Datenauswertung zeigt riesige Methanwolke über Nord-Stream-Lecks
Hunderttausende Tonnen Methan dürften aus den Lecks in den Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2 in die Atmosphäre gelangt sein. Nun haben Fachleute den Weg der Gaswolke nachvollzogen.
Aus den Gaslecks in Nord Stream 1 und Nord Stream 2 sind erhebliche Mengen Methan ausgetreten. Die exakte Menge ist noch nicht bekannt. Eine Auswertung des Integrated Carbon Observation System (ICOS) zeigt nun aber, wie eine gewaltige Gaswolke über der Ostsee aufgestiegen und über Europa gezogen ist.
Methan-Messstationen in Schweden, Norwegen und Finnland zeigen deutliche Ausschläge in den vergangenen Tagen. Beobachtungssatelliten hätten die Emissionen wahrscheinlich nicht erfasst, weil es bewölkt war, schreibt ICOS in einer Mitteilung . Das Netzwerk erfasst standardisiert die Emissionen über Europa.
»Wir gehen davon aus, dass der Wind das Methan zunächst Richtung Norden bis zum Finnischer Archipel getragen hat und dann Richtung Schweden und Norwegen abgebogen ist«, sagt Stephen Platt vom Norwegian Institute for Air Research (NILU). So zeigt es eine Animation, die die Fachleute auf Basis ihrer Auswertungen erstellt haben (siehe oben).
Erst Nord Stream 2, dann Nord Stream 1
Eine Grafik zu den Messwerten zeigt die erste gut erkennbare Erhöhung der Methan-Werte in der Nacht von Montag auf Dienstag an einer Station auf der Insel Utö vor der Südküste Finnlands. Am Dienstag trieb die Methanwolke dann die Statistik an der Forschungsstation Norunda nördlich der schwedischen Stadt Uppsala massiv in die Höhe.
Der Methangehalt der Luft stieg dort innerhalb weniger Stunden von gut 2000 auf mehr als 2300 ppb (Parts per Billion), also Teilchen pro Milliarde Luftteilchen. Noch am selben Tag schlugen die Messwerte der weiter westlich gelegenen Stationen Hyltemossa in Schweden und Birkens in Norwegen ähnlich stark aus. Methan ist ein etwa 25-mal stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid (CO₂).
In allen drei Messreihen zeigt sich ein kurzer Knick, die Werte fallen kurz ab, um dann erneut anzusteigen. Das passt zwar auf den ersten Blick zum Verlauf der Beschädigungen an den Pipelines. Als Erstes schlug in der Nacht zum Montag Nord Stream 2 leck, am Montagabend fiel dann der Druck in Nord Stream 1 rapide. Das Muster in den Messreihen lässt sich damit jedoch nicht erklären.
»Das liegt daran, dass die Luft der Atmosphäre wie ein Mixer wirkt und nicht immer direkt von der Methan-Quelle zur Messstation fließt«, erklärte ICOS-Direktor Werner Kutsch im Gespräch mit dem SPIEGEL. Inzwischen sind insgesamt vier Löcher bekannt, die drei Röhren der beiden Pipelines betreffen.
Die Frage nach der Methan-Menge
Zu einem späteren Zeitpunkt will das ICOS-Netzwerk versuchen, die ausgetretene Gasmenge genauer zu quantifizieren. »Wir sehen den Vorteil eines standardisierten, großen Netzwerks in Fällen wie diesem, wo wir schnell und zuverlässig unerwartete Zunahmen oder Abnahmen von Treibhausgasen feststellen können«, so Kutsch.
Bislang gibt es nur Schätzungen zur in die Atmosphäre gelangten Gasmenge: »Aus den Lecks könnte so viel Gas entwichen sein wie in einer Stadt von Paris oder einem Land wie Dänemark in einem ganzen Jahr«, heißt es in der ICOS-Mitteilung. Das Umweltbundesamt schätzt, dass Emissionen von etwa 7,5 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten entstanden sind. Das entspricht etwa einem Prozent der deutschen Jahres-Gesamtemissionen.
»Das ist schon eine beachtliche Menge Treibhausgas, die da emittiert werden kann«, sagte Gregor Rehder vom Leibniz Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) dem SPIEGEL am Donnerstag (mehr dazu lesen Sie hier ).