Corona und Versicherungen: Die Wut der Gastronomen
Unter Deutschlands Gastronomen wächst der Unmut gegenüber den Versicherungskonzernen, die die Schäden der Coronakrise nicht voll begleichen wollen. Viele Hotel- und Restaurantbetreiber wollen nun klagen.
Im Streit zwischen Corona-geschädigten Hotel- und Gastronomiebetrieben mit den Versicherungskonzernen bahnt sich eine Klagewelle gegen die Konzerne an.
Konkret geht es um sogenannte Betriebsschließungsversicherungen, mit denen sich Firmen gegen die Kosten einer behördlichen Schließung ihres Betriebes absichern können. Der Branchenverband Dehoga schätzt, dass 25.000 bis 40.000 Betriebe des Gastgewerbes solche Versicherungen abgeschlossen haben. "Einige Hundert davon dürften klagebereit sein", schätzt Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges.
Ab Mitte März hatten die Bundesländer nach und nach verordnet, dass Gastronomiebetriebe mit wenigen Ausnahmen geschlossen werden müssen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Durch die Absage des Münchner Oktoberfestes in dieser Woche hat sich die Lage der Wirte insbesondere in der bayerischen Landeshauptstadt noch einmal verschärft.
Zwar hatten sich das bayerische Wirtschaftsministerium, der Hotel- und Gaststättenverband Bayern und die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft mit einigen Versicherern Anfang April auf einen Kompromiss geeinigt. Demnach wollen die Konzerne bis zu 15 Prozent des Schadens übernehmen, der Betrieben durch die Schließung infolge der Coronakrise entstanden ist. Etwa 70 Prozent der Schäden, so die Annahme, würden den Gastronomen durch staatliche Hilfen wie Kurzarbeitergeld erstattet. Bislang haben die Versicherungskammer Bayern, die Allianz, die Haftpflichtkasse Darmstadt, die Nürnberger Versicherung, der HDI und Signal Iduna erklärt, etwaige Ansprüche auf Basis des Münchner Kompromisses regeln zu wollen.
Der Dehoga Bundesverband verweist aber nun darauf, dass die Vereinbarung "keine bundesweite Relevanz" besitze und empfiehlt allen versicherten Betrieben, eine Schadensanzeige an die Versicherer zu richten, um mögliche Ansprüche zu wahren. In einem aktuellen Schreiben an seine Mitglieder bezeichnet der Verband die bayerische Lösung als eine "politische Erklärung". Es handle sich "somit um eine Art Untergrenze für die beteiligten Versicherer, da diese nicht mehr von der von ihnen selbst abgegebenen Absichtserklärung abweichen können".
Dem SPIEGEL liegt ein Gutachten des früheren Vorsitzenden Richters am Münchner Oberlandesgericht, Walter Seitz, vor. Es kommt zu dem Schluss, "dass der Anspruch auf Zahlung der Versicherungssumme bei Betriebsschließungsversicherungen wegen der Untersagung der Öffnung von Gaststätten grundsätzlich uneingeschränkt besteht". Demnach wären also deutlich höhere Versicherungszahlungen fällig.
Deal zulasten der Gastronomen?
Bisher geht die Branche sehr unterschiedlich mit dem Problem um. Während einige Versicherer Schäden durchaus begleichen, ziehen sich andere darauf zurück, dass das Coronavirus in den Betriebsschließungspolicen nicht explizit erwähnt sei. Viele dieser Policen enthalten Listen von Erkrankungen, die abgedeckt sind. Gutachter Seitz vertritt jedoch die Ansicht, derartige Listen seien oft nur als Beispiele anzusehen und enthielten keine hinreichenden Klauseln über den Ausschluss einzelner Krankheiten und Erreger.
Seitz stellt den bayerischen Kompromiss infrage. Eine Anrechnung der Vorteile aus der Kurzarbeitszeitregelung auf die Versicherungsleistung sei "klar abzulehnen". So sieht es auch der Anwalt Ernst Testroet, der den Münchner Augustiner-Wirt Christian Vogler in einer Auseinandersetzung mit der Bayerischen Versicherungskammer vertritt. "Die Versicherungsbranche hat mit freundlicher Unterstützung des bayerischen Wirtschaftsministeriums einen Deal auf Kosten der Gastronomen und Hoteliers gemacht", sagt Testroet.
Auch die Allianz zieht sich mittlerweile nach SPIEGEL-Informationen in den meisten Fällen auf die Regelungen des bayerischen Vergleichs zurück. So lehnt der Konzern es ab, mehr als 15 Prozent des Schadens zu tragen, der Thomas Weiand, dem Gastronomen des Restaurants Reinhard's am Berliner Ku'damm, entstanden ist. Weiand beruft sich darauf, dass seine Police auf meldepflichtige Krankheiten im Sinne des Infektionsschutzgesetzes abstelle, dazu zähle Corona seit dem 1. Februar.
"Fragwürdige Argumente"
Allianz-Chef Oliver Bäte hatte Anfang April im Interview mit dem SPIEGEL erklärt, die Allianz werde bezahlen, "wenn wir Pandemiedeckung angeboten haben." Das gelte auch bei Unklarheiten, wenn ein neutraler Dritter sage, es ist versichert. Gutachter Seitz erklärt nun, die Geschäftsbedingungen einiger Versicherungsunternehmen seien nicht eindeutig, "weshalb die kundenfreundlichere Auffassung anzuwenden ist". Auch der Bundesgerichtshof hat in mehreren Fällen geurteilt, dass Zweifel bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen zulasten des Versicherers gehen.
Die Allianz hat in der Vergangenheit unterschiedliche Typen von Betriebsschließungsversicherungen verkauft. Der Versicherer erklärt auf Anfrage, wenn ein Betrieb einen Vertrag mit einer "individuellen Klausel" abgeschlossen habe und neben der Vollschließung auch eine Teilschließung eingeschlossen sei, dann sei das Coronavirus mitversichert. In der Regel sei dies bei Krankenhäusern der Fall. Solche individuellen Klauseln können beispielsweise darauf abzielen, alle nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheiten zu umfassen.
Laut Allianz habe aber der überwiegende Teil der Kunden aus dem Hotel- und Gastronomiebereich standardisierte Verträge ohne individuelle Klausel. Für diese bestehe kein Versicherungsschutz gegen Corona.
Die wichtigsten Gründe seien, dass die Schließung der Betriebe aus "generalpräventiven Gründen" erfolge und nicht, weil von ihnen eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit anderer ausgehe, und dass Covid-19 "ein neuer Krankheitserreger" sei, der nicht unter die versicherten meldepflichtigen Krankheiten der Betriebsschließungsversicherung falle. Auch müssten ja nicht alle Betriebe vollständig schließen. Diesen Gastronomiebetrieben biete man daher nun freiwillig bundesweit die bayerische Lösung an, erste Auszahlungen seien bereits erfolgt.
Versicherungsanwälte bezweifeln, dass die Vertragslage so eindeutig ist, wie von der Allianz dargestellt. Der Berliner Rechtsanwalt Tobias Strübing zählt den Münchner Konzern zu einer Reihe von Versicherern, die schlecht formulierte Betriebsschließungspolicen verkauft hätten. In deren Versicherungsbedingungen seien Pandemien nicht ausgeschlossen. Gleichwohl lehnten diese Versicherer jetzt "mit fragwürdigen Argumenten die Versicherungsleistung ab", bei Kunden, die jahrelang Beiträge gezahlt, keine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen hätten und daher finanziell kaum in der Lage seien, sich gegen das Gebaren der Assekuranz juristisch zu wehren. "Gerade diese Versicherer haben jetzt mit der Dehoga Bayern einen fragwürdigen Vergleich geschlossen, der für viele Gastronomen nachteilig sein dürfte", sagt Strübing. Die Allianz weist diesen Vorwurf zurück.