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Corona-Warn-App: Welchen Nutzen hat die Anwendung?

June 17
07:16 2020
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Tracing-App im Einsatz: "Am besten funktioniert die App tatsächlich, wenn viele Leute mitmachen"

elenab/ Getty Images

Lange wurde auf sie gewartet, jetzt ist sie endlich da: In der vergangenen Nacht ging die offizielle Corona-Warn-App an den Start. Mit ihr soll es fortan möglich sein, Kontakte effektiv nachzuverfolgen und potenziell Infizierte frühzeitig zu informieren. Sobald sich ein Nutzer der Tracing-App als nachweislich infiziert meldet, werden andere Nutzer, die er getroffen hat, digital gewarnt.

Doch über die Sinnhaftigkeit des Projekts gibt es Diskussionen: Wie brauchbar ist die App tatsächlich, um das Infektionsgeschehen in einer Pandemie zu kontrollieren? Wissenschaftlich sei ihr Nutzen jedenfalls nicht erwiesen, sagte Eva Grill, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie. Gleichwohl sei sie "ein Fan der Idee und dafür, sie auszuprobieren".

Es ist vor allem eine Zahl, die von Skeptikern in diesen Tagen zitiert wird: Laut Modellrechnungen der Universität Oxford müssten angeblich rund 60 Prozent der Bevölkerung die App nutzen, damit ein Land das Infektionsgeschehen technisch beherrschen könne. In Deutschland wären das rund 50 Millionen Bürger. Das ist ein enorm hoher Wert, wenn man bedenkt, dass die Bereitschaft zur Nutzung der App in einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen zuletzt auf rund 40 Prozent gesunken ist. Hinzu kommt, dass ausgerechnet ältere Menschen, die zur Risikogruppe zählen, seltener Smartphones nutzen.

App wirkt auch bei geringer Beteiligung

Aber wie belastbar ist der Wert von 60 Prozent wirklich? Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte auf einer Pressekonferenz zum Start der App, diese Zahl basiere auf der Annahme, dass es keine anderen Maßnahmen wie die Maskenpflicht oder eine Abstandsregelung gebe: "Diese Studie ging davon aus, wir haben nur die App und sonst gar nichts", so der Minister. "Deswegen muss man diese 60 Prozent aus der Welt schaffen."

Die britischen Forscher weisen selbst darauf hin, dass ihre erste Simulation aus einer Zeit stamme, als Großbritannien noch das Ziel einer Herdenimmunität verfolgt und Schutzmaßnahmen auf ein Minimum begrenzt habe. "Am besten funktioniert die App tatsächlich, wenn viele Leute mitmachen, aber die App ist schon mit weit weniger als 60 Prozent nützlich", sagte die Immunologin und Ko-Autorin der Studie, Lucie Abeler-Dörner, dem SPIEGEL. Aus den Modellen gehe klar hervor, dass bereits dann Infektionsketten unterbrochen werden könnten, wenn nur 15 Prozent der Bevölkerung die App nutzten.

Gerade in Deutschland sei die App Teil eines Gesamtprogramms und könne daher schon bei deutlich geringerer Nutzung Infektionen verhindern, so Abeler-Dörner. Hinzu komme, dass der Effekt der App sehr lokal sei: "Eine hohe App-Nutzung in einer Stadt, einem Dorf, einem Sportverein, einem Viertel kann die Mitglieder effektiv schützen, ohne dass es dabei auf die Nutzung in anderen Teilen des Landes ankommt."

Keine Entlastung für Gesundheitsämter erwartet

Wie stark die Wirkung der App deutschlandweit ist, hängt auch davon ab, wie sehr andere Schutzmaßnahmen bestehen bleiben und befolgt werden. Der Erfolg könnte sich an der sogenannten Reproduktionszahl R messen lassen. Sie gibt an, wie viele Menschen ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt. Liegt der R-Wert unter 1, dann geht das Infektionsgeschehen zurück – liegt er darüber, dann steigt die Zahl der Neuinfektionen.

Ohne andere Schutzmaßnahmen würde die App laut dem britischen Modell den R-Wert bei 60 Prozent Nutzung um etwa 0,3 senken, bei 40 Prozent Nutzung um etwa 0,2 und bei 20 Prozent Nutzung um etwa 0,08. Was nach äußerst kleinen Veränderungen klingt, könnte am Ende den Ausschlag dafür geben, ob die Zahl der Neuinfektionen wieder steigt und die Pandemie erneut an Fahrt gewinnt – oder eben nicht.

Dass die App allerdings die Arbeit der Gesundheitsämter überflüssig machen könnte, davon gehen die Experten nicht aus. Die regionalen Behörden sind bislang dafür zuständig, Menschen ausfindig zu machen, die Infizierte getroffen haben, sowie Tests und Quarantänen zu organisieren. "Die Rolle des Kontaktpersonenmanagements durch den Öffentlichen Gesundheitsdienst wird wichtig bleiben, vielleicht durch diese App sogar steigen", sagte der Epidemiologe Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig dem SPIEGEL. Je zielgerichteter getestet wird, desto mehr Fälle könnten entdeckt werden, die einer weiteren Nachverfolgung und Beurteilung bedürfen.

Icon: Der Spiegel

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