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Corona: Studien wecken Zweifel an Zuverlässigkeit von Antikörpertests und Immunitätspässen

June 23
02:44 2020
Die Y-förmigen Antikörper binden an Oberflächen-Proteine des Virus und machen es dadurch unschädlich Icon: vergrößern

Die Y-förmigen Antikörper binden an Oberflächen-Proteine des Virus und machen es dadurch unschädlich

koto_feja/ iStockphoto/ Getty Images

Die immensen Fortschritte in der Medizin lassen uns gelegentlich vergessen, was wir alles nicht wissen. So versuchen Forscher weltweit, die Immunantwort des Körpers auf Viren wie Sars-CoV-2 im Detail zu entschlüsseln. Denn ließe sich die Abwehrreaktion gegen das Coronavirus künstlich erzeugen, könnten Erkrankte schneller wieder gesund werden, womöglich ließe sich eine Infektion sogar ganz verhindern. (Mehr dazu lesen Sie hier.)

Im Grundsatz reagiert der Körper immer gleich, wenn aggressive Fremdkörper in ihn eindringen: Das Immunsystem bringt schnell Abwehrstoffe in Stellung. Diese Antikörper docken an die Krankmacher an und schalten sie dadurch aus. Dank dieser körpereigenen Abwehr verlaufen die meisten Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 mit nur milden oder sogar gar keinen Symptomen.

Je nach dem Verlauf der Infektion reagiert der Körper mit verschiedenen Antikörpern. Den Anfang machen sogenannte IgM-Antikörper, die meist mehrere Erreger angreifen können, aber dadurch in vielen Fällen auch weniger ausrichten. Danach folgen IgA-Antikörper und schließlich die IgG-Antikörper, die einen bestimmten Erreger gezielt angreifen und auch noch über längere Zeit hinweg aktiv sind. Allerdings lassen sie sich erst Wochen nach der Infektion zuverlässig nachweisen.

Nicht jeder entwickelt spezifische Antikörper

Laut vorläufigen Studienergebnissen von Forschern des Universitätsspitals Zürich könnte die Immunantwort mit darüber entscheiden, wie schwer eine Covid-19-Erkrankung verläuft. Für die Studie hatten die Wissenschaftler mehr als 160 Menschen untersucht, die mit dem Coronavirus in Kontakt gekommen waren und daraufhin schwere, leichte oder gar keine Symptome entwickelten.

Bei milden oder asymptomatischen Verläufen ließ sich die erste Riege der körpereigenen Abwehrzellen, die IgA-Antikörper in der Tränenflüssigkeit oder in der Nasenschleimhaut nachweisen. Allerdings fanden sich keine Langzeit-IgG-Antikörper im Blutserum.

Eine mögliche Erklärung: IgA-Antikörper, die in Schleimhäuten möglichen Eindringlingen auflauern, konnten das Virus bereits erfolgreich abwehren, bevor es sich im ganzen Körper ausbreitete. Dadurch war das Immunsystem nicht gezwungen, härtere Geschütze aufzufahren, um den Erreger loszuwerden wie Fieber oder Husten. Die Fälle verliefen mild oder ganz ohne Symptome. Im Gegenzug stieg jedoch auch nicht die Konzentration der Langzeit-Antikörper im Blut.

Auch erste Studienergebnisse aus Lübeck sprechen dafür, dass längst nicht alle Patienten mit milden Symptomen Antikörper bilden. So konnten bei 30 Prozent von 110 Infizierten mit milden oder gar keinen Symptomen keine Antikörper nachgewiesen werden, die sicher auf eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus hindeuten.

Ob die Betroffenen trotzdem von einer erneuten Infektion geschützt sind, ist unklar. Einerseits war ihr Körper bereits in der Lage, das Virus auch ohne Langzeit-Antikörper abzuwehren. Das spricht dafür, dass die IgA-Antikörper, die sich vor allem in den Schleimhäuten von Jüngeren tummeln, einen gewissen Schutz bieten.

Allerdings weisen andere Studien darauf hin, dass auch die Anzahl der Viren, mit denen jemand in Kontakt kommt, über den weiteren Verlauf der Infektion mitbestimmt. Bekommt jemand besonders viele Viren ab, beispielsweise weil ihm jemand im Fahrstuhl direkt ins Gesicht niest, steigt die Gefahr für eine schwere Erkrankung.

Experten gehen dennoch davon aus, dass auch bei asymptomatischen Verläufen für eine gewisse Zeit Immunität besteht. Tatsächlich wurden bei anderen Analysen auch bei asymptomatisch Infizierten IgG-Antikörper im Blut nachgewiesen, die auf eine mögliche Immunität hinweisen. Allerdings sank ihre Konzentrationen innerhalb von zwei bis drei Monaten nach der Infektion wieder, berichteten chinesische Forscher jüngst im Fachblatt "Nature Medicine". Das galt auch für Patienten mit schweren Symptomen.

Ob das bedeutet, dass sich die Betroffenen nach wenigen Monaten erneut anstecken können, ist jedoch unklar. Wahrscheinlich spielen bei der Abwehr auch andere Mechanismen des Immunsystems eine Rolle, die einen einmal erkannten Erreger abwehren könnten. Zudem basierten die Studienergebnisse nur auf den Daten von 74 Patienten.

Wie aussagekräftig sind Antikörpertests und Immunitätsausweise?

Bisher ist kein Fall bekannt, bei dem sich ein nachweislich an Covid-19-Erkrankter nur wenige Monate nach der Infektion erneut mit dem Coronavirus angesteckt hätte. Denn Gedächtniszellen des Immunsystems können sich offenbar daran erinnern, wie sich das Virus im Falle einer zweiten Infektion abwehren lässt.

Allerdings stellen die Analysen die Zuverlässigkeit von Antikörpertests infrage. In Deutschland sind mehrere Antikörper-Massentests geplant, um die Dunkelziffer bei den Infektionen aufzudecken. Sollte sich jedoch bestätigen, dass längst nicht alle Infizierten die gesuchten Antikörper bilden oder dass die Anzahl der Antikörper innerhalb weniger Monate so niedrig ist, dass sie sich nicht mehr nachweisen lassen, könnten solche Tests nicht alle Infizierten zuverlässig im Nachhinein aufspüren.

Das könnte auch bedeuten, dass Immunitätspässe, die Gesundheitsminister Jens Spahn ins Spiel gebracht hatte, wenig aussagekräftig wären. Deren Idee: Jeder, der einen positiven Antikörper-Nachweis vorzeigen kann, darf sich größere Freiheiten erlauben, weil er wahrscheinlich niemanden mehr anstecken kann.

Die Analysen aus der Schweiz, Deutschland und China legen jedoch nahe, dass längst nicht bei jedem die Antikörper im Blut schwimmen, auf die die Tests anspringen. Selbst, wenn die Betroffenen eine Infektion mit dem Coronavirus bereits durchgemacht haben. "Zusammengenommen zeigen unsere Daten mit welchem Risiko die Benutzung solcher Immunitätsausweise einhergehen", schreiben die Forscher in der "Nature Medicine"-Studie. "Das spricht für die Notwendigkeit, Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu verlängern, wie soziale Distanz, die Isolierung von Risikogruppen und weit verbreitete Tests."

Icon: Der Spiegel

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