Corona: Wie ansteckend sind Kinder? Christian Drosten legt neue Studien-Version vor

Virologe Christian Drosten
Michael Kappeler/ AFP
In einer überarbeiteten Fassung seiner Studie zur Infektiosität von Kindern in der Coronakrise hält das Forscherteam um den Berliner Virologen Christian Drosten an seiner grundlegenden Aussage fest. Es gebe keine Hinweise darauf, dass Kinder in Bezug auf Sars-CoV-2 nicht genauso ansteckend seien wie Erwachsene, heißt es in der aktualisierten Version der Studie.
Ein erster Entwurf der Untersuchung war Ende April veröffentlicht worden. Die Aussage bereits damals: Kinder tragen eine ebenso hohe Viruslast wie Erwachsene – und sind mithin vermutlich genauso ansteckend. Die Forscher hatten aufgrund dieser Ergebnisse vor einer uneingeschränkten Öffnung von Schulen und Kindergärten in Deutschland gewarnt.
Die ersten Studienergebnisse lud das Forschungsteam um Drosten auf einem sogenannten Preprint-Server hoch, sobald ihnen diese vorlagen. Normalerweise würden Wissenschaftler mit der Veröffentlichung warten, bis unabhängige Forscher die Ergebnisse begutachtet haben und sie in Fachmagazinen erscheinen können.
Doch in der Coronakrise werden Forschungsergebnisse möglichst schnell geteilt. Allein auf dem Wissenschaftsserver medRxiv werden pro Tag 50 Veröffentlichungen und mehr hochgeladen – und finden Beachtung. Auch bei anderen Forschern weltweit, die inzwischen als eine Art Schwarmintelligenz die Forschungsergebnisse prüfen. Dabei gibt es auch immer wieder Kritik. So auch an der Studie zur Infektiösität von Kindern.
So hatte das Forschungsteam um Drosten zunächst keine signifikanten Unterschiede bei der Virenlast von Erwachsenen und Kindern gefunden, obwohl einige statistische Auswertungen darauf hindeuteten, dass die Virenlast bei Kindergartenkindern im Mittelwert sogar bis zu 86 Prozent niedriger lag als bei Erwachsenen. Einige Forscher forderten, die vorläufigen Studienergebnisse zurückzuziehen.
Die Virenlast gibt an, wie viele Viren sich in der Probe eines Menschen befinden, und entscheidet mit darüber, wie ansteckend jemand wahrscheinlich ist. Die Idee: Wenn sich im Rachen eines Menschen besonders viele Viren tummeln, steigt die Chance, dass sie in den Körper eines anderen gelangen.
Die "Bild" hatte die wissenschaftliche Kritik an der Studie ausgegriffen, ohne mit den Forschern zu sprechen und damit einen Medienskandal ausgelöst. "Schulen und Kitas wegen falscher Corona-Studie dicht?", titelte die Zeitung. Schulen und Kitas waren in Deutschland allerdings schon ab dem 16. März geschlossen. Die erste Version der Studie erschien erst am 29. April. Zu der Zeit hatten einige Bundesländer erste Schulen bereits wieder geöffnet.
Die Wissenschaftler, die die Studie kritisiert hatten, distanzierten sich von der Berichterstattung der "Bild". "Ich will nicht Teil einer Kampagne sein", sagte Ökonom Jörg Stoye, der an der Cornell-Universität in Ithaca, USA, Statistik lehrt, dem SPIEGEL.
Drosten selbst hatte nach Bekanntwerden der Kritik eingeräumt, für die Studie relativ grobe statistische Methoden verwendet zu haben. Diese Statistik könne man "vollkommen zu Recht" kritisieren, so der Virologe, denn mit besseren Statistiktools hätte man möglicherweise auch andere Unterschiede gefunden.
Tatsächlich weisen die Forscher in der aktuellen Studie darauf hin, dass sich die Virenlast in einigen Fällen zwischen Kindern und Erwachsenen unterscheidet. Sie fanden demnach bei 29 Prozent der Grundschulkinder (0 bis 6 Jahre), bei 37 Prozent der Kinder zwischen 0 und 19 Jahren sowie bei 51 Prozent der über 20-Jährigen eine Virusmenge, die für eine Ansteckung wahrscheinlich ausreichend ist.
Die Unterschiede zwischen den Gruppen könnten jedoch auch auf unterschiedliche Anwendung der Tests zurückzuführen sein. "Wir schlussfolgern, dass ein erheblicher Anteil infizierter Personen aller Altersgruppen – auch unter denen mit keinen oder milden Symptomen – eine Viruslast trägt, die wahrscheinlich Infektiösität bedeutet." In der vorgestellten Überarbeitung hat das Team die Daten von insgesamt 3303 Sars-CoV-2-Infizierten analysiert.
"In der neuen Version der Studie werden die Kommentare, die es zur statistischen Analyse der ersten Fassung gab, aus meiner Sicht überzeugend eingearbeitet", teilte Christoph Rothe, Statistiker von der Universität Mannheim nach einer ersten Durchsicht der überarbeiteten Ergebnisse mit. Er gehörte zu den Forschern, die die statistischen Methoden in der ursprünglichen Analyse kritisiert hatten.
Der Statistiker Dominik Liebl von der Uni Bonn, der sich ebenfalls mit der ersten Version der Drosten-Studie auseinandergesetzt hatte, schreibt auf SPIEGEL-Anfrage: Der methodische Teil der statistischen Analyse in der neuen Version sei aus seiner Sicht deutlich verbessert worden. "Die Grundaussage der ersten Version des Preprints bleibt im Wesentlichen bestehen", so Liebl weiter. Die Autoren hätten mithilfe der Kritik aus der Wissenschaft ihren Preprint weiter verbessert. "Das Team Wissenschaft funktioniert also und dies ist vielleicht die einzige gute Nachricht in einer Geschichte, die keine hätte sein sollen."
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