Edwards’ Aufstieg zum Superstar: Der “Ant-Man” verzaubert wie ein junger Michael Jordan
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Anthony Edwards fliegt höher und weiter als die meisten Profis in der NBA.
Für die einen ist es frevelhafte Gotteslästerung, für die anderen könnten die Parallelen nicht deutlicher sein: Anthony Edwards' Game und Persönlichkeit erinnern an den besten Basketballer aller Zeiten. Sein Aufstieg zum absoluten Superstar ist mit diesen NBA Playoffs vollendet.
Es wird eine der Szenen dieser NBA Playoffs 2024 bleiben: Anthony Edwards ließ seinen Gegenspieler Bradley Beal nach zwei Dribblings durch die Beine und einem explosiven Antritt in einer Staubwolke zurück; wenige Sekundenbruchteile später hatte er bereits vom Zonenrand in Richtung Korb abgehoben, wo er Superstar Kevin Durant und der kollektiven Suns-Psyche einen gleichermaßen spektakulären wie verheerenden Tomahawk-Dunk über den Schädel zog. Es war das donnernde Ausrufezeichen hinter einem sensationellen 4:0 Sweep gegen Phoenix – das Team, gegen das die Minnesota Timberwolves keinen einzigen Saisonsieg geschafft hatten.
Nur wenige Tage zuvor hatte "Ant" Edwards seinem Lieblingsspieler Durant einen vorentscheidenden Dreier ins Gesicht gedrückt, sein animierter "Trash Talk" im Anschluss ging um die Welt. Der alternde Superstar konnte nicht anders, als zu schmunzeln und dem Neuankömmling Respekt zu zollen. "Ich bin so beeindruckt von ihm. Er ist mein absoluter Lieblingsspieler. Er hat eine unglaubliche Entwicklung genommen, seitdem er in die Liga kam. Seine Liebe fürs Spiel überstrahlt alles."

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Edwards' reguläre Spielzeit war All-Star würdig, mit 25,9 Punkten, 5,4 Rebounds und 5,1 Assists pro Abend führte er die Timberwolves zu 56 Siegen und ihrer besten regulären Saison seit 20 Jahren. Er landete bei der MVP-Wahl auf Rang sieben und gilt als sicherer Kandidat für eines der drei All-NBA Teams. In diesen Playoffs jedoch hat "Ant" mindestens zwei extra Gänge hochgeschaltet. Gänge, von denen die meisten nicht wussten, dass er sie jetzt schon parat hat. Drei Partien mit 40 Zählern oder mehr, fünfmal 30-plus, im Schnitt 30,6 Punkte, 6,2 Rebounds und 6,0 Assists bei 54 Prozent aus dem Feld und 42 Prozent von der Dreierlinie – das sind absolut elitäre Werte, die ihn schnurstracks ins höchste NBA-Firmament katapultiert haben.
Er ist viertbester Scorer und neuntbester Vorbereiter in dieser Postseason. Sein Aufstieg zu einem der fünf besten Spieler der gesamten Playoffs, bereits in solch zartem Alter, erinnert stark an die Evolution von Kobe Bryant und Dwyane Wade, denen ebenfalls mit 22 respektive 23 Jahren der Sprung zum Megastar gelang. Die Postseason ist es, die aus Top-Spielern erst absolute Superstars formt. Und Anthony Edwards ist spätestens jetzt einer vor ihnen.
Der nächste "Air" Jordan?
Minnesotas Sweep gegen Phoenix war die erste gewonnene Playoff-Serie seit 2004 für das Team aus dem Norden. Damals spielte noch Hall of Famer und MVP Kevin Garnett für die Wolves, die erst in den Conference Finals an Bryants Lakers scheiterten. Garnett sprach im Februar in einem Podcast zum ersten Mal aus, was mehr und mehr Beobachter mit der Zeit ebenfalls fühlten und ausdrückten: "Er ist wie ein junger '84er Jordan", sagte "KG" in Anlehnung an Jordans Karrierebeginn in der NBA. Seither machen mehr und mehr Statements die Runde, die Edwards und den besten Basketballer aller Zeiten in einem Atemzug nennen. Und wenngleich das für so manchen an Blasphemie grenzen mag, sind die Parallelen in der Tat offenkundig.
Beide sind knapp um die zwei Meter groß (Edwards misst 1,95 Meter, Jordan 1,98), explosiv, sprunggewaltig, ultra-athletisch und an beiden Enden verheerend. Sobald die Bewegung in Richtung Korb startet, ist höchste Alarmstufe für die Gegner, die auch mit zwei oder drei Verteidigern oft alt aussehen. Wie einst Jordan bringt auch Edwards nicht nur überborderndes Talent mit. Er hat auch die Persönlichkeit, das entwaffnende Lächeln und den Charme, das endlose Selbstvertrauen und Showman-Gehabe eines absoluten Alpha-Spielers. Er trainiert wie ein Besessener, sein Killer-Instinkt, seine Führungsqualitäten und seine Winner-Mentalität infizieren alle in seinem Umfeld. Die Wolves sind in dieser Saison endgültig "sein Team" geworden, haben seine Aura verinnerlicht.

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Edwards selbst wirkt noch zerrissen, wenn er die Vergleiche mit Jordan hört. ESPN gegenüber sagte er: "Ich liebe es, dass sie solches Vertrauen in mich haben. Sie haben nicht Unrecht. Aber ich möchte nicht mit jemandem von diesem Kaliber verglichen werden. Ich meine, ich habe noch nichts auf seinem Niveau erreicht." Im Dezember bat er in einem Interview noch: "Hört auf, mich mit Michael Jordan zu vergleichen. Weil er der Größte ist, der jemals Basketball gespielt hat, und ich bin weit davon entfernt. Nicht einmal annähernd. Ich wünschte nur, es würde aufhören."
Zumindest mit Garnetts Vergleich kann "Ant" mittlerweile etwas anfangen: "Ich denke, er hat auf jeden Fall recht. '84 Jordan. Er hat nicht "1996, 1997" gesagt. Er sagte 1984 – [ein Punkt in seiner Karriere, an dem] Jordan sich selbst findet. Damit bin ich einverstanden." Laut Journalisten-Veteran Chris Broussard, einem guten Freund von Michael Jordan, soll sich zuletzt sogar Jordan höchstpersönlich zu Wort gemeldet haben. "Ich habe heute mit dem Größten aller Zeiten, Michael Jordan, gesprochen", sagte Broussard vor Kurzem. "Und Jordan sagte, er sieht Gemeinsamkeiten in ihrem Spiel. Wenn Jordan sagt, es gibt Gemeinsamkeiten, dann gibt es Gemeinsamkeiten."
Geldkuh und amerikanisches Aushängeschild
Für die NBA ist Edwards kometenhafter Aufstieg ein absoluter Segen. Die Liga tut derzeit alles, um sich die Aufmerksamkeit einer neuen Generation von Fans zu sichern. Verhandlungen über einen neuen Multi-Milliarden-Dollar Medien-Deal stehen kurz vor dem Abschluss. Es geht um die bestmögliche Vermarktung des eigenen Produkts – und um ganz viel Geld. Allein, es bleibt die Frage: Wer wird das neue Gesicht der Liga? LeBron James (39), Steph Curry (36) und Kevin Durant (35) stehen kurz vor ihrem letzten Ritt in den Sonnenuntergang, ihre strahlenden Hall of Fame Karrieren kurz vor dem Ende.

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In den USA wird händeringend nach einem lokalen Nachfolger gesucht, denn die besten Spieler der Welt sind derzeit allesamt Europäer. Nikola Jokic, Giannis Antetokounmpo und Luka Doncic dominieren, Victor Wembanyama hat sich bereits nach seiner Rookie-Saison in die Konversation des kommenden Aushängeschilds der National Basketball Association gedrängt. Edwards gilt als Heilmittel für die Minderwertigkeitskomplexe der US-Amerikaner, die diesen Sport nach wie vor als "ihren" ansehen – obwohl sie ihre weltweite Vormachtstellung längst eingebüßt haben. Bereits beim peinlichen Scheitern während der letzten Basketball-WM 2023 in Indonesien, Japan und den Philippinen, wo Deutschland die Goldmedaille abräumte, war Edwards trotz seiner nur 21 Jahre der einzige US-Spieler, der respektabel performte. US-Coach Steve Kerr sagte schon damals, dass Edwards "es" hat – das gewisse Etwas.
Jayson Tatum, Anthony Davis, Devin Booker und Jalen Brunson, veritable Top-15 Spieler, fehlt allesamt das Charisma eines globalen Superstars. Edwards bringt das volle Paket mit. Abseits des Parketts ist er nahbar und bodenständig, seine Strahlkraft zieht sowohl als Botschafter einer weltweit bekannten Getränkemarke, Schauspieler in Hollywood oder Besitzer des derzeit angesagtesten Basketball-Sneakers auf dem Markt in den Bann. Auf dem Parkett hingegen reißt er seinen Gegnern mit einem Lächeln auf den Lippen den Kopf vom Leib – und produziert mehr Social Media Highlights als jeder andere Akteur der Liga.
Einfach nur "Ant"
Die Minnesota Timberwolves stehen in diesen Western Conference Semifinals mit dem Rücken zur Wand. Denver hat drei Partien in Folge gewonnen und kann in der Nacht auf Freitag den Einzug in die Conference Finals klarmachen. Nikola Jokic und seine Nuggets beweisen eindrucksvoll, warum sie die amtierenden Champions sind – und Edwards' Nemesis. Für den Moment. Bereits im Vorjahr scheiterten der Youngster und seine Wolves an Denver. In dieser Saison zeigte sich Minnesota stark verbessert, dank der besten Verteidigung der Liga und Edwards' Sprung zum Superstar. Dass es trotzdem erneut nicht reichen könnte gegen den mittlerweile dreifachen MVP Jokic und sein Team, ist eines der brutalen Naturgesetze in der NBA.
Auf diesem Niveau entscheiden die kleinsten Details. Edwards ist bereit für diese Bühne, erzielte gegen Denver in bisher fünf Partien bereits 43 und 44 Zähler, für phänomenale 30,2 Punkte im Schnitt. Leider sind seine Nebenleute nicht in der Lage, die extra Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwird, effektiv zu nutzen. Auch das sind notwendige Schritte auf der Erfolgsleiter, schmerzhafte Lektionen, die der Weg nach ganz oben erteilt. Lektionen, die zuvor auch Jordan und LeBron James lernen mussten. Jordan scheiterte jahrelang an den brutalen Detroit Pistons, James an den abgezockten Boston Celtics. Erst, als sie körperlich und mental ausgereift waren und umgeben von kompetenten Mitspielern, die ihrer Führung folgen konnten, gelang ihnen der Durchbruch zum Champion.
Edwards' Aufstieg zum neuen Superstar und Publikumsliebling der NBA ist spätestens mit diesen Playoffs vollendet. Jetzt kommt der schwere Teil – und damit auch der Part, der ihn von Jordan noch so deutlich unterscheidet: die Ringe, die MVP-Trophäen, die pure Dominanz. Sechs Meisterschaften, sechs Finals MVPs und fünf MVPs hatte "His Airness" am Ende seiner beispiellosen Laufbahn abgeräumt. Kann "Ant-Man" eines Tages in diese Fußstapfen treten? Muss er das überhaupt?
Sein Name und seine Zukunft erstrahlen bereits mit 22 Jahren so hell, dass nicht nur Teamkollege Karl-Anthony Towns "eine Sonnenbrille braucht". Vielleicht ist es also besser, wenn der Geist des "GOATs", Michael Jordan, nur leise mitfliegt, wann immer Edwards Basketball spielt. Und er sich seinen eigenen Namen unter den Besten aller Zeiten macht. "Ant-Man" erklärte dementsprechend kürzlich: "Ich möchte, dass die Leute sagen: Dieser Junge, Anthony Edwards, hat etwas von Michael Jordan. Aber er hat seinen eigenen Stil."
Quelle: ntv.de