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Eröffnung der Hannover-Messe: Olaf Scholz will vom Reden ins »doing« kommen

April 17
01:24 2023

Vier bis fünf Windräder, 1600 Wärmepumpen – pro Tag: Bundeskanzler Olaf Scholz erneuerte bei der Eröffnung der Hannover-Messe sein ehrgeiziges Bekenntnis zur Energiewende – und warb für mehr Unabhängigkeit von China.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Sonntagabend in Hannover die weltweit wichtigste Industrieschau eröffnet. Neben Scholz und Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger kamen unter anderem Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und Gunter Kegel, Chef des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI), ins Kongresszentrum der niedersächsischen Hauptstadt. Zu Gast war außerdem der Präsident des diesjährigen Partnerlands Indonesien, Joko Widodo.

Scholz und Widodo waren zuletzt im November 2022 beim G20-Gipfel auf Bali zusammengetroffen. In seiner Rede zur Eröffnung der Messe machte der deutsche Kanzler deutlich, dass gerade den asiatischen Ländern eine zentrale Rolle in den aktuellen geopolitischen und ökonomischen Debatten zukommt. »Wir reden hier nicht über irgendeinen vermeintlich fernen Archipel am Rande der Welt«, sagte Scholz laut dem Redemanuskript, das dem SPIEGEL vorab vorlag, »wir reden über ein Land mittendrin, im Herzen einer der dynamischsten Regionen der Welt, strategisch gelegen im Zentrum des Indopazifiks, zwischen China, Indien, Ozeanien und Amerika.«

Das 21. Jahrhundert gelte zu Recht als »asiatisches Jahrhundert«, so Scholz. Wenn man sich Gedanken über Wachstumsmärkte und Diversifizierung mache, führe an Indonesien kein Weg vorbei. Das südasiatische Land hatte 2022 den Vorsitz der G20-Konferenz inne.

Scholz erinnerte in seiner Rede daran, dass man auf Bali den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine klar verurteilt habe, an dessen Folgen die ganze Welt leide. »Gemeinsam haben wir unmissverständlich festgehalten, dass es unzulässig ist, mit Nuklearwaffen zu drohen oder diese gar einzusetzen«, sagte Scholz. »Mein Eindruck ist: Diese Botschaft ist verstanden worden in Moskau.« Scholz dankte Widodo für die »enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit«, eine Kooperation, die er weiter vertiefen wolle, »politisch, aber – wo sind wie hier – natürlich auch wirtschaftlich.«

Scholz wirbt für Abschluss des Freihandelsabkommens

Ein wichtiger Schritt sei der Beschluss einer der weltweit ersten Partnerschaften zum Erreichen eines fairen Übergangs zu erneuerbaren Energien gewesen, die die G7-Staaten im vergangenen Jahr unter deutschem Vorsitz mit Indonesien erreicht hätten. Scholz lobte Indonesiens Bereitschaft, seinen Stromsektor bis 2050 komplett zu dekarbonisieren, als »anspruchsvoll und ambitioniert«. Im Gegenzug wollen die G7-Länder in den kommenden Jahren staatliche und private Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe mobilisieren, »um Indonesiens Weg aus der fossilen Energie und den Hochlauf der erneuerbaren Energien zu beschleunigen«, so Scholz.

»Der nächste logische Schritt, der darauf aus meiner Sicht folgen sollte, ja, folgen muss, ist ein Freihandelsabkommen zwischen Indonesien und der EU«, sagte Scholz – und warb in Anwesenheit Widodos erneut für den Abschluss des Abkommens, das seit 2016 nicht wirklich vorankommt. Einer der Hinderungsgründe ist die für Indonesien lukrative, aber sehr umweltschädliche Gewinnung von Palmöl, bei der sich Indonesien nicht zu mehr Nachhaltigkeit verpflichten lassen will.

Scholz setzt sich dafür ein, das Abkommen nun endlich zum Abschluss zu bringen, das sei ein Gebot der geopolitischen Entwicklungen in Europa und Asien. Weltweit arbeiteten Länder daran, riskante Abhängigkeiten abzubauen und ihre Handelsbeziehungen breiter aufzustellen, so Scholz. »Unser Ansatz lautet: Ein De-Coupling von einzelnen Märkten wäre der falsche Weg. Was wir stattdessen brauchen ist ein kluges, vorausschauendes De-Risking.«

Dabei spielten Rohstoffe eine wichtige Rolle, vor allem die, die Deutschland für die Digitalisierung und die Transformationsprozesse zur Klimaneutralität und für die Digitalisierung dringend braucht. Derzeit importiere man viele davon aus China, so Scholz »Und das, obwohl die seltene Erde, der Kupfer oder der Nickel oft gar nicht aus der Erde dort geholt werden, sondern in Ländern wie Indonesien, Chile oder Namibia. In Ländern also, die von ihrem natürlichen Reichtum an Rohstoffen oft viel zu wenig profitieren.«

Das gelte es zu ändern, betonte Scholz. »Wenn es uns gelingt, mehr Verarbeitungsstufen dort anzusiedeln, wo die Rohstoffe im Boden lagern, dann schafft das nicht nur größeren Wohlstand dort vor Ort, dann sorgen wir zugleich dafür, dass wir künftig mehr als nur einen oder zwei Lieferanten haben«, sagte er, wohl auch mit Blick auf die aktuell viel diskutierten Abhängigkeiten von China.

»In den vergangenen Jahren ist zu viel liegengeblieben«

Den zweiten Teil seiner Rede widmete Scholz den wirtschaftlichen Veränderungen, die in Deutschland bevorstehen. »Freier und fairer Handel, resiliente Lieferketten, genügend Rohstoffe – das ist die eine Seite dessen, was wir brauchen, damit die große industrielle Transformation hin zur Klimaneutralität gelingt. Der andere Teil ist, dass wir diese Transformation hier in Deutschland nun wirklich anpacken. Dass wir vom Reden ins »doing« kommen«, so der Bundeskanzler. »In den vergangenen Jahren ist zu viel liegengeblieben (…) das holen wir jetzt auf.«

Die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaneutralität biete »eine riesige Chance für unser Land. Sie ist der große Treiber für Beschäftigung und Wachstum«, sagte Scholz, das sehe seiner Meinung nach auch ein Großteil der deutschen Wirtschaftskonzerne so.

Drei Voraussetzungen seien nötig für diesen Aufschwung, sagte Scholz in Richtung der Industrievertreter in Hannover: »Erstens: klare, verlässliche, konkrete Ziele, damit Sie Ihre Investitionen sicher planen können. Zweitens: Druck auf dem Kessel – die besagte Deutschland-Geschwindigkeit. Und drittens: genügend Fachkräfte, die hier in Deutschland mit anpacken.«

Das Formulieren ehrgeiziger Ziele allein genüge jedoch nicht, meinte Scholz. Bis 2045 soll Deutschland eines der weltweit ersten klimaneutralen Industrieländer sein. Bereits 2030 soll 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien kommen. Um das zu erreichen, erneuerte Scholz noch einmal seine Roadmap, die ihm Experten für die kommenden Jahre vorgerechnet hätten, er hatte sie im März bei der Klausurtagung der Regierung schon einmal ausgebreitet. »In Deutschland müssen wir jeden Tag vier bis fünf Windräder bauen, mehr als 40 Fußballfelder Fotovoltaikanlagen, 1.600 Wärmepumpen und vier Kilometer Übertragungsnetze«, so Scholz. »Das wird ein Kraftakt.«

Um das notwendige Tempo dafür auch bei Genehmigungsverfahren zu erreichen, seien die vielfach umstrittenen Ergebnisse des jüngsten Koalitionsausschusses der Ampelregierung entscheidend gewesen. Scholz zeigte sich zufrieden und bezog sich jovial auf die ungeplante Länge und Zähigkeit der Verhandlungen: »Für solche Ergebnisse bleibe ich gerne mal drei Tage am Stück wach.«

Aus der deutschen Wirtschaft hatte es zuletzt Kritik gegeben, dass EU-Länder wie die Bundesrepublik im Vergleich zu anderen Weltregionen an Attraktivität als Standorte einbüßten. Das liegt aus Sicht der Industrie etwa an zu hohen Energiepreisen, zu viel Bürokratie und zu langen Genehmigungsverfahren. Scholz betonte im Vorwege seiner Rede in Hannover, es sei wichtig, dass »wir dabei sind, wenn es darum geht, CO₂-neutral zu wirtschaften, und gleichzeitig auch möglich zu machen, dass gute Arbeitsplätze hier im Lande möglich sind. Alles das ist mit dieser Messe verbunden.«

Wegen der Coronapandemie hatte die Hannover Messe 2020 ganz ausfallen müssen, in den letzten beiden Jahren gab es sie nur in einer deutlich verkleinerten Ausgabe. 2023 wollen die rund 4000 angemeldeten Aussteller ihre Neuheiten nun wieder im vollen Format zeigen.

Kernthema der Messe sind neue Technologien für den Klimaschutz sowie die effizientere Nutzung von Energie. Zudem geht es um künstliche Intelligenz (KI), spezielle Datenräume für besser abgestimmte Prozesse in der Industrie und den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Ein weiterer Schwerpunkt sind Recyclingverfahren.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte eine Mahnwache vor dem Kongresszentrum angekündigt. Die Aktivisten wollen damit auf die Verletzung der Rechte indigener Völker durch ein Bergbauprojekt in Indonesien aufmerksam machen.

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