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Corona: Ethiker ringen um Bewertung von Immunitätspässen

July 08
22:46 2020
Steffen Augsberg ist Mitglied des Deutschen Ethikrats und Professor für Öffentliches Recht in Gießen Icon: vergrößern

Steffen Augsberg ist Mitglied des Deutschen Ethikrats und Professor für Öffentliches Recht in Gießen

Foto: Reiner Zensen/ Deutscher Ethikrat

Wer immun gegen das Corona-Virus ist, kann andere nicht mehr anstecken. Abstandregeln oder Masken wären für die Betroffenen obsolet. Gesundheitsminister Jens Spahn hat deshalb schon vor Wochen Immunitätspässe ins Spiel gebracht.

Sie sollen nicht nur zeigen, wer Antikörper gegen das neue Coronavirus besitzt, sondern auch gegen andere ansteckende Krankheiten. Dadurch, so die Hoffnung des CDU-Politikers, könnten Besitzer der Ausweise insbesondere Tätigkeiten im Gesundheitswesen leichter nachgehen.

Im Moment ruhen die Pläne, bis der Deutsche Ethikrat über die Immunitätspässe entschieden hat. Spahn persönlich hatte die Experten um eine Einschätzung gebeten. Doch diese bewerten die Pläne öffenbar kritischer als zunächst gedacht.

Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass der Ethikrat bis Anfang Juli längst eine Entscheidung gefällt habe, berichtete Steffen Augsberg, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Gießen, vergangene Woche in einem Seminar des Nuffield Council on Bioethics – einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in London. Der Beitrag ist online abrufbar.

Persönliche Eindrücke geschildert

Augsberg ist einer der 26 Experten, die über die Immunitätspässe beraten und eigentlich zur Verschwiegenheit über interne Diskussionen verpflichtet sind. "Meine Aussagen erfolgten im Rahmen eines internationalen Gedankenaustausches", sagte Augsberg dem SPIEGEL. Er habe lediglich seine persönlichen Eindrücke geschildert und betont, dass diese nicht repräsentativ für den gesamten Ethikrat seien.

Dass es in dem Gremium Diskussionen um die Immunitätspässe gibt, ist kein Geheimnis. Ende Juni teilte der Deutsche Ethikrat über Twitter mit, der Stellungnahme mehr Zeit zu widmen. "Dies ist als Wertung der Komplexität der Lage zu verstehen, die intensivere und umfänglichere Abwägungen verlangt", hieß es in dem Post. Wann die Stellungnahme kommt, ist deshalb unklar. Augsberg ist optimistisch, dass es noch im Sommer so weit sein wird.

In seinem rund zehnminütigen Redebeitrag in dem Seminar berichtet Augsberg über die überraschend zähen Verhandlungen. Auch das Redaktionsnetzwerk Deutschland hatte darüber berichtet.

Wacklige Evidenz zur Corona-Immunität

Einer der entscheidenden Knackpunkte in den Diskussionen: Noch ist wissenschaftlich überhaupt nicht klar, ob eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus in jedem Fall zu einer Immunität führt und wie lange diese anhält. Selbst an der Nachweisbarkeit gibt es Zweifel. So deuten Studien darauf hin, dass längst nicht alle Menschen, die sich sicher infiziert haben, auch Antikörper entwickeln, auf die Corona-Tests anspringen.

Und selbst wenn alle wissenschaftlichen Unwägbarkeiten aus dem Weg geräumt wären, blieben noch moralische Bedenken. Kritiker fürchten eine Zwei-Klassen-Gesellschaft aus Immunen, die ihr Leben ganz normal wieder aufnehmen könnten und denen, die sich weiterhin an Corona-Beschränkungen halten müssen. Einige sehen gar die Gefahr, dass die Immunitätspässe so begehrt werden könnten, dass sich Menschen absichtlich bei Corona-Partys infizieren.

Aus den Äußerungen Augsbergs lässt sich schließen, dass die Mehrheit im Ethikrat Immunitätspässe skeptisch bewertet. Im Gespräch sei derzeit ein Kompromiss, der solche Ausweise nur für Menschen vorsieht, die engen Kontakt mit Risikogruppen haben, so der Rechtswissenschaftler.

Viele kritische Stimmen

Augsberg sagte in dem Seminar, er halte sich für die am wenigsten Immunitätspass-kritische Stimme im Ethikrat. Er glaube, dass solche Ausweise, zumindest mittel- bis langfristig, Freiheiten zurückgeben könnten. Das deutet darauf hin, dass die Entscheidung des Ethikrates nicht einstimmig ausfallen wird.

Das Expertengremium muss aber auch nicht einstimmig entscheiden. Sollte sich die Mehrheit tatsächlich gegen Immunitätspässe aussprechen, könnte sich Augsberg ihr in einem Minderheitsvotum anschließen. Er selbst bringt diese Option in seinem Vortrag ins Spiel.

Das dürfte jedoch nicht die Entscheidung sein, auf die Gesundheitsminister Spahn hofft.

Icon: Der Spiegel

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