Corona in Berlin, Göttingen, Magdeburg: Müssen bald die nächsten Hotspots in den Lockdown?

In Göttingen steht erneut ein Hochhaus unter Quarantäne
Swen Pförtner/ DPA
Lange war die Corona-Deutschlandkarte unaufgeregt grau. Doch nun tauchen die ersten roten Flecken auf. Die Karte zeigt an, welche Landkreise an der entscheidenden Marke von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen kratzen. Ab diesem Wert, so haben sich Bund und Länder geeinigt, müssen erneute Beschränkungen in Erwägung gezogen werden, wie sie nun in den Kreisen Gütersloh und Warendorf gelten.
Der erneute Lockdown könnte auch anderen Regionen bevorstehen – jedenfalls wenn man ihn so nennen möchte, immerhin waren die Maßnahmen in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern moderat und auch jetzt gelten in Gütersloh und Warendorf keine Ausgangssperren. Der Landkreis Göttingen meldete dem Robert Koch-Institut (RKI) zuletzt 46 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Da einige Tage vergehen, bis die gemeldeten Fälle der einzelnen Gesundheitsämter auch in der RKI-Statistik auftauchen, dürfte die Zahl weiter steigen.
Schon am Montag hatte der Kreis Göttingen eingeräumt, dass der "50er-Alarmwert" überschritten ist. Aktuell sind 268 Menschen in dem Kreis nachweislich infiziert. Wie in Gütersloh unterstützt die Bundeswehr nun auch die Gesundheitsämter in Göttingen bei der Eindämmung der Ausbrüche.
Einen Lockdown soll es im Kreis Göttingen trotzdem nicht geben. "Der aktuelle Corona-Ausbruch ist auf den Wohnkomplex am Rand der Innenstadt beschränkt und unter Kontrolle. Alle notwendigen Maßnahmen sind ergriffen", sagte Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler am Montagabend.
"Die vor-Test Quarantäne ist eine sehr gute Entscheidung"
Allerdings sollte es auch in Gütersloh zunächst keinen Lockdown geben – mit derselben Begründung. Der Ausbruch sei auf die Fleischfabrik Tönnies beschränkt, argumentierte Ministerpräsident Armin Laschet noch vor wenigen Tagen.
An dieser Einschätzung habe sich auch grundlegend nichts verändert, sagte der CDU-Politiker, als er am Dienstag umschwenkte und doch noch weitreichende Beschränkungen ankündigte. Der erneute Lockdown sei eine reine Vorsichtsmaßnahme, Massentests in den kommenden Tagen sollen zeigen, ob sich das Virus womöglich unbemerkt verbreitet hat.
Die Entscheidung dürfte Laschet schwergefallen sein. Noch vor wenigen Wochen gehörte er zu den Ministerpräsidenten, die auf eine möglichst rasche Wiederöffnung setzten. Auch wenn Angela Merkel keine Namen nannte, dürfte die Botschaft auch an Laschet gegangen sein, als sie Ende April warnte, die Lockerungen seien in "Teilen sehr forsch, um nicht zu sagen: zu forsch".
Dass Laschet nun als erster Ministerpräsident einen erneuten Lockdown verhängt, obwohl in NRW am Wochenende die Sommerferien beginnen und schon mehrere Bundesländer deutlich gemacht haben, dass sie keine Urlauber aus Gütersloh oder Warendorf wollen, ist jedoch nur konsequent.
"Angesichts eines Problems dieser Größenordnung wird wieder einmal klar, welche Aufgaben vor der Politik und den Gesundheitsbehörden liegen", twittere Virologe Christian Drosten nach der Entscheidung. "Die vor-Test Quarantäne ist eine sehr gute Entscheidung!"
In den kommenden Tagen könnten noch deutlich mehr orange und rote Flecken auf der Corona-Landkarte auftauchen:
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In Berlin ist eine der drei Corona-Ampeln erneut auf Rot gesprungen, weil der R-Faktor mit aktuell 1,96 zum dritten Tag in Folge höher als bei 1,2 liegt. Die Hauptstadt meldete jüngst 802 aktive Corona-Fälle – so viele wie seit dem 1. Mai nicht mehr. Mehrere Stadtteile sind betroffen, darunter Marzahn-Hellersdorf, Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg. Trotzdem sollen die Kontaktbeschränkungen ab Samstag fallen.
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In Magdeburg ist etwa die Hälfte aller bekannten Corona-Fälle allein innerhalb den vergangenen zwei Wochen gemeldet worden. Mehrere Schulen wurden geschlossen, 19 Wohnblöcke stehen unter Quarantäne, etwa 800 Menschen sind betroffen.
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Im Landkreis Oldenburg sind derweil Massentests geplant, nachdem Corona-Tests bei 23 Mitarbeitern in einem Wiesenhof Puten-Schlachtbetrieb positiv ausgefallen waren. Nun sollen alle 1100 Mitarbeiter getestet werden. Es wäre nicht der erste Ausbruch in einem Schlachtbetrieb. (Warum das Virus dort offenbar so leichtes Spiel hat, lesen Sie hier.)
Die lokalen Ausbrüche haben den Reproduktionsfaktor in die Höhe getrieben. Der Wert schwankt laut RKI derzeit um zwei – das heißt, statistisch gesehen, steckt jeder Infizierte zwei weitere Menschen an. Eigentlich sollte der Wert dauerhaft auf unter eins gedrückt werden, damit die Pandemie zurückgeht.
Weil für den Rest Deutschlands jedoch nur wenige Fälle gemeldet wurden – allein bei Tönnies gab es mehr als doppelt so viele Neuinfektionen wie sonst für ganz Deutschland pro Tag dokumentiert wurden – hat der R-Wert an Aussagekraft verloren. (Mehr dazu lesen Sie hier.)
"Wenn man es diesem Virus zu leicht macht, dann breitet es sich auch ganz schnell wieder aus"
Was bedeutet das für das Pandemie in ganz Deutschland? Laut RKI müsse man prinzipiell überall von einer zweiten Welle ausgehen, auch in Deutschland. "Ich bin aber optimistisch, dass wir die zweite Welle verhindern können", sagte RKI-Chef Lothar Wieler zuletzt bei einer Pressekonferenz am Dienstag. Man wüsste ja inzwischen, wie man das Virus auch ohne Impfstoff eindämmen kann. 137 Landkreise in Deutschland haben in den vergangenen sieben Tagen keinen einzigen Fall gemeldet.
Wie rasant sich das Coronavirus ausbreiten kann, erlebten vorherige Corona-Hotspots wie Heinsberg. Dort hatte eine Karnevalsfeier die Pandemie befeuert. Inzwischen sind die Behörden wachsamer. Potenzielle Superspreader-Events wie Großveranstaltungen sind noch bis mindestens Ende Oktober verboten.
Die aktuellen Ausbrüche in mehreren Regionen sind also mit dem damaligen Geschehen nur sehr eingeschränkt vergleichbar. Sie beweisen jedoch, dass das Virus nicht verschwunden ist. Und Hochhäuser und Fleischfabriken gibt es in ganz Deutschland. Die Ansteckungen in dem Wohnkomplex in Berlin-Neukölln waren wahrscheinlich nur aufgefallen, weil zwei Schüler positiv getestet worden waren, die zwar nicht auf dieselben Schulen gingen, aber genau in dem Wohnkomplex wohnten, der später unter Quarantäne gestellt wurde.
Umso wichtiger sind umfangreiche Tests, um lokale Ausbrüche schnellstmöglich zu erkennen und eindämmen zu können. "Wenn man es diesem Virus zu leicht macht", sagte Gesundheitsminister Jens Spahn am Mittwoch im ARD-"Morgenmagazin", "dann breitet es sich auch ganz schnell wieder aus."
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