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Coronavirus: Wie die Slowakei und andere Länder Roma in der Krise diskriminieren

April 21
13:12 2020

Viele Roma sind wegen ihrer ärmlichen Lebens- und Wohnbedingungen in der Coronakrise besonders gefährdet. Doch statt staatlicher Hilfe erleben sie derzeit eine doppelte Diskriminierung.

Die Szenen wirken wie aus einem Katastrophenfilm: Armee-Jeeps mit bewaffneten Soldaten und schwer vermummten Militärärzten rücken in die Siedlungen ein. Kampfhubschrauber kreisen über ihnen. Die Menschen müssen einzeln im Freien antreten, die Ärzte nehmen Abstriche aus ihrem Rachen.

Unabhängige zivile Beobachter sind nicht zugelassen, ausgewählte Journalisten, die filmen und fotografieren dürfen, stehen unter strenger Aufsicht der Armee. Nach den Tests teilt die Regierung mit: Die Bewohner hätten kooperiert und sich ruhig verhalten.

Szenen aus der Slowakei in diesen Tagen: Die neue rechtsnationale Regierung unter Premier Igor Matovic hat Coronavirus-Massentests in Elendssiedlungen und gettoartigen Wohnvierteln angeordnet, in denen Roma leben. Denn sie gelten derzeit als besonders gefährdet, weil sie oft auf engem Raum wohnen und die sanitären Bedingungen häufig schlecht sind – dabei sind Hygienemaßnahmen gerade jetzt so wichtig.

Sondermaßnahmen gegen Roma

Dass die Massentests in Form einer groß angelegten militärischen Operation durchgeführt würden, sei keine "Demonstration der Stärke", lässt der slowakische Regierungschef Matovic wissen. Der Einsatz von Soldaten diene lediglich der Sicherheit der Betroffenen, Kampfhubschrauber wiederum seien für einen schnellen Transport von Infizierten und Testproben notwendig.

Slowakische Bürgerrechtsaktivisten sehen das anders. Sie kritisieren den Armeeeinsatz als unverhältnismäßig und diskriminierend, da er nur bei Roma stattfinde. "Die Abriegelung von Siedlungen und die Präsenz der Armee werden diejenigen, deren Probleme lange ignoriert wurden, noch weiter stigmatisieren", sagt beispielsweise die slowakische Ombudsfrau Mária Patakyová.

Die Slowakei ist nicht das einzige Land, das in der Coronakrise zusätzlich zu den ohnehin geltenden Einschränkungen für alle Bürger Sondermaßnahmen gegenüber Roma ergreift, die den Eindruck erwecken, sie seien eine kollektive Infektionsquelle. In Rumänien und Bulgarien beispielsweise wurden zahlreiche Stadtteile und Siedlungen, in denen Roma leben, von Polizei und Militär teilweise präventiv abgesperrt oder unter Quarantäne gestellt.

Rassismus gegen Roma nimmt zu

Dabei bräuchten viele Roma derzeit andere Sondermaßnahmen. Etwa die Hälfte der geschätzt zehn bis zwölf Millionen europäischen Roma leben überwiegend in großer Armut in sieben mittel- und südosteuropäischen Ländern: Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Serbien und Nordmazedonien. In den dortigen Elendssiedlungen wohnen Familien mit vielen Angehörigen aus drei oder vier Generationen oftmals auf engstem Raum zusammen. Meistens gibt es nur wenige öffentliche Wasserhähne – normale Badezimmer, Toiletten und Kanalisation so gut wie nirgendwo.

Arme Roma sind deshalb in der Coronakrise eine besondere Risikogruppe. Doch kein Staat in Mittel- und Südosteuropa hat der Gefahr einer Masseninfektion in Roma-Siedlungen systematisch vorgebeugt, etwa durch eine gezielte Verbesserung ihrer Sanitärinfrastruktur. Nur in Einzelfällen ließen beispielsweise Kommunen in der Slowakei eine bessere Wasserversorgung für Roma-Viertel einrichten oder Bürgermeisterämter wie im rumänischen Klausenburg (Cluj) Hygienepakete an Roma verteilen, die neben einer städtischen Müllkippe leben.

Stattdessen schlägt den Roma neben dem ohnehin verbreiteten Antiziganismus derzeit zusätzlicher Hass entgegen. Vielfach suggerieren Medienberichte in Mittel- und Südosteuropa, dass Roma Einschränkungen wie Ausgangssperren oder das Verbot, sich in Gruppen zu bewegen, in besonderem Maße missachteten. In sozialen Medien finden sich massenweise rassistische Kommentare zu Roma in der Coronakrise. "In dem neuen, von der Corona-Epidemie geschaffenen sozialen und politischen Kontext ist der Rassismus gegen Roma als völlig freie Erscheinung wieder auferstanden", schreibt der rumänische Roma-Aktivist Ciprian Necula.

Kein Einkommen, kein Unterricht

Führende Roma-Organisationen europäischer Länder, wie der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, warnen zudem vor einer existenziellen Katastrophe, die sich für Roma derzeit anbahnt. Denn viele können ihre informellen Beschäftigungen wie das Sammeln von Plastikflaschen und Metallschrott oder den Straßenhandel mit Lebensmitteln, Haushaltswaren oder Blumen zurzeit nicht mehr ausüben. Die Kinder sind ihrerseits von Schulschließungen besonders betroffen, weil sie mangels technischer Ausrüstung meistens nicht am Online-Unterricht teilnehmen können. Spezielle humanitäre Hilfsprogramme für Roma gibt es jedoch bisher nirgendwo in Mittel- und Südosteuropa.

Unterdessen lässt die slowakische Regierung die vom Militär organisierten Massentests in Roma-Siedlungen weiterführen. In mehr als hundert Siedlungen rückte die Armee bisher ein. Nachdem es in einigen Siedlungen positive Testergebnisse gegeben hatte, wurden sie vollständig abgeriegelt und unter Quarantäne gestellt – obwohl Premier Matovic zuvor versprochen hatte, das nur zu tun, wenn mindestens zehn Prozent der Bewohner infiziert seien.

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