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Der Wandel des Bundestrainers: Nagelsmann weiß, was das DFB-Team nicht braucht

June 29
07:16 2024
Julian Nagelsmann ist der jüngste Trainer mit einer Teilnahme bei einer EM-Endrunde.

Julian Nagelsmann ist der jüngste Trainer mit einer Teilnahme bei einer EM-Endrunde.

Noch vor einem Jahr schien es unmöglich, jetzt ist es Realität: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft steht in der K.-o.-Runde der Heim-Europameisterschaft. Viele Faktoren haben dazu geführt, vor allem aber Bundestrainer Julian Nagelsmann

Lange Zeit gab es das nicht mehr zu sehen: Ein Bundestrainer, der völlig losgelöst an der Seitenlinie in die Luft geht. Das ganz späte 1:1 gegen die Schweiz hat am Sonntagabend nicht nur das Stadion in Frankfurt am Main geweckt, sondern, so scheint es, auch Julian Nagelsmann. Die Fernsehbilder zeigen es, wie er an der Seitenlinie nach dem Treffer von Niclas Füllkrug an der eigenen Auswechselbank hin und her stürmt. Kurz danach gab er der ARD ein Interview, seine Stimme war noch immer heiser.

Damals noch mit Baumfällerhemd und Leon Goretzka: Julian Nagelsmann gab sein Bundestrainer-Debüt gegen die USA.

Damals noch mit Baumfällerhemd und Leon Goretzka: Julian Nagelsmann gab sein Bundestrainer-Debüt gegen die USA.

(Foto: picture alliance / GES/Markus Gilliar)

Seit diesen ungewohnten Bildern sind nun sechs Tage her. Am Abend spielt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gegen Dänemark in Dortmund das Achtelfinale der Heim-Europameisterschaft (21.00 Uhr/ZDF, MagentaTV und natürlich im ntv.de-Liveticker). Das DFB-Team könnte in das erste Viertelfinale seit acht Jahren, seit dem Halbfinale bei der EM 2016, einziehen. Ab jetzt beginnt ein neuer Modus – jede Sekunde kann entscheidend sein. Doch vor allem ist es eine besondere Partie für einen: Bundestrainer Julian Nagelsmann.

Für den 36-Jährigen ist es das erst zwölfte Länderspiel, seit vergangenem Herbst. Seit Amtsantritt im vergangenen Herbst hat er eine bemerkenswerte Wandlung hingelegt. Der Job des Bundestrainers ist ein anderer als der eines Klubtrainers. Auch Nagelsmann musste das lernen. Nicht nur ist die Arbeit mit den Spielern anders, sondern auch die Aufmerksamkeit. Sei es allein kleidungsmäßig: Bei seinem Debüt in den USA sorgte er noch mit einem Holzfällerhemd für Aufsehen, so wie er es aus Zeiten beim FC Bayern immer wieder gemacht hat. Heute ist er davon weit entfernt, trägt er eher dunkelblau und unauffällig.

Keine Experimente mehr

Wenig überraschend ist eine andere Sache viel wichtiger: das Sportliche. Das DFB-Team hatte es denen, die es gut mit ihm meinen, in den vergangenen Jahren nicht leicht gemacht. Zweimal scheiterte es bei Weltmeisterschaften in Vorrunden, das Länderspieljahr 2023 endete mit weit mehr Niederlagen als Siegen. Selten waren die Partien ansehnlich, das DFB-Team blieb nie konstant. Auch Nagelsmann begann seine Bundestrainer-Ära wacklig, wagte dann aber zum Jahreswechsel den Neustart.

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Es war der allerletzte Versuch, die Heim-EM zu retten. Und es glückte: Nagelsmann gab der verunsicherten DFB-Elf ein berechenbares Umfeld. Mittlerweile handelt er danach: Experimente und Überraschungen sind das letzte, was dieses Team gebrauchen kann. Das von ihm eingeführte Rollensystem spiegelt das wider. Zusammen mit der Rückkehr des Mittelfeldstrategen Toni Kroos legte er damit auch die Altlasten seiner Vorgänger Hansi Flick und Joachim Löw ab.

Eine klare Hierarchie und, noch wichtiger, das Leistungsprinzip kehrten zurück: Die DFB-Spieler haben Leitplanken, an denen sie sich orientieren können. Die Aufstellungen verändern sich nicht groß, manchmal sind auch die Wechsel schon vor dem Anpfiff klar. Als der junge Aleksandar Pavlović vor dem Turnierstart erkrankt abreisen musste, nominierte er Emre Can nach. Es war die pragmatischste Lösung, den Zweikämpfer zu wählen, der kurz zuvor im Champions-League-Finale auf dem Feld stand.

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Dass nun ausgerechnet Nagelsmann derjenige ist, der für Pragmatismus sorgt, birgt eine gewisse Ironie. Denn: Der alte Nagelsmann war früher ein anderer Trainertypus. Jemand, der seine Spieler mit taktischen Anweisungen auch manchmal überfordert. Jemand, der einen gewaltigen Bildschirm an seinen Trainingsplätzen bei Hoffenheim und dem FC Bayern installieren lässt, um seinen Profis direkt etwas zu zeigen.

Es ist nicht so, dass während seiner Zeit bei der Nationalelf der alte Nagelsmann völlig verschwunden ist. Anfangs wirkte es noch so, als würde ihm die tägliche Arbeit mit den Spielern wie im Klub fehlen. Bis zu seiner Vertragsverlängerung stand immer im Raum, dass er nach der Heim-EM sofort wieder auf Vereinsebene arbeiten würde. Bis nach den März-Länderspielen: Danach gab er sein Bekenntnis bis zur Weltmeisterschaft 2026 ab.

Viel Fantasie

Manchmal dringt die alte Version des Trainers noch heute durch. Dann wird der neue Julian Nagelsmann gefragt, der alte Julian Nagelsmann antwortet. Vor dem zweiten EM-Gruppenspiel gegen Ungarn ging es darum, was der Trainer der Nationalelf eigentlich von seinen Außenverteidigern erwartet. Das Spiel fand in Stuttgart statt, die neue Heimat von Maximilian Mittelstädt, eben der DFB-Linksverteidiger.

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Nagelsmann holte aus, sprach über statistische Erwartungen aus seinen Klubzeiten (sechs bis sieben Tore pro Saison). Dann erklärte er, wie sich taktische Systeme der gegnerischen Mannschaften verändert haben. (Achtung, jetzt wird es wirklich kleinteilig: Die meisten Teams versuchen, ihre Gegner nach außen zu drängen, so ist der Weg zum Tor möglichst weit. Die Mitte ist dann aber voller Spieler, das macht die Außenverteidiger so wichtig.)

Am Ende kommt Nagelsmann noch zu einem anderen Punkt. Die wenigsten fangen im Verein an und sagen: Ich will aber unbedingt Außenverteidiger sein. Es brauche Fantasie, sagte Nagelsmann, einen Spieler auf diese Position zu setzen. Und da war es: Ebenjene Fantasie zeichnete ihn auch als Trainer aus. Schließlich packte er bei seinem dritten DFB-Auftritt gegen die Türkei noch Mittelstürmer Kai Havertz auf die Linksverteidigerposition. Auch wenn der das okay machte, ging es mächtig schief.

Eine "wunderbare Rede"

Von diesen Experimenten hat er sich (bis jetzt) verabschiedet. Zuletzt saßen die meisten seiner Handgriffe. Einzig die Wechsel im Schweizspiel warfen Fragen auf: Warum kam Füllkrug so spät? Wieso stand da plötzlich wieder die Doppelsechs aus İlkay Gündoğan und Kroos auf dem Platz? Warum wurde doch noch Maximilian Beier eingewechselt? Das Spiel zeigte auch: Die neue Stärke, die Berechenbarkeit, kann ein Risiko sein: Die Schweiz war bestens auf die DFB-Elf eingestellt. Irgendwann braucht es doch Überraschungen, dann stellt sich die Frage: Wie viele Experimente verträgt dieses DFB-Team? In den ersten Gruppenspielen war es noch zu fragil dafür.

Ansonsten vermittelt Nagelsmann den Eindruck, dass er weiß, welche Erwartungen auf dieser (neuen) DFB-Elf lasten. Eine Heim-Europameisterschaft! So etwas kommt in einer Spielergeneration selbst mit Glück maximal einmal vor. Und auch, wenn sie die älteste Mannschaft im Turnier ist, haben viele von ihnen noch kein K.-o.-Spiel gespielt. Hinzu kommt der Druck, der von außen herangetragen wurde: Es muss das große Sommermärchen werden, ein rauschendes Fußballfest, das im besten Fall den Kontinent eint. In der Rechnung braucht es aber ein DFB-Team, das den Turnierbaum möglichst bis zum Wipfel klettert.

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Irgendwie ist es Nagelsmann gelungen, damit umzugehen. DFB-Sportdirektor Rudi Völler saß unter der Woche in der großen Presseturnhalle im EM-Quartier vor den Journalistinnen und Journalisten. Er sprach davon, wie der Bundestrainer das geschafft hat. Völler zitierte aus einer "wunderbaren Rede", die Nagelsmann vor Turnierbeginn gehalten habe. Der Bundestrainer habe vermittelt, dass es ein Privileg sei, diesen Druck zu spüren. Bislang hat das funktioniert. Bei den drei Gruppenspielen kam im Stadion kaum das Gefühl auf, dass das Team irgendwie nervös ist.

Anders dagegen der Bundestrainer. Und auch an dieser Stelle hat er sich gewandelt. Am Abend vor dem Auftaktspiel gegen Schottland gab Nagelsmann seine erste Pressekonferenz bei einem großen Turnier. Im Bauch des Münchner Stadions raschelte es, die Tastaturen klackerten, die Journalistinnen und Journalisten tuschelten. Nagelsmann spürte das: die Nervosität bei sich und allen anderen um ihn herum. Er sprach das an und ermahnte alle, die in diesem Raum saßen, bitte etwas ruhiger zu sein. Es war, als würde er auch ein wenig mit sich selbst reden. Und siehe da: Danach lief alles ruhiger ab. Die Fragerunde wurde entspannter, seine Sprüche wirkten danach weniger aufgesetzt.

Jetzt, nur zwei Wochen später, ist das schon deutlich routinierter. Schließlich weiß man mittlerweile ungefähr, was man vom DFB-Team erwarten kann. Nagelsmann beantwortet die Fragen sicherer, ist weniger nervös – und sagt das auch. "Noch bin ich ganz entspannt, weil das Trainerteam und die Mannschaft gut gearbeitet haben", sagte er am Abend vor dem Achtelfinale auf die Frage nach der Nervösität. "Wir sind extrem gut präpariert auf alle Dinge." Auch diesmal raschelt es im Hintergrund, der Pressesaal ist mindestens genauso voll wie in München. Doch dazu sagte er nichts.

Quelle: ntv.de

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