Coronavirus bei Kindern: Was über Infektionen und Ansteckungsraten bekannt ist
Eltern sind mit ihren Nerven am Ende und fordern, Kitas, Kindergärten und Grundschulen endlich wieder zu öffnen. Doch welche Rolle spielen Kinder in der Corona-Pandemie eigentlich?
Das Coronavirus hat nicht nur den Alltag vieler Menschen auf den Kopf gestellt, sondern auch das Familienleben auf eine harte Probe. Wenn beide Eltern arbeiten müssen, kommen manchmal nur noch Fernseher oder Smartphone als Betreuungsersatz infrage.
Den gewohnten Alltag und soziale Kontakte außerhalb der Familie können sie nicht ersetzten. Mancher sieht gar das Kindeswohl gefährdet, wenn der Nachwuchs über Monate keinen sozialen Austausch mit Gleichaltrigen pflegen kann.
Deshalb wird nun diskutiert, auch Kindern wieder etwas mehr Freiraum zu verschaffen. In den zuletzt besonders stark von der Corona-Pandemie betroffenen Ländern Italien und Spanien gibt es erste Lockerungen, oder sie sind zumindest geplant. Allerdings waren die Einschränkungen dort auch noch größer als in Deutschland.
In Spanien dürfen Kinder unter 14 Jahren etwa seit Sonntag überhaupt erst wieder für eine Stunde pro Tag mit einem Elternteil vor die Tür gehen. In Italien sollen Kinder ab dem 4. Mai wieder in Parks spielen dürfen.
In Deutschland diskutierten die Kultusminister am Montag, inwiefern der Schulbetrieb in den unterschiedlichen Jahrgangsstufen wieder anlaufen könnte (einen Überblick möglicher Szenarien lesen Sie hier). Bislang sind vor allem Abiturienten und Schüler, die vor dem mittleren Schulabschluss stehen, für Prüfungen kurzzeitig an die Schulen zurückgekehrt. Kitas und Kindergärten bleiben allerdings vorerst weiter geschlossen.
"So langsam nicht mehr erträglich"
Dass Politiker und Experten bei dem Thema zurückhaltend sind, dürfte auch damit zusammenhängen, dass noch immer kaum etwas darüber bekannt ist, welche Rolle Kinder bei der Ausbreitung des neuen Coronavirus spielen (einen weiteren Artikel dazu lesen Sie hier).
Christian Drosten von der Charité in Berlin, der das Virus der ersten Sars-Pandemie 2002/2003 entdeckt hat, beschrieb die Situation in einem Interview mit dem ORF zuletzt als "so langsam nicht mehr erträglich". Es müssten dringend valide Daten her.
Das Problem sei, dass diese am besten bei den Gesundheitsämtern erfasst werden könnten. Dort ließe sich nachverfolgen, ob sich die Kinder von nachweislich Infizierten ebenfalls angesteckt hätten – oder umgekehrt. Allerdings seien die Gesundheitsämter zu überlastet, um nebenbei Studien durchzuführen. Drosten rechnet daher erst in zwei bis drei Wochen mit aussagekräftigen Informationen für Deutschland.
Baden-Württemberg hat nun mehrere Unikliniken beauftragt, Corona-Infektionen bei Kindern unter zehn Jahren zu untersuchen. 2000 Eltern-Kind-Paare sollen unter Federführung der Uniklinik Heidelberg auf eine Infektion und Antikörper getestet werden. So wollen die Forscher unter anderem prüfen, ob sich Kinder so leicht infizieren wie Erwachsene. Bislang ist die Datenlage dazu widersprüchlich.
Stecken sich Kinder seltener an als Erwachsene?
Im ungünstigsten Fall könnten Kinder maßgeblich zur Ausbreitung des Virus beitragen, wenn Kitas und Grundschulen wieder geöffnet werden. Im besten Fall stecken sie sich und andere kaum an. Dann würden sie nur eine geringe Rolle bei der Ausbreitung der Pandemie spielen. Womöglich liegt die Wahrheit auch irgendwo dazwischen.
Für den ungünstigeren Fall spricht eine Studie aus China aus dem März 2020. Forscher haben darin untersucht, wie häufig sich Kinder im Vergleich zu Erwachsenen bei einem bereits Infizierten angesteckt haben.
Die Wissenschaftler testen dazu die Kontaktpersonen von 391 Corona-Infizierten auf das Virus. Insgesamt waren das 1286 Menschen. Sieben bis acht Prozent der Kontakte haben sich demnach infiziert. Kinder unter zehn Jahren erwischte das Virus genauso häufig wie Erwachsene.
Allerdings gibt es auch anderslautende Studien: Eine kleinere Untersuchung mit 105 anfänglich Infizierten in China und deren insgesamt 392 Kontaktpersonen im eigenen Haushalt kam zu dem Schluss, dass sich Minderjährige zwar infizieren, aber nicht so leicht wie Erwachsene.
Vier Prozent der unter 18-jährigen Kontaktpersonen steckten sich demnach an. Bei den Erwachsenen lag die Rate bei gut 17 Prozent.
Zu einem noch mal anderen Ergebnis kommt eine Untersuchung aus Island. In dem Inselstaat blieben Schulen und Kindergärten trotz des Corona-Ausbruchs weitgehend geöffnet. Für eine Studie wurden Mitte März bis Anfang April 848 Kinder unter zehn Jahren auf eine Corona-Infektion getestet – kein einziges von ihnen trug das Virus in sich. In der älteren Bevölkerung waren es 0,8 Prozent.
An der Studie wurde allerdings kritisiert, dass sich ein Großteil der Teilnehmer freiwillig online melden konnte, wenn er keine oder nur leichte Symptome hatte. Es ist denkbar, dass sich vor allem Eltern registriert haben, die besonders große Sorge um eine Infektion ihrer Kinder hatten und sie entsprechend vor Kontakten geschützt haben. Das Ergebnis ist nicht repräsentativ.
Kinder erkranken sehr selten schwer
Fest steht, dass sich Kinder grundsätzlich mit dem neuen Coronavirus anstecken können. Allerdings trifft es sie wohl oft nicht so schwer. Laut der Studie aus China, nach der Kinder genauso anfällig für eine Infektion sind wie Erwachsene, entwickelten Kinder unter zehn Jahren deutlich seltener Symptome. Das neue Coronavirus führt also seltener dazu, dass sie krank werden.
Der genaue Hintergrund ist noch unklar. Offenbar befällt das Virus bei Kindern aber öfter die oberen Atemwege, sodass Lungenentzündungen seltener sind. "Auch wenn bei Kindern, insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern, schwere Verläufe vorkommen können, ist die Mehrzahl nach bisherigen Studien bei Kindern eher mild und unspezifisch", schreibt das Robert Koch-Institut (RKI).
Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie sammelt Daten, wie viele Kinder und Jugendliche in Deutschland wegen Covid-19 im Krankenhaus behandelt werden. Vom 18. März bis Ende vergangener Woche lagen in Deutschland demnach 133 Kinder- und Jugendliche mit Covid-19 im Krankenhaus, ungefähr zehn Prozent davon auf der Intensivstation.
Der Großteil der Kinder war zwischen einem und fünf Jahre oder einem und elf Monate alt. Allerdings ist die Statistik nicht vollständig, da nicht alle Kliniken Informationen zur Verfügung stellen. Insgesamt dürften die Zahlen deutlich höher liegen.
In Großbritannien schlug die staatliche Gesundheitsbehörde NHS zudem gerade Alarm, weil dort in Einzelfällen Kinder an einem potenziell tödlichen Syndrom erkrankt sind. Dabei treten offenbar mehrere Corona-Symptome gleichzeitig auf, etwa Magen- und Herzprobleme.
Die Zahl der Kinder, die wegen der beschriebenen Beschwerden auf Intensivstationen in London und anderen Regionen behandelt werden mussten, sei in den vergangenen drei Wochen gestiegen, berichtet das britische "Health Service Journal". Betroffen seien alle Altersgruppen.
Wie viele Kinder insgesamt erkrankt sind, ist allerdings unklar. Insgesamt ist das Syndrom wohl sehr selten. Auch, ob tatsächlich das Coronavirus die Ursache ist, muss noch geklärt werden. Am Dienstag äußerte sich der britische Gesundheitsminister Matt Hancock besorgt, man untersuche zurzeit intensiv, was es mit dem Syndrom auf sich habe, doch auch er betonte: Es trete selten auf.
Virenschleudern oder Virenbremser?
Bleibt noch die Frage, wie gefährlich infizierte Kinder für andere sind. Den ganz Kleinen in Kitas und Kindergärten ist es kaum zu vermitteln, dass sie Abstand zu Gleichaltrigen halten, in die Armbeuge niesen und das Sabbern unterlassen sollen.
Sie gelten deshalb unabhängig vom aktuellen Corona-Ausbruch als Keimschleudern. Bringt ein Kind einen Erreger in die Kita, haben ihn bald alle anderen auch und geben ihn wiederum an ihre Eltern und Geschwister weiter. Ob das beim neuen Coronavirus auch so ist, bleibt eine zusätzliche offene Frage.