Frankreichs Regierung am Ende: Egal welches politische Lager, Hauptsache gegen Macron
Politik

Sogar Hinterbänkler in seinem liberalen Bündnis fordern Macrons Rücktritt.
Emmanuel Macron vereint Frankreichs Linke und Rechte, aber anders als ihm lieb sein dürfte: Für beide Lager ist er derzeit Feindbild Nummer eins. Aus Groll gegen den Präsidenten stürzen sie dessen Premierminister Barnier.
Dieser Mittwochabend in Paris ist in dreierlei Hinsicht historisch gewesen. Erstens gelang der Nationalversammlung das erste Mal seit 62 Jahren der Sturz der Regierung durch ein Misstrauensvotum. Zweitens bescherte das Unterhaus Premier Michel Barnier so die kürzeste Amtszeit in der Geschichte der Fünften Republik. Und drittens hatte der rechtsradikale Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen kein Problem damit, gemeinsam mit Linken wie der Partei des Populisten Jean-Luc Mélenchon zu stimmen. Rechte wie Linke hatten nur ein Ziel: Hauptsache, sie düpieren Präsident Emmanuel Macron, indem sie seine Regierung zu Fall bringen.

Politik 04.12.24 Regierung droht das Aus Frankreich-Krise bereitet deutscher Wirtschaft Sorgen
Sowohl das Linksbündnis als auch der RN waren gegen die von Barnier geplanten Einsparungen im Sozialhaushalt Sturm gelaufen. Während der Debatte am frühen Abend zerrissen sie den Entwurf, den der Premierminister ihnen für das kommende Jahr auf den Tisch gelegt hatte. Die Kritik beider Lager ähnelte sich. Die Kürzungen träfen den Mittelstand, Rentner und sozial Benachteiligte überproportional, beklagten die Abgeordneten. Freilich muss ihnen allen klar gewesen sein: Am Sparkurs führt angesichts der immensen Staatsverschuldung kein Weg vorbei, falls Frankreichs Kreditwürdigkeit nicht weiter leiden soll. Eine Strategie für einen alternativen Haushaltsentwurf wurde nicht präsentiert. Stattdessen attackierten die Wortführer beider politischer Lager Macron und seine Regierung scharf.
Die Allianz, die Macron nach der Neuwahl im Juli schmiedete, war fragil. Sein liberales Bündnis Ensemble bildete eine Minderheitsregierung mit den rechtskonservativen Republikanern sowie dem linken Justizminister Didier Migaud. Bei Abstimmungen war sie auf den RN als Zünglein an der Waage angewiesen. Das Parlament ist etwa in gleichen Teilen gespalten in Macrons liberalen sowie den linken und rechtsradikalen Block. Das linke und das rechte Lager nutzte Macrons Schwäche, um gleich je einen Misstrauensantrag einzubringen. Das Linksbündnis wollte den RN-Antrag zwar nicht stützen, umgekehrt stimmten Le Pens Parteifreunde aber für den Antrag der Linken.
Le Pen lenkt mit Provokationen von ihrem Skandal ab

Politik 04.12.24 Le Pen stimmt mit linkem Lager Frankreichs Parlament stürzt Regierung von Barnier
"Heute läuten wir das Ende einer Amtszeit ein, der des Präsidenten", frohlockte etwa Eric Coquerel, Abgeordneter von La FranceInsoumise. Die linkspopulistische Partei, von Mélenchon gegründet, ist im Linksbündnis die mit den meisten Sitzen. Coquerel warf Barnier und Macron vor, mit dem RN zu paktieren. Er machte deutlich, wie brüskiert das Linksbündnis sich fühlt, nachdem Macron eine Zusammenarbeit mit ihm abgelehnt hatte, obwohl es als Sieger aus der Neuwahl gegangen war. Auch Le Pen, die sich bis vor Kurzem mit Kritik zurückgehalten hatte, feuerte gegen Macron. "Es liegt an Emmanuel Macrons Vernunft, zu bestimmen, ob er die Evidenz eines massiven Misstrauens der Bevölkerung ignorieren kann", sagte sie. Sie forderte war nicht direkt Macrons Rücktritt, kokettiert aber mit populistischen Untergangsszenarien: Falls Macron im Amt bliebe, werde die Fünfte Republik Schaden nehmen.
So aufrührerisch gab sich Le Pen in letzter Zeit selten. Ihr Ziel war es, den RN gemäßigt und regierungsfähig erscheinen zu lassen. Über Le Pen soll im März jedoch das Urteil in einem Prozess um mögliche Scheinbeschäftigung von Assistenten im EU-Parlament fallen, der sie enorm unter Druck setzt.

Politik 03.12.24 Frankreichs Regierung am Abgrund Le Pen hat Macron in der Tasche
Setzt die Staatsanwaltschaft sich mit ihren Forderungen durch, könnte Le Pen nicht nur eine Haftstrafe verbüßen, sondern auch für fünf Jahre von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen werden. Damit müsste sie sich eine Präsidentschaftskandidatur abschminken. Mit Provokationen und laustarker Kritik kann Le Pen nicht nur von ihrem Skandal ablenken, sondern ihre Partei schon einmal in Stellung bringen für die nächsten Parlamentswahlen. Die könnten schon im Sommer wieder anstehen – wenn Macron die Nationalversammlung erneut auflösen darf.
Lecornu als Barniers Nachfolger im Gespräch
Nach dem Sturz Barniers kann Macron entweder seinen Nachfolger bestimmen oder eine Expertenregierung einsetzen, die ohne politisches Programm ins Amt käme. Französische Medien berichten, Macron suche bereits nach einem neuen Premier. Im Gespräch ist demnach unter anderen der mit Macron eng vertraute Verteidigungsminister Sébastien Lecornu. Er könnte dem RN Offenheit signalisieren, da er laut Medienberichten an geheimen Treffen mit Le Pen beteiligt gewesen sein soll. Wie aber würde das linke Lager auf Lecornu reagieren? Vielleicht mit ähnlichen Vorwürfen wie jenen im Unterhaus heute Abend: Der Premier paktiere mit den Rechtsradikalen.
Doch Macron muss jemanden an die Spitze der Regierung setzen, der einen Draht zum linken wie zum rechten Block legen kann. Nur so wäre eine Mehrheit möglich, um den Haushalt für 2025 zu verabschieden. Es gibt Handlungsbedarf: Frankreich muss auf seine Staatsanleihen immer höhere Zinsen zahlen, damit sie Abnehmer finden. Das belastet perspektivisch den Haushalt. Im kommenden Jahr wird sich der Schuldenstand bereits auf 115 Prozent der Wirtschaftsleistung summieren. Barniers Haushaltsentwurf hatte darauf abgezielt, das Haushaltsdefizit von voraussichtlich sechs Prozent in diesem auf fünf Prozent im kommenden Jahr zu drücken. Dazu sollten Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen von insgesamt fast 60 Milliarden Euro sorgen.

Wirtschaft 29.11.24 Ruiniert Paris den Euro? Für Investoren ist Frankreich das neue Griechenland
Der Sturz der Regierung macht die Haushaltsverhandlungen wesentlich komplizierter. Sollte das Parlament bis zum 20. Dezember keinen Etat verabschiedet haben, kann die Übergangsregierung diesen per Anordnung durchbringen, zunächst vielleicht nur für den Jahresanfang. Die neue Regierung mit Barniers Nachfolger müsste dann versuchen, einen gewöhnlichen Haushalt durch das Parlament zu bekommen. Falls sie keine Befürworter im linken wie rechten Lager findet, kann es zum nächsten Misstrauensvotum kommen. "Auch wenn es alle drei Monate einen neuen Barnier gibt, wird Macron keine drei Jahre mehr durchhalten", erklärte Mélenchon fast schon drohend.
Macron könnte diesen Kreislauf unterbrechen, würde er sein Amt aufgeben und die Präsidentschaftswahlen vorziehen. Das fordern mittlerweile sogar ein paar Hinterbänkler in seinem Regierungslager. Aber seinen Rücktritt nannte Macron am Dienstag noch "politische Fiktion". Bislang scheint er davon überzeugt, bis 2027 Präsident zu bleiben. Der RN und die Linken werden alles dafür tun, um das zu verhindern.
Quelle: ntv.de, mit rts