Coronavirus in China: Peking ist kein zweites Wuhan
Peking befindet sich wieder im "Kriegsmodus", so verbreiten es Chinas Parteiorgane. Allein: Solche martialischen Vokabeln trüben den Blick darauf, was gerade in der chinesischen Hauptstadt passiert. Noch ist nicht ausgemacht, ob dem Land tatsächlich die befürchtete zweite Welle der Corona-Pandemie bevorsteht – oder ob der neue Ausbruch im Pekinger Xinfadi-Markt eine Episode bleibt.
Zweifelsohne sind die Behörden angesichts des neuen Infektionsclusters alarmiert. Als Hauptstadt eines zentralisierten Staates ist Peking für die Volksrepublik von enormer Bedeutung. Die gesamte politische Elite ist dort zu Hause. Staats- und Parteichef Xi Jinping hat seine Kader gewarnt, sich im "Volkskrieg" gegen das Virus keine Nachlässigkeit zu erlauben. Dementsprechend robust fallen die Gegenmaßnahmen aus:
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Seit am Donnerstag die erste Neuinfektion in Peking nach über 50 Tagen bekannt wurde, wurden Zehntausende Besucher, Standbetreiber und Anwohner des Markts auf Covid-19 getestet und isoliert.
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100.000 Sozialarbeiter sollen in die Stadt ausschwärmen, um die Seuchenkontrolle zu unterstützen.
Was das Virus betrifft, geht die chinesische Führung kein Risiko ein. Auch der Propagandaapparat dreht auf. Obwohl der Erreger an 40 Orten im Markt gefunden worden ist, wurde doch nur einer explizit herausgestellt: ein Schneidebrett für Lachs, wobei kein Bericht zu betonen vergaß, dass der Fisch aus dem Ausland importiert worden sei.
Chinesische Experten gehen nicht davon aus, dass Lachs selbst das Wirtstier war. Die Annahme: Durch mangelnde Hygiene bei der Verarbeitung sei der Erreger auf den tiefgefrorenen Fisch gelangt, der dann nach China transportiert worden sei.
Forscher der Pekinger Seuchenbekämpfungsbehörde haben zudem das Genom des Erregers untersucht. Sie wollen dabei herausgefunden haben, dass es einem Virusstamm ähnele, der Europa heimgesucht hat. Das mag so sein – und doch fällt auf, welches Gewicht die Staatsmedien diesem Umstand geben.
Die Botschaft hat propagandistischen Wert: Der Ursprung der Gefahr ist demnach das Ausland, nicht China. Schon werden Stimmen laut, wonach diese Erkenntnis ein neues Licht auf den ursprünglichen Ausbruch werfe. Die Spekulation geht so: Im Huanan-Fischmarkt in Wuhan, von wo aus das Virus sich ab Dezember in die Welt verbreitet hatte, wurden doch sicher ebenfalls importierte Lebensmittel verkauft?
Nimmt man die Nervosität der Behörden und den Spin der Berichterstattung einmal beiseite, ist Peking von einem Belagerungszustand aber noch ein gutes Stück weit entfernt – nicht zuletzt, was die Zahlen angeht.
Behörden gehen von lokal begrenztem Ausbruch aus
Bis Montag wurden in der 22-Millionen-Metropole insgesamt 79 Neuinfektionen registriert. Zum Vergleich: In Berlin mit seinen rund 3,5 Millionen Einwohnern sind allein in der vergangenen Woche 327 Fälle dazugekommen. Wu Zunyou, ein hochrangiger Epidemiologe der Seuchenbekämpfungsbehörde, äußerte sich am Montag im Staatsfernsehen verhalten optimistisch: "Wir sind zuversichtlich, dass der Ausbruch sich nicht weit verbreiten wird", sagte er.
Nun haben Verantwortliche den Ausbruch der Corona-Pandemie anfangs vertuscht; auch gibt es zahlreiche Hinweise, dass die im Frühjahr gemeldeten Fallzahlen zu niedrig waren. Viele Beobachter außerhalb des Landes trauen der chinesischen Statistik daher nicht. Das Stadtbild in Peking spricht allerdings dafür, dass die Behörden den neuerlichen Ausbruch bisher tatsächlich für ein lokal begrenztes Ereignis halten. Während der ersten Welle im Frühjahr galt in Peking ein besonders strenges Sicherheitskonzept:
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Neuankömmlinge in der Stadt mussten sich für 14 Tage in Quarantäne begeben.
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Das öffentliche Leben lag praktisch vollständig still,
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selbst auf den größten Straßen fuhren nur vereinzelte Autos.
Dieser Tage ist das Verkehrsaufkommen dagegen weitgehend normal. Im Ausgehviertel Sanlitun waren am Montagabend die meisten Restaurants und Bars geöffnet, wenngleich nicht sonderlich stark frequentiert.
Unterschied zwischen "Communitys" und Stadtteilen
Zudem hat die Verwaltung in Peking nicht ganze Stadtteile abgeriegelt, wie es zunächst vermeldet wurde. Diese ursprüngliche Darstellung mag auf einen Übersetzungsfehler zurückgehen:
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Auf der niedrigsten Verwaltungsebene sind Chinas Städte in Nachbarschaften organisiert, die auch als "Communitys" bezeichnet werden.
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Dabei handelt es sich aber nicht um Stadtviertel, sondern typischerweise um einen Häuserblock oder eine Gruppe von Wohngebäuden, die häufig von einem Zaun oder einer Mauer umgeben sind.
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Diese "Communitys" unterstehen einem Nachbarschaftskomitee oder einem professionellen Management, die während der Pandemie auch für die Umsetzung von Gesundheitsvorschriften zuständig waren und immer noch sind.
Bis zu diesem Montag wurden 21 dieser Communitys in Peking unter einen Lockdown gestellt. Dort leben immerhin rund 90.000 Menschen, eine hohe Zahl. Aber ein Lockdown für ganze Stadtteile, in denen zum Teil mehrere Millionen Einwohner leben, der wäre weitaus dramatischer. Peking ist noch lange kein zweites Wuhan.
Icon: Der Spiegel