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Fall Olof Palme: “Viele unglaublich dumme Fehler”, sagt Sohn Joakim Palme

June 11
17:42 2020
Ehepaar Palme 1969 mit den Söhnen Mattias, Joakim (M.) und Mårten Icon: vergrößern

Ehepaar Palme 1969 mit den Söhnen Mattias, Joakim (M.) und Mårten

JAN DELDEN/ imago images/TT

Während Schweden sich an einem nationalen Trauma abarbeitete, während die Welt rätselte und die Polizei des Landes jahrzehntelang Irrtümer und Pannen aneinanderreihte, während all dieser Zeit war der spektakuläre Kriminalfall für Joakim Palme vor allem eins: ein tiefer Schmerz.

Am 28. Februar 1986 hatte er seinen Vater verloren, Olof Palme, hingestreckt von einer Revolverkugel.

"Ziemlich enttäuschend"

Über seine Gefühle äußert sich Joakim Palme am Telefon nur zurückhaltend. „Schwierig“, sagt er mehrmals auf die Frage, was der Mörder ihm und seiner Familie angetan habe. Palme ist 62 Jahre alt, der Älteste von drei Söhnen der Familie. Er hat selbst drei erwachsene Kinder und unterrichtet Politikwissenschaft an der Universität in Uppsala. Seine Mutter Lisbeth, die von einer zweiten Kugel des Attentäters gestreift wurde, starb 2018.

Das Telefonat mit ihm findet am Mittwoch wenige Stunden nach der weltweit beachteten Pressekonferenz statt, auf der die schwedischen Ermittler ihre Version des Tatablaufs präsentierten. Nach 34 Jahren legen sie den Fall zu den Akten. Der Mann, den die Sonderkommission von Staatsanwaltschaft und Polizei für den Mörder hält, ist seit 20 Jahren tot, Stig Engström. Er soll den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten aus Hass getötet haben.

"Heute würden wir davon sprechen, dass es wohl ein politisch motiviertes Hassverbrechen war", sagt Palme. Er wisse nicht, was im Kopf des Mannes vorging.

Bei ihrer Pressekonferenz am Mittwoch haben die Fahnder versucht, das Ergebnis ihrer Ermittlungen als Erfolg darzustellen – auch wenn die Geschichte des Falls voller Versäumnisse und Fehler war. Zumindest sind die Ermittler nun in der Lage, eine der umfangreichsten und zugleich peinlichsten Ermittlungen der europäischen Kriminalgeschichte abzuschließen.

Und trotzdem bleiben viele Fragen offen. Weder präsentierten die Strafverfolger eine Tatwaffe – "ziemlich enttäuschend", sagt Palme. Noch wollten sie völlig ausschließen, dass der mutmaßliche Einzeltäter Stig Engström in jener kalten Winternacht Teil eines Mordkomplotts war und den Plan einer verschworenen Gruppe vollstreckte.

Erwartungsgemäß groß ist die Unzufriedenheit in der internationalen Gemeinde der Palme-Experten: Ihre Theoriegebäude, in denen südafrikanische Geheimdienstler, kurdische Terroristen oder indische Waffenhändler die Schurkenrolle übernehmen, wurden von der Kripo abgeräumt. "Einige dieser Leute würden auch dann noch weiter diskutieren, wenn die technische Beweislage besser wäre", sagt Palme.

Bei allem Verständnis für Kritik ist er der Meinung, dass es richtig war, die Ermittlungen zu beenden. "Die Entscheidung war angemessen", sagt er. Der Abschluss mit der Benennung des mutmaßlichen Mörders sei für ihn und seine beiden Brüder eine gute Nachricht.

Glaubt er, dass Engström seinen Vater erschossen hat? "Ja", sagt Palme ohne zu zögern.

Als eines der Indizien, die seine Überzeugung stützen, nennt er Engströms Verhalten im Umfeld der Tat. Bei der Polizei hatte sich der damals 52-Jährige bereits am Vormittag nach dem Mord als Zeuge gemeldet. Er habe Dinge erzählt, die bei genauer Betrachtung nur der Täter wissen konnte. Außerdem wollte er mit Lisbeth Palme und anderen Zeugen gesprochen haben. "Doch das war gelogen", sagt Palme auf Grundlage seiner Ermittlungskenntnisse.

Warum nur nahmen die damaligen Fahnder diesen Zeugen, der sich vor Fernsehkameras am Tatort produzierte, nicht genauer ins Visier? Mehrmals wurde Engström vernommen, aus den Akten ist bekannt, dass einige Polizisten ihn schon früh verdächtig fanden. Doch beim Ermittlungschef drangen diese Stimmen nicht durch. Es war nur eine von ungezählten Fehlentscheidungen.

Palme hat für die Pannenserie der Kripo keine schlüssige Erklärung. "Die Ermittler waren die erfahrensten Fachleute, die wir in Schweden hatten, auch bei der Kriminaltechnik." Dennoch hätten sie "viele unglaublich dumme Fehler" begangen. Das Vertrauen seiner Familie in die Arbeit der Polizei und der Behörden sei "immer wieder erschüttert worden".

Aber das ist für ihn nicht das ganze Bild. "Auch eine Menge guter Polizeiarbeit" habe es gegeben, schon zu Anfang und besonders in den vergangenen Jahren. Die zuständige Sonderkommission wurde mehrfach neu besetzt, für das heutige Ermittlerteam hat Palme viel Lob.

Seine Mutter war bis zu ihrem Tod davon überzeugt, den Mörder ihres Mannes zu kennen: Christer Pettersson. Während einer polizeilichen Gegenüberstellung 1988 hatte sie ihn als den Mann identifiziert, der nach den Schüssen weggerannt war. Pettersson war ein Trinker, konsumierte reichlich Drogen und schlug sich als Kleinkrimineller durch. 1970 hatte er ohne triftigen Grund einen Mann getötet. Statt ins Gefängnis kam er damals für zwei Jahre in die geschlossene Psychiatrie.

1989 wurde Pettersson wegen Mordes an Olof Palme zu lebenslanger Haft verurteilt. Allerdings setzte ihn das Berufungsgericht noch im selben Jahr auf freien Fuß und sprach ihm eine Entschädigung zu. Zu groß waren die Lücken in der Beweisführung gewesen. Außerdem hatte die Polizei die Gegenüberstellung offenkundig so arrangiert, dass der Verdacht leicht auf Pettersson fallen konnte. Er starb 2004.

Lisbeth Palme musste also mit dem Gedanken leben, dass der Täter bis an sein Lebensende frei herumlaufen würde. "Das war schwer", sagt Joakim Palme.

Darüber, wie seine Mutter auf den Abschluss des Falls und den Namen Stig Engström reagiert hätte, möchte er nicht spekulieren. Sie habe gute Gründe gehabt, weiter an die Schuld Petterssons zu glauben, sagt er. "Das Bild in ihrer Erinnerung und das Bild dieses Mannes während der Gegenüberstellung, sie sind sozusagen verschmolzen."

Ihre Personenbeschreibung aus der Tatnacht – Größe, Kleidung, Körperhaltung – passte allerdings auch "sehr gut auf Engström".

Während der jahrzehntelangen Fahndung ist Palme selbst vielen Spuren nachgegangen. "Ich habe mit hochrangigen Leuten in Südafrika gesprochen, die davon überzeugt waren, dass südafrikanische Militärs oder Geheimdienstler in die Tat verwickelt waren. Ich habe in Chile mit Leuten gesprochen, die genauso überzeugt davon waren, dass ihre Geheimpolizei hinter dem Mord steckte."

Olof Palme war ein Weltpolitiker, das machte ihn beliebt und berühmt, aber auch angreifbar und verhasst. Er attackierte das Apartheid-Regime in Südafrika und die Militärdiktatur in Chile. Er vermittelte zwischen den damals verfeindeten Staaten Iran und Irak. Gegner hatte er in vielen Ländern.

Hat Joakim Palme die Geschichten geglaubt, die ihm die Südafrikaner oder die Chilenen über den Mord an seinem Vater erzählten? "Nein."

Er hielt es für sehr unwahrscheinlich, dass Ausländer einen schwedischen Ministerpräsidenten umbringen würden. Schaue man sich frühere Attentate auf Präsidenten, Regierungschefs und Minister an, seien es fast immer Taten unter Landsleuten gewesen: "Amerikaner töten Amerikaner. Deutsche töten Deutsche."

Seine Familie war seit Langem darauf vorbereitet, dass es Attentatsversuche auf Olof Palme geben könnte. Ein Schlüsselmoment war der Angriff kroatischer Separatisten auf die Botschaft des damaligen Jugoslawien in Stockholm 1971. Der Botschafter erlag seinen Schussverletzungen. "Von da an hatten wir Sicherheitsleute um uns herum."

Im Kreis der Sozialistischen Internationale begegnete sein Vater Politikern aus Lateinamerika, die wenig später ermordet wurden. Er sei deshalb "sehr bestürzt" gewesen und habe daheim über seine Sorgen gesprochen. Auch darüber, dass es keinen hundertprozentigen Schutz gebe, wie das Attentat auf US-Präsident Ronald Reagan 1981 zeigte oder die Ermordung der indischen Premierministerin Indira Gandhi 1984.

Olof Palme starb mit 59 Jahren. "Er wurde seines weiteren Lebens beraubt", sagt sein ältester Sohn. "Mein erstes Kind war einige Monate vor dem Mordanschlag zur Welt gekommen. Neun weitere Enkelkinder wären für meinen Vater dazugekommen, und er hätte mit ihnen die größte Freude gehabt."

Seinen eigenen Kindern musste er behutsam beibringen, warum ihr Großvater nicht mehr lebte. Sie wurden mit den Mordermittlungen groß.

Joakim Palme lebt seit vielen Jahren wieder in seinem Elternhaus im Stockholmer Stadtteil Vällingby, einem Haus voller Erinnerungen. "Es sind gute Erinnerungen", sagt er.

Icon: Der Spiegel

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