Nachrichten in der Welt

Panorama

Chakra-Meditation am Morgen, Chemtrails-Theorien am Abend: Zwischen Esoterik und Verschwörungsdenken gibt es gefährliche Schnittmengen. "Conspirituality" breitet sich vor allem in sozialen Medien aus. Ein Phänomen mit ernsten Folgen für Betroffene und unsere Gesellschaft.

Die eine Seite predigt Liebe, Licht und positive Schwingungen, die andere wittert überall dunkle Mächte und geheime Pläne: Auf den ersten Blick scheinen Esoterik und Verschwörungsglaube wenig gemeinsam zu haben. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch ein anderes Bild. Wer sich in Social Media auf Plattformen wie TikTok, Instagram oder Youtube auf esoterischen Kanälen und Profilen bewegt, hat gute Chancen, auch mit Verschwörungsideologien jeglicher Couleur in Kontakt zu kommen. Das liegt nicht nur am Algorithmus, der einem immer weiter Vorschläge für den Medienkonsum macht. Viele Esoterik-Gläubige neigen vielmehr dazu, Verschwörungsnarrativen anzuhängen. "Conspirituality" nennt man dieses Phänomen, ein Kofferwort aus "Conspiracy" ("Verschwörung") und "Spirituality" – eine Spiritualität, die anfällig für Verschwörungsmythen ist.

Und in der Tat – es gibt einige Denkmuster, die sich sowohl in esoterischen Weltsichten als auch in der Weltsicht von Verschwörungsgläubigen wiederfinden. Im Übrigen auch nicht selten in sogenannten "Sekten", die mit Esoterik wenig bis gar nichts zu tun haben. Nicht umsonst zählt etwa die christlich-fundamentalistische "Organische Christus Generation" (kurz "OCG"), die häufig als Sekte bezeichnet wird, mit ihrer Plattform kla.tv zu einem der größten Treiber verschwörungsideologischen Denkens im deutschsprachigen Raum.

Panorama 13.05.25 Sektenartige Gruppe verboten Wie Peter Fitzek über das "Königreich Deutschland" herrschte

Aber was ist es, was diese Mischung so attraktiv macht? Welche Faktoren machen Spiritualität anfällig für Verschwörungsdenken – und warum ist gerade die Esoterik hier anfällig? Natürlich: Nicht jede und jeder, die oder der einer esoterischen Weltsicht anhängt, ist zugleich verschwörungsgläubig. Dennoch gibt es eine auffallend große Schnittmenge, für die beispielhaft die sehr kleine Gruppe der "Christlich Essenischen Kirche" (CEK) steht. Die CEK ist eine esoterische Gruppierung um den selbst ernannten Heiler und Reiki-Großmeister Eckhardt Strohm. Sie waren zu Corona-Zeiten bei Querdenker-Demos mit dabei, und in ihrem Credo finden sich klassische esoterische Glaubenssätze. Zugleich lehnen sie mRNA-Impfungen ab, weil diese angeblich die menschliche DNA manipulieren würden – eine Ansicht, die wissenschaftlich nicht haltbar ist. Sie gehört ins Reich der Verschwörungsmythen, weil kolportiert wird, dass der DNA-Manipulation angeblich eine weltweite Verschwörung zugrunde liegt, die uns alle auf diese Weise beeinflussen will.

Das verlockende Versprechen vom besonderen Wissen

Politik 29.04.25 "Buenas noches, mein Führer" Wie der Mythos von Hitlers Überleben entstand

Hier zeigt sich auch schon eine erste Parallele der beiden Weltsichten: Viele esoterische Glaubenssysteme verstehen sich als eine Art "Geheimwissen", das über Eingeweihte angeblich seit Urzeiten weitergegeben wurde. Esoterik wie auch Verschwörungsideologien versprechen Zugang zu einem vermeintlich "geheimen Wissen", das der breiten Masse verborgen bleibt.

Die Corona-Pandemie wirkte dabei wie ein Brandbeschleuniger für diese unheilige Allianz. Plötzlich verbreiteten Yoga-Lehrerinnen auf Instagram nicht nur Tipps für den perfekten Sonnengruß, sondern auch wilde Theorien über 5G-Strahlung und Mikrochips in Impfungen. Wellness-Influencer, die gestern noch grüne Smoothies anpriesen, warnten vor der "Neuen Weltordnung". Die Grenze zwischen spiritueller Selbstfindung und Verschwörungsdenken verschwamm immer mehr.

Panorama 25.04.25 Fuellmich muss ins Gefängnis Führender Coronaleugner in Göttingen verurteilt

Das Gefühl, zu den "Erwachten" zu gehören, ist attraktiv. Wer wähnt sich nicht gerne unter jenen, die die Wahrheit hinter dem Schleier der Illusion erkannt haben? Während die "Schlafschafe" blind den Mainstream-Medien folgen, haben die Eingeweihten das System durchschaut.

Besonders perfide ist dabei, dass gerade die Wellness-Esoterik hier niedrigschwellige Einstiege über harmlose Themen bietet: Es beginnt vielleicht mit der Skepsis gegenüber Zusatzstoffen in Lebensmitteln – berechtigt! Doch von dort ist es dann nur ein kleiner Schritt zu der Überzeugung, dass "die da oben" uns absichtlich vergiften wollen. Zugegeben, es sind oft noch ein paar Zwischenschritte mehr. Aber letztlich wird so aus dem Thema der gesunden Ernährung der Glaube an eine weltweite Verschwörung.

Die TikTok-Mystik radikalisiert weiter

Panorama 15.02.25 Radikalisiert und gewaltbereit Wie die Generation 50+ in die Verschwörungsfalle tappt

Eine Ausprägung, die insbesondere in den vergangenen Jahren in den sozialen Medien wichtiger wurde, ist das, was in der Forschung als "algorithmische Conspirituality" bezeichnet wird: Nutzer interpretieren die personalisierten Vorschläge von Social-Media-Plattformen als kosmische Zeichen oder göttliche Fügung. Gerade auf TikTok begegnen einem immer wieder Esoteriker, die genau das ernsthaft behaupten, um die Userinnen und User bei der Stange zu halten: "Ich habe manifestiert, dass dir dieses Video angezeigt wird, weil die Botschaft genau an dich gerichtet ist – es ist kein Zufall!" Man könnte das als TikTok-Mystik bezeichnen: Die undurchsichtigen Mechanismen der Tech-Konzerne werden so zur mystischen Erfahrung verklärt.

Und so verstärkt diese digitale Echokammer die Überzeugungen immer weiter. Wer einmal anfängt, esoterische Inhalte zu konsumieren, bekommt vom Algorithmus unter Umständen immer extremere Varianten serviert. Der Weg von Chakra-Meditation zu Chemtrails ist kürzer, als man denkt.

Magisches Denken: Komplexitätsreduktion par excellence

Panorama 29.03.25 Gefährlich, fanatisch, geheim? Warum das Wort "Sekte" oft mehr schadet als hilft

Ein weiterer Grund, warum viele esoterische Weltsichten so anschlussfähig an Verschwörungsmythen sind, ist das Prinzip von Ursache und Wirkung. Auch das klingt erst einmal attraktiv: Alles, was uns geschieht, hat eine klar benennbare Ursache – und zwar keine zufällige, sondern eine, die von oft abstrakten Mächten und Energien gesteuert und so gewollt ist. Dafür gibt es ein prominentes Beispiel: die "Germanische Neue Medizin" (GNM), eine hochgefährliche esoterische Lehre, die immer wieder Todesopfer fordert. Die GNM basiert auf der Annahme, dass Krankheiten bis hin zu Krebs nicht biologisch (also zufällig oder zum Beispiel durch Viren oder Bakterien) ausgelöst werden, sondern jeder Krankheit ein innerer Konflikt zugrunde liegt. Um eine Krankheit zu lösen, bedarf es also keiner medizinischen Behandlung, sondern der Lösung dieses Konflikts.

Und nicht umsonst ist die Lehre der GNM durchzogen von Antisemitismus und Verschwörungsideologien. Es ist dieselbe Denkweise, die auch diesen Ideologien zugrunde liegt. Es geschieht nichts durch Zufall. Hinter Pandemien wie Corona verbergen sich mächtige Kräfte, die eine neue Weltordnung herbeiführen wollen, hinter "Chemtrails" bewusst versprühte Chemikalien, um uns und das Wetter zu beeinflussen, hinter 5G-Strahlung die Absicht vermeintlicher Eliten, die Bevölkerung flächendeckend zu schwächen.

Das Problem ist größer als die Esoterik

Panorama 29.09.24 Wer heilt, hat recht? Wenn Heilungsversprechen tödlich enden

Doch jetzt zu behaupten, dass es alleine die Esoterik sei, die anfällig für solches Denken sei, greift zu kurz. Hinter "Spiritualität" in "Conspirituality" verbirgt sich keine spezifische Glaubensrichtung, auch wenn manche – und hierzu darf man ein esoterisches Weltbild rechnen – sicher anfälliger sind als andere. Dahinter verbirgt sich vielmehr eine Denkweise, die sich unter anderem durch die genannten Prinzipien zeigt. Denn diese führen oft komplexe Sachverhalte auf eine simple Ursache zurück. Und das findet man beispielsweise auch in fundamentalchristlichen Kreisen und Gruppen, die einem stark dualistischen Weltbild anhängen. Die also hinter allem und jedem einen Kampf zwischen Gut und Böse sehen, zwischen Satan und Gott. Die deshalb gegenüber allem skeptisch sind, das nicht ihren eigenen Überzeugungen entspricht, und einen vermeintlichen Angriff des Teufels wittern.

ANZEIGE Die Spur des Bösen: Wenn Fanatismus tödlich endet – Wahre Sektenverbrechen 20 10,99 € Zum Angebot bei amazon.de

Das Tragische an der "Conspirituality" in all ihren Ausprägungen ist, dass sie echte Bedürfnisse anspricht: das Verlangen nach Sinn, nach Kontrolle in einer unübersichtlichen Welt, nach Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Doch statt echter Ermächtigung bietet sie nur Scheinlösungen. Statt die komplexen Probleme unserer Zeit anzugehen, werden Sündenböcke gesucht. Statt kritisches Denken zu fördern, wird blindes Vertrauen in "alternative Experten" gepredigt. Die Folgen sind unter Umständen verheerend: Familien zerbrechen, wenn Angehörige in den Verschwörungsstrudel geraten. Menschen verweigern lebensrettende medizinische Behandlungen und sterben. Der gesellschaftliche Zusammenhalt erodiert, wenn sich Teile der Bevölkerung in Parallelwelten verabschieden.

Was kann man dagegen tun? Der erste Schritt ist, das Phänomen ernst zu nehmen. "Conspirituality" ist keine harmlose Spinnerei, sondern eine reale Gefahr für Gesellschaft und Demokratie. Gleichzeitig hilft es nicht, Betroffene zu verspotten oder auszugrenzen. Sie sind oft Menschen in Krisensituationen, die nach Halt suchen.

Wichtig ist, Medienkompetenz zu stärken und auch bei vermeintlich rein "spirituellen" Inhalten kritisch zu bleiben. Nicht alles, was sich positiv und liebevoll gibt, ist auch harmlos. Gerade die Mischung aus Wellness und Verschwörungsdenken kann besonders toxisch sein, weil sie unter dem Deckmantel der Selbstfürsorge daherkommt.

Quelle: ntv.de