in der Bevölkerung verankern. "Ich finde, da sind viele schöne Situationen geschaffen worden in den letzten Wochen, und ich glaube, das macht Bock auf die EM."

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Fußballmanager Fredi Bobic wurde 1996 mit der deutschen Nationalmannschaft Europameister. Er ist zuversichtlich, "dass wir eine gute EM spielen. Das hat auch mit Julian Nagelsmann zu tun". Der habe seine Strategie überarbeitet, sagt Bobic. "Eine Mannschaft ist nicht erfolgreich, wenn Du die elf besten Spieler hast. Du brauchst einen richtig guten Kader, der miteinander an den Themen arbeitet." 1996 sei das so gewesen, alle hätten sich gut verstanden, erinnert sich Bobic. "Es sind nicht immer die besten elf, die ein Tournier gewinnen können, sondern Du brauchst alle", so der ehemalige Star des VFB Stuttgart. "Und dann bleibt vielleicht der eine oder andere Star mal komplett draußen. Das ist so. Ich glaube, dieser Richtungswechsel war mit entscheidend dafür, dass wir Erfolg haben können."
Tim Bendzko, Singer/Songwriter und Ex-Jugendspieler bei Union Berlin, freut sich auf die EM. "Ich hoffe, dass wir eine Stimmung bekommen, wie wir sie 2006 hatten. Da sind wir auf die Straße gegangen und man hatte das Gefühl, wir gehören alle zusammen und wir machen das alles zusammen. Und davon sind wir ja gerade meilenweit entfernt." Bendzko hofft, dass die Stimmung überschwappt und setzt darauf, dass die deutsche Nationalmannschaft am Ende Europameister wird.
Nicht alle konnten mitfeiern

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Welt- und Europameisterin Fatmire Alushi kann sich auch noch gut an das Sommermärchen von 2006 erinnern: "An die ausverkauften Stadien, an Public Viewing, die Kinder mit den Trikots aus unterschiedlichen Ländern, die Fahnen an den Fenstern, die Fähnchen an den Autos. Das war wirklich eine schöne Zeit." Aber nicht für alle, schränkt Awounou ein. Sein Dokumentarfilm läuft am Mittwochabend in der ARD. Während seiner Recherche habe er festgestellt, dass Menschen mit einem migrantischen Hintergrund nicht so einfach mitfeiern konnten. Menschen aus der jüdischen Community habe das Fahnenmeer auch Angst gemacht. Diese Perspektive müsse man sehen und mitdenken, auch wenn die meisten Menschen mit dem Sommermärchen 2006 zurecht positive Erfahrungen verbinden würden.
Ob diese EM die schlechte Stimmung in Deutschland positiv beeinflussen könne, will Moderator Klamroth von Lars Klingbeil wissen. "Ich glaube, es macht was mit dem Land, wobei ich immer sage, wir dürfen diese Europameisterschaft auch nicht überladen." Für ihn ist wichtig, dass die Nationalmannschaft guten Fußball spielt und dass es Spaß macht, zuzuschauen. "Ich habe den Anspruch, dass wir ein guter Gastgeber sind", sagt Klingbeil.
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Doch leider ist ein gewachsener Rassismus in der Gesellschaft nicht wegzuleugnen. "Ich finde es erschreckend, dass es in allen Teilen der Bevölkerung wachsenden Rassismus gibt", sagt Tim Bendzko. "Es ist Wahnsinn, dass man Angst haben muss, seine Songs irgendwo zu spielen, weil die Leute auch Wahnsinn mitsingen. Man hat immer den Eindruck, dass die, die am lautesten sind, die vorrangige Kraft sind. Aber das ist quatsch." Man dürfe nicht zulassen, dass Rechte und Rassisten das Bild prägen. "Ich glaube, dass gerade die Nationalmannschaft ein sehr interessantes Phänomen ist, das zeigt, dass Vielfalt gemanagt werden muss und sie dann sehr erfolgreich sein kann", fügt Awounou hinzu.
Fredi Bobic ist im ehemaligen Jugoslawien geboren. Er hält nichts von Ausgrenzung bestimmter Spieler, weil sie eine andere Hautfarbe haben. Wer in der Nationalmannschaft spiele und deutscher Staatsbürger sei, der erkenne das auch an und wolle dafür alles zurückgeben. Da gehe es nicht nur ums Fußballspielen, sondern auch um das Absingen der Nationalhymne oder das Tragen der Fahne. Und vielleicht meint er alle Menschen in diesem Land, wenn er betont: "Seid stolz und zeigt diese Fahne."
Quelle: ntv.de