Corona-Debatte im Bundestag: Ende der Einigkeit
Forsche Corona-Rede der Kanzlerin im Bundestag: Angela Merkel warnt und tadelt die Ministerpräsidenten. Und FDP-Chef Lindner beendet mit einem harten Aufschlag die Phase der parteiübergreifenden Harmonie.
Es ist eine Premiere, das allein ist schon bemerkenswert. Zum ersten Mal in diesen außergewöhnlichen Zeiten erklärt die Kanzlerin an diesem Donnerstag im Bundestag ihre Corona-Krisenpolitik. Dabei wütet die Pandemie ja nun schon eine ganze Weile, lebt die ganze Welt im Ausnahmezustand.
Vor rund vier Wochen aber, als das Parlament die ersten, milliardenschweren Hilfspakete verabschiedete, da musste Angela Merkel zu Hause bleiben, in Quarantäne, weil ein sie behandelnder Arzt sich mit dem Coronavirus angesteckt hatte.
Nun ist die Regierungschefin da, Merkel scherzt mit Vizekanzler Olaf Scholz (SPD), der sie beim letzten Mal im Bundestag noch vertreten hatte. Auf die Regierungsbank fällt das strahlende Licht des ungewöhnlich warmen Apriltags.
Doch die Stimmung an diesem Donnerstag im Plenum ist alles andere als heiter oder harmonisch. Wenig ist von der politischen Einigkeit der ersten Wochen zu spüren. Seit die Kontaktverbote wieder leicht gelockert werden, seit die ersten Schritte in die Normalität getan sind, wird wieder heftig gestritten: über den Weg aus der Krise, über die richtige Dosis Alltag in der Pandemie, über Hilfen für Bürger und Wirtschaft.
Merkel lobt – und tadelt
Merkel lobt zum Auftakt zwar den "Zusammenhalt und die Solidarität in unserem Land und in Europa", dankt für die Beschlüsse zu den Hilfspaketen, wirbt – am späten Nachmittag findet ein EU-Gipfel per Schalte statt – für zeitlich befristete höhere nationale Abgaben für den EU-Haushalt.
Doch dann wird sie deutlich: Ohne ihr Wort von den "Öffnungsdiskussionsorgien" zu wiederholen, warnt sie noch einmal: "Wir bewegen uns auf dünnem Eis, man kann auch sagen dünnstem Eis." Sie trage die jüngsten Beschlüsse von Bund und Ländern mit, wehrt sie auch Kritik ab, die Rechte der Bundesländer auch nur um "ein Jota" schmälern zu wollen, sie achte diese.
Doch die Umsetzung der jüngsten Bund-Länder-Beschlüsse mache ihr Sorgen: "Sie wirkt in Teilen sehr forsch, um nicht zu sagen zu forsch." Merkel muss die Namen nicht nennen, jeder ahnt, wen sie meint: Ministerpräsident Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen etwa, der in der CDU am lautesten nach Lockerungen der Corona-Maßnahmen ruft. Oder die FDP. Merkels Appell ist eindringlich: "Lassen Sie uns das Erreichte nicht verspielen und einen Rückschlag riskieren."
An dieser Stelle gibt es Applaus aus der Union und der SPD, auch in weiten Teilen der Grünen und bei einigen Linken. Nur bei zwei Parteien rührt sich keine Hand – AfD und FDP.
Deren Hauptredner werden an diesem Tag die Antipoden zu Merkel geben. AfD-Co-Fraktionschef Alexander Gauland wirft Merkel eine "Basta-Mentalität" vor, für die Opposition sei es die Pflicht, über Alternativen zu diskutieren. Gauland, dessen Fraktion jüngst nach einem internen Streit den Corona-Kurs verschärft hat, sagt sogar, die Quarantänemaßnahmen liefen nunmehr "selbst organisiert", der Staat sei "weitgehend überflüssig". Dafür gibt es empörte Zwischenrufe und Gelächter.
Den härtesten Angriff fährt FDP-Chef Christian Lindner. Er kritisiert zunächst Gauland, dann aber nimmt er sich die Kanzlerin vor: Lindner kündigt Merkel die Unterstützung in der Coronakrise auf. Die Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Zustands insgesamt und die Zweifel an der Eignung einzelner Maßnahmen seien gewachsen, sagt er, um nach diesem Intro zum Kern seiner Botschaft zu kommen: "Und weil die Zweifel gewachsen sind, Frau Bundeskanzlerin, endet heute auch die große Einmütigkeit in der Frage des Krisenmanagements."
Viele Entscheidungen, moniert der FDP-Chef, seien keine wissenschaftlich fundierten, sondern "politische Entscheidungen" und deshalb müssten sie "als solche" diskutiert werden. Er lobt die "unabhängige Justiz", namentlich ein Hamburger Gericht, das die Entscheidung für die Begrenzung auf 800 Quadratmeter Verkaufsfläche gekippt hat, lobt die höchstrichterliche Entscheidung zur Abhaltung von Demonstrationen. Man müsse deutlicher darüber sprechen, wie Freiheit und Gesundheitsschutz besser vereinbart werden könne.
Seine Rede wird von Zwischenrufen aus den Reihen der Koalition, aber auch von Linken und Grünen begleitet.
Mehrmals wendet sich Lindner direkt an die Kanzlerin, doch Merkel schaut meist demonstrativ ins Plenum. Als Lindner endet, wirkt er zufrieden, die FDP-Abgeordneten klatschen kräftig – es ist der wuchtige Gegenauftritt zu Merkel geworden, den sich der Fraktionschef offenbar vorgenommen hatte.
Kritische Töne sind auch von anderen Rednern zu vernehmen, sogar aus der Koalition. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus stellt sich zwar erwartungsgemäß hinter Merkels Politik, warnt aber vor dem exekutiven Übergewicht in diesen Tagen. Es sei zwar wichtig und richtig, dass die Regierung im Bund und in den Ländern schnell gehandelt hätten. "Aber das ist eine Republik der Legislative", so Brinkhaus. "Wir sind das Verfassungsorgan." Dafür erhält er auch vereinzelt aus den Oppositionsparteien Zustimmung.
Dass die Tonlage auch in der Koalition gereizter ist, zeigt der Auftritt von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Auch er würdigt den Kurs der Kanzlerin. Doch dann kritisiert er den Umstand, dass die Unionsfraktion das lange anvisierte SPD-Projekt der Grundrente diese Woche nicht im Bundestag behandeln will. Das sei "für uns nicht hinnehmbar", die SPD wolle, dass das Gesetz demnächst eingebracht werde.