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Coronavirus-Pandemie: Alter Impfstoff gegen neues Virus

June 11
21:58 2020
Zunächst gab es eine Polio-Impfung per Spritze (Foto aus dem Jahr 1954, USA), kurz darauf kam die Schluckimpfung Icon: vergrößern

Zunächst gab es eine Polio-Impfung per Spritze (Foto aus dem Jahr 1954, USA), kurz darauf kam die Schluckimpfung

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Als im Kongo, im Senegal und in Guinea-Bissau die Masernimpfung eingeführt wurde, sank die Kindersterblichkeit um gut die Hälfte. Das war deutlich mehr, als sich allein mit dem Verhindern von Masern-Erkrankungen erklären ließ.

Auch der alte Polio-Impfstoff, der als Schluckimpfung verabreicht wurde, schützte nicht nur vor Polio, sondern senkte unter anderem das Risiko, an der Grippe zu erkranken, worauf ein Forscherteam in einem aktuellen Beitrag im Wissenschaftsmagazin "Science" hinweist.

Diverse weitere Studien bestätigen, dass sogenannte Lebendimpfstoffe durch unspezifische Effekte auch vor Krankheitserregern schützen können, gegen die sie nicht gezielt gerichtet sind. Lebendimpfstoffe enthalten abgeschwächte Erreger, die noch in der Lage sind, sich zu vermehren. Dies ist bei sogenannten inaktivierten Impfstoffen nicht mehr der Fall; ihnen werden auch die positiven Nebeneffekte nicht mehr zugeschrieben.

Die Autoren um Konstantin Chumakov von der US-Arzneimittelbehörde FDA plädieren jetzt dafür, den Einsatz der Polio-Schluckimpfung (kurz: OPV) als Coronavirus-Schutz in Studien zu prüfen. Nur ein kleiner Teil des für die Polio-Ausrottung ohnehin produzierten Impfstoffs würde reichen, um die nötigen Studien durchzuführen, argumentieren sie.

Training für die angeborene Immunabwehr

Das Phänomen der schützenden unspezifischen Effekte von Lebendimpfstoffen wird schon länger erforscht. Sie stärken demnach die sogenannte angeborene Immunabwehr. Der Immunologe Mihai Netea hat es im SPIEGEL schon einmal so erklärt: "Auch Pflanzen und wirbellose Tiere, die nur über ein angeborenes Immunsystem verfügen, passen sich nach einer Infektion an und reagieren bei der nächsten besser." Dies passiere durch "sehr alte Mechanismen" wie etwa epigenetische Veränderungen. "Impfungen täuschen im Prinzip sehr leichte Infektionen vor und können deshalb diese hilfreichen unspezifischen Effekte auslösen – ohne das Risiko einer echten Krankheit."

Nun hoffen Forscherinnen und Forscher, diesen Effekt gegen Sars-CoV-2 zu nutzen, während ein spezifischer Impfstoff gegen das Virus erst entwickelt werden muss. Zwar laufen in vielen Ländern erste Studien mit Sars-CoV-2-Impfstoffen, doch bis zur Marktreife eines Impfstoffs vergehen selbst nach optimistischen Schätzungen noch knapp anderthalb Jahre – es könnte auch deutlich länger dauern.

Das Verwenden eines alten Impfstoffs, der alle nötigen Sicherheitsstudien bereits durchlaufen hat und durch jahrzehntelange Verwendung bestens bekannt ist, ließe sich deutlich schneller umsetzen.

Neue Tuberkulose-Impfung im Test gegen das Coronavirus

Nicht nur die Polio-Schluckimpfung ist ein möglicher Kandidat, auch die BCG-Impfung gegen Tuberkulose könnte möglicherweise einen Schutz gegen das neuartige Coronavirus verleihen. Von BCG ist bereits bekannt, dass der Impfstoff das Immunsystem allgemein besser gegen Infektionen wappnen kann.

Weil die BCG-Impfung in der DDR bis zu deren Ende Pflicht war, erhielten dort mehr Menschen den Impfstoff als im Westen: Trägt dies dazu bei, dass die ostdeutschen Bundesländer von der Coronavirus-Epidemie bislang weniger betroffen sind?

Bislang lässt sich diese Frage nicht eindeutig beantworten. "Es gibt Hinweise, dass der Tuberkulose-Schutz durch die BCG-Impfung etwa 20 Jahre anhält", sagt Christoph Schindler von der Medizinischen Hochschule Hannover. Ob die Impfwirkung noch länger andauere, wisse man nicht genau.

Schindler und seine Kollegen prüfen aktuell einen veränderten BCG-Impfstoff, VPM 1002 genannt, in zwei klinischen Studien der Phase III: 1000 Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten (Ärzte, Pfleger, medizinisch-technische Fachkräfte mit Patientenkontakt) sowie 2000 Menschen im Alter zwischen 60 und 80 Jahren erhalten die Impfung oder ein Placebo. Die Rekrutierung der Probanden laufe gut, sagt Schindler.

BCG-Impfung zur Überbrückung

Die BCG-Impfung enthält ein Bakterium, den Bacillus Calmette-Guérin, der eng mit dem Tuberkulose-Erreger verwandt ist und für die Impfung abgeschwächt wurde. Für den neuen Impfstoff VPM 1002 wurde dieses Bakterium gentechnisch verändert, damit die Impfung eine bessere und zielgerichtetere Immunantwort hervorruft als der herkömmliche Impfstoff und seltener unerwünschte Nebenwirkungen hervorruft. Die Impfung wurde bereits in einigen klinischen Studien geprüft.

Sobald jeweils der letzte Proband aufgenommen wurde, sollen die Teilnehmer 240 Tage begleitet werden. Das Team verfolgt die These, dass der Impfstoff nicht nur einen gewissen Schutz vor dem Coronavirus bieten kann, sondern generell vor Atemwegsinfekten schützen könnte. Deshalb wollen sie ihre Studie auch über die nächste Grippesaison im kommenden Winter laufen lassen. Mit Ergebnissen rechnen sie im nächsten Jahr.

Schindler sieht die Impfung als Brückentechnologie: Sie könnte helfen, bis eine spezifische Impfung gegen Sars-CoV-2 entwickelt ist.

In ihrem Beitrag in "Science" weisen die Forscher um Konstantin Chumakov zusätzlich darauf hin, dass ein Schutz durch Lebendimpfstoffe wie BCG oder die Polio-Schluckimpfung sogar einen Vorteil gegenüber einer zielgerichteten Impfung haben kann: Während Sars-CoV-2 so mutieren könnte, dass eine spezifische Impfung nicht mehr effektiv schützt, bleibt der unspezifische Schutz in solch einem Fall trotzdem erhalten. "Falls sich zeigt, dass die Methode bei Covid-19 effektiv ist, könnte eine Notfallimpfung mit Lebendimpfstoffen auch bei anderen neuen Erregern als erster Schutz dienen", schreiben sie.

Icon: Der Spiegel

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