Nachrichten in der Welt

Panorama

Wenn Sie heute so ab 21 Uhr zwischen Essen und Bochum oder Spandauer Forst und Müggelsee unterwegs sein müssten – kein Problem, die Straßen werden leer sein! Denn heute Abend spielt Deutschland. Zeit für die Kolumnistin, sich ein paar grundlegende Gedanken zu machen.

Heute um 21 Uhr spielt Deutschland gegen Dänemark. Dieser Satz funktioniert übrigens auch ohne zu erwähnen, WAS sie überhaupt spielen. Sie können es sich denken. Es geht um Fußball, worum denn sonst? Wenn sie gewinnen, die Deutschen, sind sie selbstverständlich die Besten ("Hab' ich dir doch gleich gesagt, Gisela"), sind WIR die Besten! Die Fußballer retten dann 80 Millionen Deutsche, auch Co-Trainer genannt, aus der Dunkelheit, dem Regen, den Problemen, in den Sommer hinein, in das Märchen, das wir alle so dringend brauchen. Sie sorgen einfach für Sonnenschein (im Juni/ Juli auch ohne EM allerdings gar nicht mal so ungewöhnlich).

Fußball-EM 23.05.24 Unkonventionell und kreativ Thomas Müller: "Wir können die EM gewinnen!"

Wenn sie verlieren – SIE – dann sind sie einfach nur 'ne Rumpeltruppe, die nix können, diese Fußballmillionäre, so satt, so wenig Ehrgeiz, so falsch, so dumm aufgestellt, und Nagelsmann, wusste man doch gleich, dass der's nicht draufhat.

Ich gebe zu, ich hab' echt keine Ahnung von Fußball. Auch wenn Thomas Müller neulich im Interview sehr freundlich das Gegenteil zu mir sagte. Weil ich mich einfach gut vorbereitet hatte.

Ich empfinde es manchmal fast als schmerzhaft, dabei zuzuschauen, wie zehn Männer versuchen, zehn andere auszutricksen, auszudribbeln, Haken schlagen und Stunts wie Bananenflanken, Fallrückzieher und Hollywood-reife Stürze hinlegen. Alles, um dem elften Mann den Ball in den Kasten zu semmeln. Alles, um dem Volk Brot und Spiele zu liefern.

Alles Experten

Und na klar, auch ordentlich zu verdienen. An dieser Stelle hätte ich gern die Nachricht "Dänische Fußball-Profis verzichten auf Gehaltserhöhung, bis ihre weiblichen Kollegen gleichgestellt sind" eingefügt, das wurde bei uns aber leider gar nicht vermeldet. Schade. Da können Sie sagen, was Sie wollen: Bis Frauenfußball oder gleiche Bezahlung für alle Frauen in unserem Land angekommen sind, wird eher noch die eine oder andere EM oder WM in Staaten stattfinden, die noch weniger von Frauen halten, als es hier der Fall ist.

Mir geht's beim Fußballschauen also darum (Achtung, Klischee!): Sehen die Spieler gut aus? Sind sie zu 80 Prozent am ganzen Körper tätowiert? Oder nur zu Teilen? Und wenn an welchen? Sind sie fair, auf und abseits des Platzes? Was machen die eigentlich alle nach ihrer Karriere? Können ja nicht alle wie der Schweini mit der Esther flirten, Trainer, Trainer-Berater, Experte, zweiter Experte, Kommentator oder Co-Kommentator werden.

Panorama 22.06.24 Schiedsrichter in Latex Fußballkunst, über die EM hinaus

Am meisten mag ich sowieso, wenn der Loddar kommentiert. Sein Frrrrnänkisch, sein Rekordnationalspielertum, seine Expertise erheitern mich, klären auf und geben mir das spezielle Feeling, ob auf der Couch oder beim Public Viewing, das Europameisterschaften oder Weltmeisterschaften so attraktiv für mich macht. Sonst interessiere ich mich nicht so für Fußball, muss ich gestehen. Dass eine Meldung aus der 3. Bundesliga immer noch mehr zählt als eine solide Meldung erstklassigen Damentennis' ist irgendwie beschämend.

Von Lothar zu Ronaldo

Wenn der andere Rekordspieler, Ronaldo, kleine Kinder streichelt, Trikots verteilt, und Geld in einer Höhe spendet, die Normalbürger ins Grübeln bringen würde, ob sie sich nicht in die Rente verabschieden sollten, lange vor 60, dann ist er der Held. Wenn er sauer ist, sich auf dem Boden wälzt, schmerzverzerrt oder weinend, dann ist er eine Lusche.

Fußball ist brutal.

Fußball ist auch zärtlich.

Fußball ist völkerverbindend.

Fußball macht, dass Menschen sich auf Straßen oder in Stadien prügeln.

Panorama 10.06.24 Der Appetit kommt beim Essen Die EM steht vor der Tür – freut euch!

Fußball kann dich reich machen, beliebt, oder abstürzen lassen. Fußball ist arrogant und bodenständig zugleich. Ein Abseits zu erkennen, ist gar nicht mal so einfach. Aber machbar. Ein Leben ohne Fußball wäre möglich. Aber langweiliger, womöglich.

Was denn nun?

Als Georgien gegen Portugal gewonnen hatte am Mittwoch und sich damit fürs Achtelfinale qualifizierte, war es kein Märchen. Sagte der Kommentator. Stimmt, es war, es ist, Realität. Wunderschöne Realität für die Georgier, eine echte Klatsche für die – dennoch ungefährdeten – Portugiesen. Auch für die Türken, die ihren Einzug ins Achtelfinale gefeiert haben, als wären sie bereits Europameister. Man mag sich kaum vorstellen – oder doch? – was dann passiert …

Fußball-EM 27.06.24 Lehren aus der EM-Vorrunde (I) Ronaldo wütet, Rangnick rebelliert, DFB-Elf ist nicht zu fassen

Aber ja, Fußball ist ein Märchen: "Es war einmal ein kleiner Junge, der (Es war einmal ein kleines Mädchen, die …), wollte Fußball-Profi werden." Profi? Profi-In? Cooles Wort, genderneutral. Also, zurück, Märchen, Traum – klappt manchmal, tatsächlich. Es erzählt die Geschichte von vielen kleinen Kindern, die kicken und träumen. Von Männern, die ihren hart schuftenden Müttern Häuser kaufen. Sich Wünsche erfüllen. Ihrem ganzen Land Wünsche erfüllen.

Hoffen wir mal, dass UNSERE JUNGS uns heute weiter in unser Sommermärchen führen. Und wenn die Dänen gewinnen, dann haben "die Luschen" es eben verkackt. 80 Millionen können nicht irren.

Quelle: ntv.de