Corona-Krise: Deutsche sind für medizinische Hilfen, aber gegen Corona-Bonds

Solidaritätsaktion vor der italienischen Botschaft in Berlin: Begrenzte Bereitschaft zur Umverteilung
Bernd von Jutrczenka/ DPA
Was gut für Europa ist, ist auch gut für Deutschland: Diese Devise hat Bundeskanzlerin Angela Merkel zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft ausgegeben, die am Mittwoch beginnt. Der Solidaritätsappell steht ganz im Zeichen der Coronakrise. Die hat Länder wie Italien und Spanien hart getroffen, weshalb ihnen nun mit einem Wiederaufbaufonds in dreistelliger Milliardenhöhe geholfen werden soll.
Merkels Appell trifft zumindest teilweise auf offene Ohren. In Deutschland ist die Hilfsbereitschaft gegenüber anderen EU-Ländern groß, wenn es um medizinische Unterstützung geht. Sie lässt aber deutlich nach, wenn nach finanziellen Hilfen oder gar einer gemeinsamen Verschuldung gefragt wird. Das zeigt eine noch unveröffentlichte Studie mit dem Titel "Betten oder Bonds?", die dem SPIEGEL vorliegt. Sie beruht auf einer deutschlandweiten Befragung von 4800 Menschen durch den Exzellenzcluster "The Politics of Inequality" an der Uni Konstanz, der mit dem Thinktank Das Progressive Zentrum kooperiert.
Die Forscher fragten, mit welchen Mitteln Deutschland anderen EU-Ländern helfen sollte, die stark von der Coronakrise betroffen sind. Die Antworten auf einer Skala von eins bis sieben wurden dann in drei Gruppen nach Zustimmung, Unentschlossenheit oder Ablehnung unterteilt.
Das Ergebnis: Fast 70 Prozent der Befragten sind dafür, mit Beatmungsgeräten zu helfen, knapp zwei von drei Befragten befürworten die Lieferung von Schutzmasken. Eine Unterstützung über finanzielle Hilfen unterstützen dagegen nur 44 Prozent. Für eine gemeinsame Schuldenaufnahme und Haftung über sogenannte Corona-Bonds kann sich sogar nur gut ein Viertel der Befragten erwärmen.
"Während die Bereitschaft zu medizinischer Solidarität hoch ist, zeigt sich nur eine begrenzte Bereitschaft zur Unterstützung finanzieller Umverteilungsmaßnahmen", schreiben die Autoren Sebastian Koos und Dirk Leuffen von der Uni Konstanz. Ähnliche Ergebnisse habe es in der Eurokrise gegeben. Schon damals wurde über eine gemeinsame Schuldenaufnahme mittels sogenannter Eurobonds diskutiert. Die Bundesregierung lehnte solche gemeinsamen Anleihen aber lange entschieden ab und pochte auf die finanzielle Eigenverantwortung der Mitgliedsländer.
Angesichts der Coronakrise wurde diese Position gelockert. Deutschland unterstützt nun, gemeinsam mit Frankreich und ähnlich wie die EU-Kommission, eine begrenzte gemeinsame Schuldenaufnahme sowie direkte Transfers an Länder, die besonders von Corona betroffen sind. Ein zentrales Argument dabei: Im Vergleich zur Eurokrise hatten einzelne Staaten kaum Einfluss darauf, wie stark sie die Pandemie trifft.
Die Argumentation ist prinzipiell Erfolg versprechend. Laut einer Studie von 2018 in 13 europäischen Ländern verdoppelt sich die Hilfsbereitschaft von unter 40 Prozent bei Auftreten einer Schuldenkrise auf fast 80 Prozent im Falle einer Naturkatastrophe. Die Pandemie verbinde allerdings "eine medizinische mit einer ökonomischen Notlage", schreiben die Konstanzer Wissenschaftler.
Auch die Risikogruppe ist für medizinische Hilfe
Offensichtlich ist die Solidarität angesichts der medizinischen Corona-Folgen deutlich ausgeprägter. Sie bleibt selbst dann hoch, wenn die Befragten selbst zu einer Covid-19-Risikogruppe gehören oder erhebliche gesundheitliche Probleme haben. Zudem zeigt sich hier laut Studie "fast über alle Parteigrenzen hinweg" eine hohe Unterstützungsbereitschaft.
Bei Finanzhilfen spielt die politische Orientierung eine größere Rolle: Klar unterstützen diese Wähler der Grünen (62 Prozent), SPD (58 Prozent) und Linken (57 Prozent), bei der Union ist mehr als jeder Zweite dafür (53 Prozent). Eindeutig in der Minderheit waren die Befürworter hingegen bei der FDP (29 Prozent) und besonders der AfD (18 Prozent). Die Zustimmung steigt zudem mit dem Einkommen. Das könnte damit zusammenhängen, dass sich Gutverdiener eher als Profiteure der EU wahrnehmen. Bei Befragten, die in der Coronakrise selbst Einkommensverluste hinnehmen mussten, fiel die Unterstützung transnationaler Hilfszahlungen um rund zehn Prozentpunkte niedriger aus.
Brisant sind die Umfrageergebnisse nicht nur mit Blick auf Deutschland, wo die Bundesregierung um Zustimmung für ihre Krisenpolitik werben muss. Über den europäischen Rettungsfonds schwelt auch nach wie vor ein Konflikt mit den sogenannten Sparsamen Vier – Österreich, den Niederlanden, Schweden und Dänemark. Sie lehnen direkte Transfers ab und plädieren stattdessen für Kredite.
"Gerade bei den 'sparsamen Vier' dürfte die Bevölkerung eine ähnliche Rolle wie in Deutschland spielen", heißt es in der Studie. "Dies birgt die Gefahr einer fortgesetzten festgefahrenen Verhandlungssituation um den finanziellen Mehrjahresplan der EU." Eine politische Lehre der Ergebnisse laute: "Umverteilungsmaßnahmen müssen gut begründet werden."
Konzentriere sich die Debatte allein auf Kosten, so reduziere dies die Hilfsbereitschaft, schreiben die Forscher. Auch die mittel- und langfristigen Interessen der Geberseite an den Hilfen sollten thematisiert werden. Wichtig sei außerdem, dass die aktuellen Krisen in südlichen EU-Ländern durch die Austeritätspolitik nach der Eurokrise verschärft wurden.
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